Rede zur Familienpolitik auf dem Landesausschuss (kleiner Parteitag) am 15. Juni 2013 in Singen
Liebe Freundinnen, liebe Freunde,
53 Prozent der Menschen haben das Gefühl, dass es in Deutschland nicht Gerecht zugeht. Der Wahlausgang im September wird daher ganz maßgeblich auch davon bestimmt, welche Partei sich sozialpolitisch glaubwürdig positioniert.
Gerade in der Familienpolitik sind die Defizite klar: Die 160 familienpolitischen Leistungen sind unübersichtlich und ein nicht geringer Teil der 195 Milliarden Euro wird ineffizient eingesetzt. Denn allzu häufig gehen sie an dem vorbei, worum es in der Familienpolitik als allererstes gehen sollte:
Möglichst optimale Zukunftschancen für die Kinder.
Betreuungsgeld
Der größte familienpolitische Unfug dieser Regierung ist das Betreuungsgeld.
Wir geben – gut angelegt – Mrd. aus für schulische und berufliche Bildung. Jetzt haben wir die am besten qualifizierteste junge Generation aller Zeiten. Und dann investieren wir jährlich 1,2 Milliarden Euro, damit diese vom Arbeitsmarkt fern gehalten werden. Mit Engagement und teuer erworbene Kenntnisse und Fertigkeiten werden nicht eingesetzt. Im Zeitalter immer schnellerer Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt mit immer kürzeren Halbwertszeiten des Wissens und Können ist das fatal. Jahre später wird der Wiedereinstieg in den erlernten Beruf erheblich erschwert.
Die 1,2 Mrd. € für das Betreuungsgeld werden noch nicht einmal anständig finanziert: Alle Ressorts müssen dafür bluten. So werden dafür auch die Bildungsprogramme gekürzt.
Und die Kinder?
Sie brauchen die Geborgenheit einer Familie und gute Institutionen wie Kitas und Schulen. Ein Betreuungsgeld brauchen sie nicht. Zumal es auch dann ausbezahlt werden soll, wenn die Betreuung durch Nachbarn oder Au-Pairs erfolgt. Wo bleibt hier das sonst – zu Recht – bemühte Argument der Bindung?
Aus anderen Ländern wissen wir, dass insbesondere die Kinder, die am stärksten von frühkindlichen Bildungsangeboten profitieren können, davon ferngehalten werden. Norwegen hat aufgrund solcher Erfahrungen diese Leistung wieder abgeschafft.
Das werden wir auch tun: Am 22. September werden wir in Regierungsverantwortung gewählt und das Aus fürs Betreuungsgeld wird eine unserer ersten Maßnahmen sein!
Kitas
Das Geld – 1,2 Mrd. € pro Jahr – brauchen wir dringend für den Ausbau der Kinderbetreuung. In Deutschland fehlen rund 200.000 Kita-Plätze. Es fehlt an Plätzen im U 3‑Bereich und an Ganztagesplätzen. Vielerorts aber auch der Qualität.
Der 8. Familienbericht der Bundesregierung stellt richtigerweise fest: „Notwendig ist ein bedarfsgerechter Ausbau an qualitativ hochwertigen Betreuungsplätzen in Kindertageseinrichtungen und in der Tagespflege, der den Bedürfnissen der Kinder und Eltern entspricht und mit der lokalen Infrastruktur vernetzt ist. Erst wenn für alle Kinder Ganztagsbetreuungsplätze in hervorragender Qualität vorhanden sind, haben Eltern tatsächlich eine Wahlmöglichkeit.“
Bundesweite Mindeststandards – wie im Wahlprogramm und in vorliegenden LaVo-Antrag gefordert – sind gerade in Baden-Württemberg mit Vorsicht zu genießen. Denn bei der Fachkraft-Kind-Relation liegen wir im Ranking der Bundesländer auf einem der vorderen Plätze.
Inklusion
Kitas – auch Schulen – müssen sich verstärkt für Kinder mit Behinderung öffnen. Die Erweiterung des Fachkräftekatalogs, wie vom Land beschlossen, ist hierfür eine große Chance. Künftig gelten auch HEP, Kinderkrankenschwestern und Ergotherapeuten als Fachkräfte. Mit interdisziplinären Teams lässt sich Inklusion – aber auch insgesamt eine gute pädagogische Qualität – besser umsetzen. Jetzt gilt es, die erforderlichen Lehrgänge aufzubauen. Auf keinen Fall dürfen Abstriche bei der Qualifikation der Fachkräfte die Folge sein.
Fachkräftemangel
Der erweiterte Fachkräftekatalog ist auch ein Baustein gegen den Fachkräftemangel, der vielerorts den Ausbau der Angebote massiv ausbremst. Um mehr Fachkräfte für den Erziehungsberuf zu gewinnen, brauchen wir mehrere Maßnahmen:
- Verbindliche Sozialpraktika in allgemeinbildenden Schulen im Rahmen der Berufsorientierung
- Den Ausbau der Ausbildungsangebote in Teilzeitform
- Die Förderung auch von dreijährigen Berufsausbildungen durch die BA
Außerdem haben die Erzieherinnen und Erzieher für ihre wichtige Arbeit eine bessere Bezahlung verdient!
Und: Wir brauchen mehr Männer in den Kitas!
Ich arbeite momentan in einer Kita und kann nur sagen: Es ist eine schöne Arbeit, die Freude macht! Also, traut Euch Männer!
Liebe Freundinnen und Freunde,
im ARD-Politbarometer[1] sind wir Grünen bei der Frage nach den familienpolitischen Kompetenzen dritte Kraft. Dritte Kraft zu sein ist ja okay. Bei der Politik für Familien und insbesondere für Kinder sollten wir jedoch um die Meinungsführerschaft kämpfen:
- Für qualitativ gute Kitas und einen attraktiven Erziehungsberuf
- Für die Inklusion in Kitas und Schulen
- Für die bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf
- Für ein Recht auf Rückkehr in Vollzeitarbeit
- Für eine Familienpolitik, die die Zukunftschancen der Kinder in den Mittelpunkt stellt!