Gespräch über Moral, Verfehlungen, Abgeordnetentätigkeiten und Wahlrecht
Vom Verhalten einzelner Abgeordneter und dem Gebaren von Fraktionen des Bundestages sowie der Parteien hängt maßgeblich auch das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in die Demokratie und den Rechtsstaat ab. Zu Fehlverhalten Einzelner kann es – wie überall sonst auch – immer wieder kommen. Doch die jüngsten Ereignisse rund um die Maskendeals und Aserbaidschan-Skandale machen einmal mehr deutlich, dass Strukturen hinterfragt werden müssen. An einige Stellen werden die Grenzen dessen, was erlaubt ist oder sich in Graubereichen befindet, klarer und enger gezogen werden müssen. Der Einfluss von Lobbyvertreter*innen muss transparenter werden. Auch das Bundestags-Wahlrecht, das seit langem reformbedürftig ist, gehört in die Kategorie „geeignet, das Vertrauen in die Institutionen zu erschüttern“. Über viele damit verbundene Fragestellungen sprach ich mit zwei Fachleuten.
Britta Haßelmann ist Erste Parlamentarische Geschäftsführerin der Bundestagsfraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.
Hartmut Bäumer ist Vorsitzender von Transparency International Deutschland e.V. (kurz: “Transparency Deutschland”), welcher sich deutschlandweit für eine effektive und nachhaltige Bekämpfung und Eindämmung der Korruption einsetzt.
Der Jurist Bäumer führte ins Thema ein: Seine Organisation habe sich in den letzten Jahren besonderes oft an CDU/CSU gewandt und mehr Transparenz und Maßnahmen gegen Korruption gefordert. Transparency sei jedoch bei Grünen und Linken, teilweise auch der SPD, auf offenere Ohren gestoßen. „Wir haben uns die Hacken abgelaufen bei der Union“. Vorgänge wie die Maskenaffäre würden dem Ansehen der Demokratie schaden – auch wenn es nur eine Minderheit sei, die sich derartig verhalte und die Mehrheit der Abgeordneten korrekt handle. Mandat und private Tätigkeiten dürften nicht vermengt werden. Die Abgeordnetentätigkeit müsse im Vordergrund stehen. Der neue Entwurf für die Überarbeitung des Abgeordnetengesetzes, der von den Grünen unterstützt werde, sei weitgehend gut. Die Offenheit der Unionsfraktion für die Änderungen sei jedoch erst nach den Maskenaffären entstanden. Die schärferen Regelungen sollten, so Bäumer für Transparancy, sollten jedoch von einer vom Parlament bestimmten Kontrollinstanz und nicht vom Bundestagspräsidenten überwacht werden. Insgesamt stehe Deutschland bei Transparenz und Korruptionsvermeidung im internationalen Vergleich nicht schlecht da.
Britta Haßelmann stellte im Rückblick fest, man hätte mit der Koalition jahrelang über mehr Transparenz gesprochen, insbesondere von der Union aber eine Blockade erlebt. Die SPD sei kaum eine Unterstützung gewesen. Man brauche klarere, schärfere Regeln und die Offenlegung von Lobbyismus. Im Grundsatz sei Lobbyismus aber nicht verwerflich, sondern legitim.
Veröffentlichungspflichten und Nebentätigkeiten
Immer wieder bin ich überrascht darüber, was einige Kollegen (überwiegend anderer Fraktionen) „neben“ ihrem Mandat an Geschäften betreiben. Zumindest von der Einkommenshöhe her steht bei einigen die „Nebentätigkeit“ im Vordergrund. Ich für mich kann sagen, dass ich mit meinen mandatsbezogenen Aufgaben mehr als gut ausgelastet bin. Britta Haßelmann: Wir wollen, dass die Nebeneinkünfte exakt und nicht mehr in verschiedenen Einkommensstufen angegeben werden müssen
Parteispenden
Diese seien gerade kein Thema, so Haßelmann. Die Grünen treten dafür ein, dass der Betrag, ab dem eine Veröffentlichungspflicht entsteht, von derzeit 20.000 auf 5.000 Euro abgesenkt wird. Abgeordnete sollten überhaupt keine Spenden mehr annehmen dürfen. Hartmut Bäumer forderte, dass auch Sponsoring beispielsweise auf Parteitagen ausgewiesen werden müsse.
Lobbyregister
Im März 2021 hatte der Bundestag das „Gesetz zur Einführung eines Lobbyregisters“ beschlossen. In diesem müssen sich ab Januar 2022 alle Interessenvertreter*innen registrieren, die Kontakt zu Bundestagsabgeordneten oder der Bundesregierung aufnehmen mit dem Ziel, Einfluss auf den Willensbildungs- und Entscheidungsprozesse zu nehmen. Damit verbunden ist, dass ein Verhaltenskodex akzeptiert werden muss. Verstöße können im Register veröffentlicht werden. Es kann aber auch zum Entzug von Hausausweisen und einer Geldbuße von bis zu 50.000 Euro kommen. Unter „Interessenvertreter*in“ wird eine „gebündelte Interessenvertretung“ verstanden, so Hartmut Bäumer, also keine Privatpersonen, die sich für ein bestimmtes Anliegen engagieren. Ein Blick in den Entwurf für den Verhaltenskodex verrät beispielsweise, dass Identitäten, Anliegen und Auftraggeber*innen offen gelegt werden müssen. Erfolgsabhängige Honorare sind untersagt. Was aus Sicht von Haßelmann und Bäumer fehlt ist der „exekutive Fußabdruck“. Diese macht sichtbar, welche Lobbyisten auf welches Gesetz Einfluss genommen haben.
Reform des Bundestags-Wahlrechts
Es ist seit Jahren klar, dass es ein neues Wahlrecht braucht, wenn der Bundestag nicht noch größer als heute (709 Abgeordnete) werden soll. CDU/CSU und SPD hatten sich dem all die Jahre komplett verweigert. Grüne, FDP und Linke hatten hingegen einen gemeinsamen Gesetzentwurf vorgelegt. So unter Druck gesetzt, legten auch die Regierungsfraktionen einen Gesetzentwurf vor und drückten diese in aller Eile noch durch. Damit dürften jedoch alle Ziele verpasst werden. Aus unserer Sicht braucht es ein Wahlrecht, das auf jeden Fall für eine Verkleinerung des Bundestags sorgt, zugleich aber auch jeder Stimme das gleiche Gewicht verleiht.
Auf meiner Homepage habe ich unseren Gesetzentwurf immer wieder erklärt, siehe
https://www.matthias-gastel.de/klage-gegen-neues-wahlrecht/ und
https://www.matthias-gastel.de/debatte-um-reform-des-wahlrechts/
Britta Haßelmann führte nochmal die Position der Grünen aus: Das Wahlrecht müsse zu einer Verkleinerung des Parlaments führen, um die Arbeitsfähigkeit zu erhalten, und zugleich gewährleisten, dass der Wähler*innenwille bei der Sitzverteilung widergespiegelt wird. Das schließlich beschlossene Gesetz werde dem nicht gerecht, weshalb man vor das Bundesverfassungsgericht gezogen sei.
Fazit
Für mich ist klar, dass wir in einem insgesamt sehr guten und funktionierenden System leben. Unsere Demokratie und unser Rechtsstaat haben unser Vertrauen verdient. Es gibt aber an einigen Stellen Korrekturbedarf. Dieser muss zügig und konsequent angepackt werden.