Probleme und Lösungen im öffentlichen Gespräch
Die Züge auf der Bahnstrecke zwischen Tübingen und Stuttgart fallen immer wieder durch Unpünktlichkeit auf aktuelle Werte siehe ganz unten). Was sind die Gründe, wie können die infrastrukturellen Lösungen im Bahnknoten Plochingen aussehen? Darüber sprach ich in einer Folgeveranstaltung mit Fachleuten.
Eingangs der öffentlichen Veranstaltung mit knapp 40 Teilnehmenden verwies ich darauf, dass es vor Wochen bereits eine Veranstaltung gab, in der wir uns intensiv mit den Verspätungsursachen auf der Bahnstrecke zwischen Tübingen und Stuttgart befasst hatten. Siehe https://www.matthias-gastel.de/bahnprobleme-tuebingen-stuttgart-eroertert/ Wir hatten festgestellt, dass Verspätungen zumindest teilweise unabhängig von Betreibern und Fahrzeugen gehäuft auftreten. Ganz offensichtlich muss es also auch infrastrukturelle Ursachen für die Unzuverlässigkeit im Bahnbetrieb geben. Festzustellen ist auch, dass das Land die Zugangebote massiv ausgebaut hat, ohne dass die Infrastruktur an der Strecke und im Knoten Plochingen ausgebaut wurde. Ein verlässliches Angebot ist aber wichtig für den notwendigen Fahrgastzuwachs zu Lasten der Straße.
Im Bahnknoten Plochingen, wo zwei wichtige Bahnstrecken zusammenfließen, ist der Infrastrukturengpass besonders spürbar. Diesem Knoten kommt eine herausragende Bedeutung für einen verlässlichen Bahnverkehr zu. Mögliche Lösungen dort sind aber überwiegend kompliziert. Daher hatte ich spontan angekündigt, dass ich dazu eine gesonderte Veranstaltung anbieten werde. Diese hat nun stattgefunden und ich gebe hier auszugsweise die Einschätzungen und Ideen wider. Einige der Maßnahmen zielen auf höhere fahrbare Geschwindigkeiten ab. Wenn diese nicht vollständig in den Fahrplan „eingepreist“ werden, entstehen Spielräume, um Verspätungen durch höhere Geschwindigkeiten abbauen zu können.
Dominic Ludwig (Triebfahrzeugführer Abellio)
Der Triebfahrzeugführer Dominic Ludwig beschrieb die Ausgangslage aus der praktischen Sicht und ließ die Gäste der Veranstaltung gedanklich von Stuttgart aus im Führerstand mitfahren. Zuvor hatte er sich unter Kollegen umgehört, um auch deren Erfahrungen und Einschätzungen einfließen lassen zu können. Das Problem beginnt demnach schon zwischen Stuttgart Hauptbahnhof und Bad Cannstatt. Der Hauptbahnhof ist insbesondere während der Hauptverkehrszeiten überlastet und nach Bad Cannstatt gibt es zu wenige Gleise. In Esslingen muss bei der Ausfahrt ein sehr langes Gleisfeld durchfahren werden, auf dem nur 60 Stundenkilometer gefahren werden kann. Danach kann auf 150 Stundenkilometer beschleunigt werden. Ab Esslingen-Zell wird oft 70 Stundenkilometer vorangekündigt, was zunächst ein Abbremsen auf 85/80 und schließlich auf 70 Stundenkilometer kurz vor Plochingen bedeutet. Theoretisch wären bis Altbach 130 Stundenkilometer möglich. Ein langer Blocksignalabstand und Selbststellbetrieb sind dafür verantwortlich, dass diese Geschwindigkeit nicht gefahren werden kann. Die Ausfahrt in Plochingen erfolgt über einen langen Weichenbereich mit lediglich 40 Stundenkilometer, gefolgt von 80 Stundenkilometer bis Wernau und dann 100 Stundenkilometer. Bei Verspätung der RB nach Tübingen wird in Plochingen ein anderer Zug vorgelassen. Somit