Gäubahn: Durch Manipulation zum Tunnel

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04.06.2021

Wirtschaftlichkeit herbeigetrickst

Der Bund darf Bahn­stre­cken nur (aus)bauen, wenn der Nach­weis der Wirt­schaft­lich­keit erbracht wur­de. Wie stark der­ar­ti­ge Berech­nun­gen mani­pu­liert wer­den kön­nen, zeigt die Bun­des­re­gie­rung an der Gäu­bahn. Weil sie unbe­dingt einen teu­ren Tun­nel an den Flug­ha­fen bau­en will, der nicht benö­tigt wird, wird kräf­tig getrickst. Der Nut­zen für den Fahr­gast bleibt frag­wür­dig.

Im Som­mer letz­ten Jah­res war­te­te das Bun­des­ver­kehrs­mi­nis­te­ri­um mit einer Über­ra­schung auf: Es wur­den völ­lig neue Ideen für den Aus­bau der Gäu­bahn vor­ge­legt. Dar­un­ter befand sich ein mehr als 10 Kilo­me­ter lan­ger Tun­nel zwi­schen Böblingen/Goldberg und dem Flug­ha­fen. Inzwi­schen, weni­ge Tage vor der Land­tags­wahl im März, wur­den Ergeb­nis­se einer Mach­bar­keits­stu­die vor­ge­legt. Der Aus­bau soll dem­nach auf ein Nut­zen-Kos­ten-Ver­hält­nis von 1,2 gekom­men sein und damit knapp im Bereich der Wirt­schaft­lich­keit lie­gen. Ich habe mir die ver­füg­ba­ren Infor­ma­tio­nen näher ange­schaut und eine Klei­ne Anfra­ge an die Bun­des­re­gie­rung gerich­tet. Dar­aus ergibt sich noch kein voll­stän­di­ges, aber doch ein ziem­lich genau­es Bild von einem Pro­jekt, das mit tie­fen Grif­fen in die Trick­kis­te her­bei­ma­ni­pu­liert wur­de.

Ent­fal­len­de Zug­hal­te

Man lässt wich­ti­ge Zug­hal­te aus­fal­len, um mehr Rei­se­zeit zu gewin­nen. Der Ent­fall in Sin­gen (Hoh­ent­wiel) und die Nut­zung der Sin­ge­ner Kur­ve brin­gen 6,5 Minu­ten. Dass der Zug statt­des­sen in Sin­gen Lan­des­gar­ten­schau hält, wird mit einer „Anbin­dungs­zeit“ von zwei Minu­ten ver­an­schlagt. Dar­un­ter wird der zeit­li­che Mehr­auf­wand für die Rei­sen­den ver­stan­den, die statt wie bis­her nach Sin­gen (Hoh­ent­wiel) zur Lan­des­gar­ten­schau gelan­gen müs­sen. Unter dem Strich bleibt eine sat­te Zeit­ein­spa­rung. Fahr­gast­ver­lus­te wegen der Ver­le­gung des Hal­tes wer­den nicht ange­nom­men – im Gegen­teil. Weil die Gäu­bahn durch zahl­rei­che bau­li­che Aus­bau­schrit­te und eine deut­li­che Fahr­zeit­ver­kür­zung attrak­ti­ver wer­den soll, wird in Sin­gen von 90.000 Rei­sen­den pro Jahr zusätz­lich (ent­spricht einem Plus um über fünf Pro­zent) aus­ge­gan­gen.

Der Ent­fall des Zug­hal­tes in Böb­lin­gen bringt eine Rei­se­zeit­ver­kür­zung um zwei Minu­ten. Obwohl die­ser Halt – anders als in Sin­gen – nicht ver­legt, son­dern voll­stän­dig ent­fal­len soll, wer­den kei­ne Fahr­gast­ver­lus­te ein­kal­ku­liert. Der Trick funk­tio­niert so: Böb­lin­gen wur­de ein­fach schon im Bezugs­fall nicht mehr bedient. Man nimmt also an, dass der Zug dort nie gehal­ten hät­te. Somit gibt es auch kei­ne Fahr­gast­ver­lus­te. Man hät­te, so die Bun­des­re­gie­rung, die­sen Halt ent­fal­len las­sen, um die im Deutsch­land­takt vor­ge­se­he­ne Gesamt­fahr­zeit errei­chen zu kön­nen. Fakt ist aber: Der Deutsch­land­takt sieht eine Fahr­zeit­ver­kür­zung um 11 Minu­ten vor. Damit sol­len die Anschlüs­se in Stutt­gart und Zürich erreicht wer­den. Nun ist jedoch eine Fahr­zeit­ver­kür­zung um 20 (bis­he­ri­ge Aus­sa­ge Bun­des­ver­kehrs­mi­nis­te­ri­um) bzw. sogar um 22,5 Minu­ten (Ant­wort auf Klei­ne Anfra­ge; aber neu­er Bezugs­fall) vor­ge­se­hen. Die­se kür­ze­ren Rei­se­zei­ten brin­gen zwar den Fahr­gäs­ten kaum Vor­tei­le, erhö­hen aber den rech­ne­ri­schen Nut­zen und rela­ti­ve­ren damit die hohen Inves­ti­ti­ons­kos­ten. Dabei ist völ­lig unklar, war­um im Bezugs­fall die Rei­se­zeit im Ver­gleich zur heu­ti­gen Fahr­zeit erhöht wor­den ist, obwohl sogar Hal­te weg­ge­fal­len sind.

