Noch viele Entscheidungen erforderlich
Auf großes Interesse von etwa 70 Teilnehmenden stieß mein jüngstes „Bahngespräch“ zum Thema „Deutschlandtakt“. Dafür hatte ich Bernhard Wewers (ehem. Geschäftsführer der Nahverkehrsgesellschaft Schleswig-Holstein und Dozent an der TU Berlin) sowie Dr. Felix Berschin (Fachmann für Eisenbahnrecht, NahverkehrsBeratung Südwest) gewinnen.
Der Deutschlandtakt ist breiter Konsens in den politischen Parteien und in der Bahnbranche. Fast alle wollen auf einen integralen Taktfahrplan setzen, der den Fahrgästen bessere Umsteigemöglichkeiten in definierten Knotenbahnhöfen, dichtere Taktangebote und kürzere Reisezeiten ermöglichen soll. Es liegt der inzwischen dritte Zielfahrplan vor, der Grundlage für die Entwicklung der erforderlichen Infrastruktur sein soll. Genau diese, eine leistungsfähige Infrastruktur, lässt allerdings noch auf sich warten. Das Bewertungsverfahren der einzelnen Ausbauprojekte für den Bedarfsplan („Bundesverkehrswegeplan“) läuft noch. Ebenso steht eine Gesamtbewertung aller Infrastrukturprojekte noch aus. Für eine konsequente Umsetzung des Deutschlandtaktes und damit ein attraktives Verkehrsangebot gibt es noch viele offene Fragen, die es zeitnah zu klären gilt. Dementsprechend habe ich das Gespräch mit folgenden Fragen an meine Gäste eröffnet: Wo stehen in wir aktuell in der Umsetzung des Deutschlandtaktes? Wie stellen wir sicher, dass das angestrebte Angebot aus dem Deutschlandtakt auch gefahren wird? Was sind zu ergreifende Maßnahmen in der nächsten Legislaturperiode?
Bernhard Wewers zeigte sich sehr erfreut über die aktuelle Aufbruchsstimmung im Bahnwesen, kritisierte jedoch auch den Schienengipfel vom Vortag, der eher als „großes Kino“ zu bewerten sei. Um wirklich vorwärts zu kommen forderte er 1. die stetige Weiterentwicklung des dritten Zielfahrplans, 2. den Deutschlandtakt in Form eines Bundesmobilitätsgesetzes rechtlich zu verankern, 3. eine gesicherte Finanzierung von bestelltem Verkehr und Infrastrukturausbau, 4. eine Kommunikation zur Erklärung des Deutschlandtakts, die sich nicht nur auf Expertenrunden beschränkt, sondern breit in die Gesellschaft hineinreicht und 5. als die aus seiner Sicht vielleicht komplexeste Frage der Organisation des Deutschlandtaktes.
Bei dem letzten Punkt sei es wichtig, dass ein „Deutschlandtakt Büro“ beim BMVI angesiedelt werden würde, dass jedoch auch im engen Austausch mit den Infrastrukturbetreibern und Eisenbahnverkehrsunternehmen stünde. Vorstellbar sei auch nach schweizer Vorbild ein Bundesamt für Verkehr ins Leben zu rufen, welches unter anderem für Regulierungen und Finanzierung zuständig sein könnte. Darüber hinaus warf Wewers die Frage auf, ob nicht auch eine gemeinsame Ausschreibung von Nah- und Fernverkehr vorstellbar sei. Immerhin seien im „blauen Netz“ des dritten Fahrplanentwurfes (gemeint sind die Züge im Geschwindigkeitsbereich von 160 bis etwa 200 km/h) die Grenzen zwischen NV und FV fließend. Außerdem thematisierte er auch das Thema Vertrieb. Es sei unbedingt notwendig einheitliche Tarife und einen übergreifenden Vertrieb zu realisieren. Hier sei auch ein bundesweites Vertriebsunternehmen vorstellbar, welches die Aufgabe erfüllen könnte. Schließlich äußerte Wewers noch, dass mit einer ersten Realisierung des Deutschlandtaktes erst zwischen 2031 und 2033 zu rechnen sei und es klar sein müsse, dass der dritte Fahrplanentwurf alleine noch keine Grundlage biete für eine konsequente Verkehrswende. Es brauche zwar keinen vierten Zielfahrplan, aber sehr wohl dessen Weiterentwicklung. Er sprach sich für die Senkung, ggf. auch die Abschaffung der Trassenpreise aus.
Auf meine Frage, welche Regulierungen aus seiner Sicht erforderlich wären, antwortete Felix Berschin, dass dringend Systemtrassen eingeführt werden müssten für den Personen- und Güterverkehr. Diese seien ein wirksames Mittel, um Mängel im Netz besser zu verwalten und die Kapazität zu maximieren. Auch müsse klar sein, dass mehr Geld alleine nicht helfen würde. Strukturelle Veränderungen seien unausweichlich. Außerdem müsse man sich überlegen, wie man mit konkurrierenden Eisenbahnverkehrsunternehmen (EVU) umgehe. Es dürfe nicht dazu kommen, dass die DB bei einem Versuch, einen Halbstundentakt zwischen Hamburg und Berlin anzubieten, durch konkurrierende EVU, die einzelne Fahrten im Fernverkehr anbieten, behindert würde. Für den Kunden entstünde so ein lückenhafter Takt, wenn es keine Ticketintegration gäbe. Die Forderung nach einer solchen Integration sieht Berschin als unbedingt notwendig an und verwies darauf, dass man hier auch europäisch schon mal weiter war, als man es heute sei. Als letzten wichtigen Punkt sprach er die Trassenpreise an, welche unbedingt reguliert werden müssten. Hier sei eine räumliche Differenzierung anzustreben, welche auch die Angebote auf unrentablen Relationen verbessern könnte.