Wirtschaftlichkeit herbeigetrickst
Der Bund darf Bahnstrecken nur (aus)bauen, wenn der Nachweis der Wirtschaftlichkeit erbracht wurde. Wie stark derartige Berechnungen manipuliert werden können, zeigt die Bundesregierung an der Gäubahn. Weil sie unbedingt einen teuren Tunnel an den Flughafen bauen will, der nicht benötigt wird, wird kräftig getrickst. Der Nutzen für den Fahrgast bleibt fragwürdig.
Im Sommer letzten Jahres wartete das Bundesverkehrsministerium mit einer Überraschung auf: Es wurden völlig neue Ideen für den Ausbau der Gäubahn vorgelegt. Darunter befand sich ein mehr als 10 Kilometer langer Tunnel zwischen Böblingen/Goldberg und dem Flughafen. Inzwischen, wenige Tage vor der Landtagswahl im März, wurden Ergebnisse einer Machbarkeitsstudie vorgelegt. Der Ausbau soll demnach auf ein Nutzen-Kosten-Verhältnis von 1,2 gekommen sein und damit knapp im Bereich der Wirtschaftlichkeit liegen. Ich habe mir die verfügbaren Informationen näher angeschaut und eine Kleine Anfrage an die Bundesregierung gerichtet. Daraus ergibt sich noch kein vollständiges, aber doch ein ziemlich genaues Bild von einem Projekt, das mit tiefen Griffen in die Trickkiste herbeimanipuliert wurde.
Entfallende Zughalte
Man lässt wichtige Zughalte ausfallen, um mehr Reisezeit zu gewinnen. Der Entfall in Singen (Hohentwiel) und die Nutzung der Singener Kurve bringen 6,5 Minuten. Dass der Zug stattdessen in Singen Landesgartenschau hält, wird mit einer „Anbindungszeit“ von zwei Minuten veranschlagt. Darunter wird der zeitliche Mehraufwand für die Reisenden verstanden, die statt wie bisher nach Singen (Hohentwiel) zur Landesgartenschau gelangen müssen. Unter dem Strich bleibt eine satte Zeiteinsparung. Fahrgastverluste wegen der Verlegung des Haltes werden nicht angenommen – im Gegenteil. Weil die Gäubahn durch zahlreiche bauliche Ausbauschritte und eine deutliche Fahrzeitverkürzung attraktiver werden soll, wird in Singen von 90.000 Reisenden pro Jahr zusätzlich (entspricht einem Plus um über fünf Prozent) ausgegangen.
Der Entfall des Zughaltes in Böblingen bringt eine Reisezeitverkürzung um zwei Minuten. Obwohl dieser Halt – anders als in Singen – nicht verlegt, sondern vollständig entfallen soll, werden keine Fahrgastverluste einkalkuliert. Der Trick funktioniert so: Böblingen wurde einfach schon im Bezugsfall nicht mehr bedient. Man nimmt also an, dass der Zug dort nie gehalten hätte. Somit gibt es auch keine Fahrgastverluste. Man hätte, so die Bundesregierung, diesen Halt entfallen lassen, um die im Deutschlandtakt vorgesehene Gesamtfahrzeit erreichen zu können. Fakt ist aber: Der Deutschlandtakt sieht eine Fahrzeitverkürzung um 11 Minuten vor. Damit sollen die Anschlüsse in Stuttgart und Zürich erreicht werden. Nun ist jedoch eine Fahrzeitverkürzung um 20 (bisherige Aussage Bundesverkehrsministerium) bzw. sogar um 22,5 Minuten (Antwort auf Kleine Anfrage; aber neuer Bezugsfall) vorgesehen. Diese kürzeren Reisezeiten bringen zwar den Fahrgästen kaum Vorteile, erhöhen aber den rechnerischen Nutzen und relativeren damit die hohen Investitionskosten. Dabei ist völlig unklar, warum im Bezugsfall die Reisezeit im Vergleich zur heutigen Fahrzeit erhöht worden ist, obwohl sogar Halte weggefallen sind.
Fahrplanpuffer aufgelöst
Im „Kleingedruckten“ teilt uns die Bundesregierung in ihrer Antwort mit, dass vier Minuten an „Fahrzeitüberschuss“ zwischen Horb und Böblingen abgebaut worden seien. Diese Zeit ist als „Puffer“ für die Fahrzeitstabilität zu verstehen und die rechnerische Herausnahme erhöht ebenfalls den Nutzen des Projektes.
Fiktive Güterzüge
Man geht davon aus, dass die Gäubahn früher ausgebaut sein wird als die Rheintalbahn (mit deren Ausbauplanungen bereits vor Jahren begonnen wurde, während für die Gäubahn noch mit keinerlei Planungen begonnen wurde). Dann verlagert man Güterzüge übergangsweise auf die Gäubahn und hat – schwuppdiwupp – eine höhere Verkehrsnachfrage.
Neuer Engpass geplant
Zwischen Neckarhausen und Sulz soll ein neuer eingleisiger (!) Streckenabschnitt inklusive eines 2,7 Kilometer langen Tunnels gebaut werden. Einen Bedarf für ein zweites Gleis gebe es nicht, so die Bundesregierung. Unsere Frage, weshalb die Bestandsstrecke auf diesem Abschnitt aufgelöst werden soll, ließ die Bundesregierung unbeantwortet. Hier wird ein Engpass langfristig zementiert, anstatt den Ausbau für Kapazitätserweiterungen zu nutzen.
Ausbau Horb – Neckarhausen
Dieser heute noch eingleisige Streckenabschnitt soll, wie schon lange vorgesehen, weiterhin zweigleisig ausgebaut werden. Der Baubeginn ist noch für dieses Jahr und die Fertigstellung für Ende 2023 vorgesehen. Mit weiteren Ausbaumaßnahmen ist in den nächsten Jahren nicht zu rechnen.
Neuer Engpass Tuttlingen – Hattingen
Im Gutachten wird zudem ein weiterer Engpass gebaut: Zwischen Tuttlingen und Hattingen ergibt sich nach Angaben der Gutachter eine Auslastung der Strecke von über 110%. Die Bundesregierung ist dieses Problem bekannt. Auf Nachfrage behauptet sie jedoch, dass dieser Abschnitt nicht Teil der Untersuchung war und daher nicht ausgebaut werden soll. Dabei liegt dieser Abschnitt zentral auf der Gäubahn und gehört ebenso wie die restliche Gäubahn vollständig zweigleisig ausgebaut.
Fazit
Mit diesen milliardenteuren Sandkastenspielen hat man die eigene Berechnungsmethodik ausreichend manipuliert, um die Wirtschaftlichkeit nachzuweisen – auf dem Papier und gegen die Interessen der Reisenden und der Steuerzahlenden. Ebenso fehlt vollkommen die Berücksichtigung von unpünktlichen Zügen. Verspätungsabbau ist mit einer Infrastruktur, die auf das absolut Notwendige reduziert ist, nicht möglich. Für eine langfristig gut nutzbare Gäubahn braucht es eine durchgehende Zweigleisigkeit dieser wichtigen Achse.