wächst die Verspätung von wenigen Minuten auf mindestens 6 Minuten an, die sich bis Tübingen kaum abbauen lassen. In Tübingen sorgt die kurze Richtungswechselzeit dafür, dass Verspätungen oft auch in Folgefahrten miteingeführt werden. In die Gegenrichtung ist das Zusammenlaufen der beiden Bahnstrecken in Plochingen (aus Richtung Tübingen und aus Richtung Göppingen kommend) als schwierig zu bezeichnen. Die Züge aus Tübingen haben eine ähnliche Fahrplanlage wie die Regionalbahnen (RB) aus Ulm/Göppingen. Dazu sind auf insbesondere auf der Filstalbahn noch Güterzüge und Fernverkehrszüge unterwegs. Die Strecke ist stark belastet und dichte Zugfolgezeiten sorgen für Probleme: „Wenn man seine Trasse verpasst ist es kaum mehr möglich, die Zeitverluste aufzuholen.“
Im Stuttgarter Hauptbahnhof hat Abellio seit kurzem von der Ein-Mann-Wende auf die Zwei-Mann-Wende umgestellt. Dies bedeutet, dass ein zweiter Triebfahrzeugführer am anderen Ende des Zuges wartet, um diesen schnell für den Fahrtrichtungswechsel startklar machen und mit verkürzter Wendezeit möglichst pünktlich abfahren zu können.
Ludwigs Vorschlag lautet, die RB18 in Plochingen auf Gleis 9 und über S‑Bahn-Gleis ausfädeln zu lassen.
Patrick Wernhardt (VWI)
Der Verkehrsingenieur erinnerte daran, dass die RE/RB früher auf den S‑Bahngleisen fuhren und in Richtung Tübingen auf Gleis 9 hielten. Nur die IRE-Züge wechselten auf Ferngleise, wenn sie in Plochingen nicht hielten. Dies sei aus guten Gründen geändert worden, weil mehr Züge in Richtung Heilbronn/Osterburken durchgebunden werden. Damit diese auf den Fernbahngleisen in Richtung Ludwigsburg verkehren können, ist auf Grund des Gleisvorfelds des Stuttgarter Hauptbahnhofs auch auf der Filstalbahn eine Führung über die Ferngleise sehr vorteilhaft. Außerdem muss berücksichtigt werden, dass unterschiedliche Bahnsteige unterschiedliche Höhen aufweisen und für die Gewährleistung der Barrierefreiheit nicht jeder Zug überall halten kann.
Mit der geplanten Verlängerung der S‑Bahn nach Nürtingen (15‘-Takt bis Wendlingen) muss auch Gleis 10, an dem S‑Bahnen bisher nur aus Richtung Stuttgart enden, leistungsstark in Richtung Wendlingen angebunden werden.
Wernhardts Vorschlag lautet, in Plochingen eine leistungsfähigere Verbindung von den Fern- auf die S‑Bahngleise zu schaffen. Damit können die heutigen Zeitverluste auf den langen Abschnitten, die nur mit 40 Stundenkilometer befahren werden können, vermieden werden. Die Umbauten sollten, um Synergieeffekte nutzen und damit die Kosten gering halten zu können, gemeinsam mit dem digitalen Knoten Stuttgart erfolgen.
Steffen Thomma (Verkehrsingenieur, Infrastruktur-Experte)
Der Verkehrsingenieur spricht auch auf Basis seiner Erfahrungen als langjähriger Pendler zwischen Stuttgart und Tübingen. Die Konfliktpunkte in Plochingen schildert er anhand einer Gleiskarte wie folgt: Die auf Gleis 9 einfahrende S1 gerät mit der aus Gleis 10 ausfahrenden S1 (Zwischentakter) in einen Fahrstraßenkonflikt. Der auf Gleis 6 einfahrende Regionalzug aus Tübingen muss über das Durchfahrgleis Richtung Göppingen fahren und gerät so in einen Fahrstraßenkonflikt mit aus Richtung Stuttgart nach Göppingen durchfahrenden Zügen. Außerdem sind die Weichen im Ostkopf zu langsam befahrbar.
