Vertrauen in demokratische Institutionen

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11.05.2021

Gespräch über Moral, Verfehlungen, Abgeordnetentätigkeiten und Wahlrecht

Vom Ver­hal­ten ein­zel­ner Abge­ord­ne­ter und dem Geba­ren von Frak­tio­nen des Bun­des­ta­ges sowie der Par­tei­en hängt maß­geb­lich auch das Ver­trau­en der Bür­ge­rin­nen und Bür­ger in die Demo­kra­tie und den Rechts­staat ab. Zu Fehl­ver­hal­ten Ein­zel­ner kann es – wie über­all sonst auch – immer wie­der kom­men. Doch die jüngs­ten Ereig­nis­se rund um die Mas­ken­de­als und Aser­bai­dschan-Skan­da­le machen ein­mal mehr deut­lich, dass Struk­tu­ren hin­ter­fragt wer­den müs­sen. An eini­ge Stel­len wer­den die Gren­zen des­sen, was erlaubt ist oder sich in Grau­be­rei­chen befin­det, kla­rer und enger gezo­gen wer­den müs­sen. Der Ein­fluss von Lobbyvertreter*innen muss trans­pa­ren­ter wer­den. Auch das Bun­des­tags-Wahl­recht, das seit lan­gem reform­be­dürf­tig ist, gehört in die Kate­go­rie „geeig­net, das Ver­trau­en in die Insti­tu­tio­nen zu erschüt­tern“. Über vie­le damit ver­bun­de­ne Fra­ge­stel­lun­gen sprach ich mit zwei Fach­leu­ten.

Brit­ta Haßel­mann ist Ers­te Par­la­men­ta­ri­sche Geschäfts­füh­re­rin der Bun­des­tags­frak­ti­on BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.

Hart­mut Bäu­mer ist Vor­sit­zen­der von Trans­pa­ren­cy Inter­na­tio­nal Deutsch­land e.V. (kurz: “Trans­pa­ren­cy Deutsch­land”), wel­cher sich deutsch­land­weit für eine effek­ti­ve und nach­hal­ti­ge Bekämp­fung und Ein­däm­mung der Kor­rup­ti­on ein­setzt.

Der Jurist Bäu­mer führ­te ins The­ma ein: Sei­ne Orga­ni­sa­ti­on habe sich in den letz­ten Jah­ren beson­de­res oft an CDU/CSU gewandt und mehr Trans­pa­renz und Maß­nah­men gegen Kor­rup­ti­on gefor­dert. Trans­pa­ren­cy sei jedoch bei Grü­nen und Lin­ken, teil­wei­se auch der SPD, auf offe­ne­re Ohren gesto­ßen. „Wir haben uns die Hacken abge­lau­fen bei der Uni­on“. Vor­gän­ge wie die Mas­ken­af­fä­re wür­den dem Anse­hen der Demo­kra­tie scha­den – auch wenn es nur eine Min­der­heit sei, die sich der­ar­tig ver­hal­te und die Mehr­heit der Abge­ord­ne­ten kor­rekt hand­le. Man­dat und pri­va­te Tätig­kei­ten dürf­ten nicht ver­mengt wer­den. Die Abge­ord­ne­ten­tä­tig­keit müs­se im Vor­der­grund ste­hen. Der neue Ent­wurf für die Über­ar­bei­tung des Abge­ord­ne­ten­ge­set­zes, der von den Grü­nen unter­stützt wer­de, sei weit­ge­hend gut. Die Offen­heit der Uni­ons­frak­ti­on für die Ände­run­gen sei jedoch erst nach den Mas­ken­af­fä­ren ent­stan­den. Die schär­fe­ren Rege­lun­gen soll­ten, so Bäu­mer für Trans­pa­ran­cy, soll­ten jedoch von einer vom Par­la­ment bestimm­ten Kon­troll­in­stanz und nicht vom Bun­des­tags­prä­si­den­ten über­wacht wer­den. Ins­ge­samt ste­he Deutsch­land bei Trans­pa­renz und Kor­rup­ti­ons­ver­mei­dung im inter­na­tio­na­len Ver­gleich nicht schlecht da.

Brit­ta Haßel­mann stell­te im Rück­blick fest, man hät­te mit der Koali­ti­on jah­re­lang über mehr Trans­pa­renz gespro­chen, ins­be­son­de­re von der Uni­on aber eine Blo­cka­de erlebt. Die SPD sei kaum eine Unter­stüt­zung gewe­sen. Man brau­che kla­re­re, schär­fe­re Regeln und die Offen­le­gung von Lob­by­is­mus. Im Grund­satz sei Lob­by­is­mus aber nicht ver­werf­lich, son­dern legi­tim.