Fahr­plan­puf­fer auf­ge­löst

Im „Klein­ge­druck­ten“ teilt uns die Bun­des­re­gie­rung in ihrer Ant­wort mit, dass vier Minu­ten an „Fahr­zeit­über­schuss“ zwi­schen Horb und Böb­lin­gen abge­baut wor­den sei­en. Die­se Zeit ist als „Puf­fer“ für die Fahr­zeit­sta­bi­li­tät zu ver­ste­hen und die rech­ne­ri­sche Her­aus­nah­me erhöht eben­falls den Nut­zen des Pro­jek­tes.

Fik­ti­ve Güter­zü­ge

Man geht davon aus, dass die Gäu­bahn frü­her aus­ge­baut sein wird als die Rhein­tal­bahn (mit deren Aus­bau­pla­nun­gen bereits vor Jah­ren begon­nen wur­de, wäh­rend für die Gäu­bahn noch mit kei­ner­lei Pla­nun­gen begon­nen wur­de). Dann ver­la­gert man Güter­zü­ge über­gangs­wei­se auf die Gäu­bahn und hat – schwupp­di­wupp – eine höhe­re Ver­kehrs­nach­fra­ge.

Neu­er Eng­pass geplant

Zwi­schen Neckar­hau­sen und Sulz soll ein neu­er ein­glei­si­ger (!) Stre­cken­ab­schnitt inklu­si­ve eines 2,7 Kilo­me­ter lan­gen Tun­nels gebaut wer­den. Einen Bedarf für ein zwei­tes Gleis gebe es nicht, so die Bun­des­re­gie­rung. Unse­re Fra­ge, wes­halb die Bestands­stre­cke auf die­sem Abschnitt auf­ge­löst wer­den soll, ließ die Bun­des­re­gie­rung unbe­ant­wor­tet. Hier wird ein Eng­pass lang­fris­tig zemen­tiert, anstatt den Aus­bau für Kapa­zi­täts­er­wei­te­run­gen zu nut­zen.

Aus­bau Horb – Neckar­hau­sen

Die­ser heu­te noch ein­glei­si­ge Stre­cken­ab­schnitt soll, wie schon lan­ge vor­ge­se­hen, wei­ter­hin zwei­glei­sig aus­ge­baut wer­den. Der Bau­be­ginn ist noch für die­ses Jahr und die Fer­tig­stel­lung für Ende 2023 vor­ge­se­hen. Mit wei­te­ren Aus­bau­maß­nah­men ist in den nächs­ten Jah­ren nicht zu rech­nen.

Neu­er Eng­pass Tutt­lin­gen – Hat­tin­gen

Im Gut­ach­ten wird zudem ein wei­te­rer Eng­pass gebaut: Zwi­schen Tutt­lin­gen und Hat­tin­gen ergibt sich nach Anga­ben der Gut­ach­ter eine Aus­las­tung der Stre­cke von über 110%. Die Bun­des­re­gie­rung ist die­ses Pro­blem bekannt. Auf Nach­fra­ge behaup­tet sie jedoch, dass die­ser Abschnitt nicht Teil der Unter­su­chung war und daher nicht aus­ge­baut wer­den soll. Dabei liegt die­ser Abschnitt zen­tral auf der Gäu­bahn und gehört eben­so wie die rest­li­che Gäu­bahn voll­stän­dig zwei­glei­sig aus­ge­baut.

Fazit

Mit die­sen mil­li­ar­den­teu­ren Sand­kas­ten­spie­len hat man die eige­ne Berech­nungs­me­tho­dik aus­rei­chend mani­pu­liert, um die Wirt­schaft­lich­keit nach­zu­wei­sen – auf dem Papier und gegen die Inter­es­sen der Rei­sen­den und der Steu­er­zah­len­den. Eben­so fehlt voll­kom­men die Berück­sich­ti­gung von unpünkt­li­chen Zügen. Ver­spä­tungs­ab­bau ist mit einer Infra­struk­tur, die auf das abso­lut Not­wen­di­ge redu­ziert ist, nicht mög­lich. Für eine lang­fris­tig gut nutz­ba­re Gäu­bahn braucht es eine durch­ge­hen­de Zwei­glei­sig­keit die­ser wich­ti­gen Ach­se.