Ver­öf­fent­li­chungs­pflich­ten und Neben­tä­tig­kei­ten

Immer wie­der bin ich über­rascht dar­über, was eini­ge Kol­le­gen (über­wie­gend ande­rer Frak­tio­nen) „neben“ ihrem Man­dat an Geschäf­ten betrei­ben. Zumin­dest von der Ein­kom­mens­hö­he her steht bei eini­gen die „Neben­tä­tig­keit“ im Vor­der­grund. Ich für mich kann sagen, dass ich mit mei­nen man­dats­be­zo­ge­nen Auf­ga­ben mehr als gut aus­ge­las­tet bin. Brit­ta Haßel­mann: Wir wol­len, dass die Neben­ein­künf­te exakt und nicht mehr in ver­schie­de­nen Ein­kom­mens­stu­fen ange­ge­ben wer­den müs­sen

Par­tei­spen­den

Die­se sei­en gera­de kein The­ma, so Haßel­mann. Die Grü­nen tre­ten dafür ein, dass der Betrag, ab dem eine Ver­öf­fent­li­chungs­pflicht ent­steht, von der­zeit 20.000 auf 5.000 Euro abge­senkt wird. Abge­ord­ne­te soll­ten über­haupt kei­ne Spen­den mehr anneh­men dür­fen. Hart­mut Bäu­mer for­der­te, dass auch Spon­so­ring bei­spiels­wei­se auf Par­tei­ta­gen aus­ge­wie­sen wer­den müs­se.

Lob­by­re­gis­ter

Im März 2021 hat­te der Bun­des­tag das „Gesetz zur Ein­füh­rung eines Lob­by­re­gis­ters“ beschlos­sen. In die­sem müs­sen sich ab Janu­ar 2022 alle Interessenvertreter*innen regis­trie­ren, die Kon­takt zu Bun­des­tags­ab­ge­ord­ne­ten oder der Bun­des­re­gie­rung auf­neh­men mit dem Ziel, Ein­fluss auf den Wil­lens­bil­dungs- und Ent­schei­dungs­pro­zes­se zu neh­men. Damit ver­bun­den ist, dass ein Ver­hal­tens­ko­dex akzep­tiert wer­den muss. Ver­stö­ße kön­nen im Regis­ter ver­öf­fent­licht wer­den. Es kann aber auch zum Ent­zug von Haus­aus­wei­sen und einer Geld­bu­ße von bis zu 50.000 Euro kom­men. Unter „Interessenvertreter*in“ wird eine „gebün­del­te Inter­es­sen­ver­tre­tung“ ver­stan­den, so Hart­mut Bäu­mer, also kei­ne Pri­vat­per­so­nen, die sich für ein bestimm­tes Anlie­gen enga­gie­ren. Ein Blick in den Ent­wurf für den Ver­hal­tens­ko­dex ver­rät bei­spiels­wei­se, dass Iden­ti­tä­ten, Anlie­gen und Auftraggeber*innen offen gelegt wer­den müs­sen. Erfolgs­ab­hän­gi­ge Hono­ra­re sind unter­sagt. Was aus Sicht von Haßel­mann und Bäu­mer fehlt ist der „exe­ku­ti­ve Fuß­ab­druck“. Die­se macht sicht­bar, wel­che Lob­by­is­ten auf wel­ches Gesetz Ein­fluss genom­men haben.

Reform des Bun­des­tags-Wahl­rechts

Es ist seit Jah­ren klar, dass es ein neu­es Wahl­recht braucht, wenn der Bun­des­tag nicht noch grö­ßer als heu­te (709 Abge­ord­ne­te) wer­den soll. CDU/CSU und SPD hat­ten sich dem all die Jah­re kom­plett ver­wei­gert. Grü­ne, FDP und Lin­ke hat­ten hin­ge­gen einen gemein­sa­men Gesetz­ent­wurf vor­ge­legt. So unter Druck gesetzt, leg­ten auch die Regie­rungs­frak­tio­nen einen Gesetz­ent­wurf vor und drück­ten die­se in aller Eile noch durch. Damit dürf­ten jedoch alle Zie­le ver­passt wer­den. Aus unse­rer Sicht braucht es ein Wahl­recht, das auf jeden Fall für eine Ver­klei­ne­rung des Bun­des­tags sorgt, zugleich aber auch jeder Stim­me das glei­che Gewicht ver­leiht.

Auf mei­ner Home­page habe ich unse­ren Gesetz­ent­wurf immer wie­der erklärt, sie­he

https://www.matthias-gastel.de/klage-gegen-neues-wahlrecht/ und

https://www.matthias-gastel.de/debatte-um-reform-des-wahlrechts/

Brit­ta Haßel­mann führ­te noch­mal die Posi­ti­on der Grü­nen aus: Das Wahl­recht müs­se zu einer Ver­klei­ne­rung des Par­la­ments füh­ren, um die Arbeits­fä­hig­keit zu erhal­ten, und zugleich gewähr­leis­ten, dass der Wähler*innenwille bei der Sitz­ver­tei­lung wider­ge­spie­gelt wird. Das schließ­lich beschlos­se­ne Gesetz wer­de dem nicht gerecht, wes­halb man vor das Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt gezo­gen sei.

Fazit

Für mich ist klar, dass wir in einem ins­ge­samt sehr guten und funk­tio­nie­ren­den Sys­tem leben. Unse­re Demo­kra­tie und unser Rechts­staat haben unser Ver­trau­en ver­dient. Es gibt aber an eini­gen Stel­len Kor­rek­tur­be­darf. Die­ser muss zügig und kon­se­quent ange­packt wer­den.