Thommas Optimierungsvorschläge beziehen sich auf eine Neuordnung der Gleisbelegungen, den Einbau schneller befahrbarer Weichen und eines Überwerfungsbauwerkes (Brücke): Um Gleiskreuzungen zu vermeiden, schlägt er vor, die Gleise 6 und 7 für S‑Bahn und Regionalzüge in Richtung Stuttgart und die Gleise 9 und 10 in Richtung Tübingen zu nutzen. Der Ostkopf des Bahnknotens soll so umgestaltet werden, die Einfädelung der Neckar-Alb Bahn durch schneller befahrbare Weichen verbessert wird. Wenn der Ostkopf schnellere Weichen erhält, dann sollte auch gleich eine neue Weichenverbindung geschaffen werden, um die Einfahrten aus Tübingen auf Gleis 6 zu ermöglichen, ohne das Durchfahrgleis Richtung Göppingen zu berühren. So werden beide Fahrten gleichzeitig ermöglicht.
Im Westkopf schlägt er zum höhenfreien Einfädeln auf das Ferngleis Richtung Stuttgart eine Brücke vor. Damit sollen die Konflikte bei Fahrten von Tübingen in Richtung Stuttgart mit den Zügen aus Richtung Stuttgart nach Göppingen aufgelöst werden.
Tobias Bückle (DB Netz, Region Südwest)
Der Vertreter der Deutschen Bahn nahm die eingebrachten Ideen dankend auf und berichtete, dass eine neue Weichenverbindung im Ostkopf des Bahnhofs (Finanzierung über die Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung für Ersatzinvestitionen) untersucht werde. Zusätzliche betriebliche Flexibilität könnte etwa durch Überleitstellen auf den Strecken erreicht werden. Der DB-Vertreter erwähnte in diesem Zusammenhang die bestehenden Finanzierungstöpfe des Bundes für die Schieneninfrastruktur und die damit zusammenhängenden Modalitäten. Um vom Bund Geld für Baumaßnahmen zu bekommen, muss die Bahn ein positives Kosten-Nutzen-Verhältnis nachweisen. Perspektivisch werde der Verkehr in Plochingen, etwa durch die Inbetriebnahme der Neubaustrecke Wendlingen – Ulm mit dem Bahnhof Stuttgart 21 eher abnehmen.
Fazit
Für eine bessere Pünktlichkeit und weniger Zugausfälle braucht es aktive Eisenbahnverkehrsunternehmen mit ausreichend Personal und geeignetem, gut gewartetem Fahrzeugmaterial. Es braucht aber auch eine Infrastruktur, die Verspätungen nach Möglichkeit verhindert und Verspätungsabbau ermöglicht. Weichen, über die sich spurtstarke Züge nur schleichend hinweg bewegen können, sind kein Beitrag hierfür. Dasselbe gilt für eine Häufung von Fahrstraßenkonflikten im Bahnknoten Plochingen. Hinzu kommen noch (siehe 1. Teil meiner beiden Veranstaltungen) zu lange Blockabstände und Geschwindigkeitseinbrüche auf der Strecke zwischen Tübingen und Plochingen/Stuttgart.
Der Bund muss neben allen sinnvollen Aus-/Neubauprojekten endlich auch mehr in Qualität auf den Bestandsstrecken investieren. Dies sind meist Kleinmaßnahmen, für die ein Haushaltstitel zur schnellen Finanzierung bzw. Umsetzung geschaffen werden muss.
Wie es um die Pünktlichkeit steht
In den Kalenderwochen 29, 30 und 31 (19. Juli bis 08. August) waren zwischen 78,1 und 82 Prozent der Züge pünktlich oder maximal 3:59 Minuten verspätet. Pünktlich oder maximal 5:59 Minuten waren zwischen 87,7 und 90,3 Prozent. Diese Werte beziehen sich auf die Ankunftspünktlichkeiten in Tübingen und Plochingen.
Komplett oder auf Teilstrecken ausgefallen sind in den drei Wochen zwischen 1 und 1,5 Prozent aller Züge, das waren insgesamt 21 Züge. Als Begründungen wurden am häufigsten “Störungen an Triebfahrzeugen” angegeben (10x), gefolgt von “kurzfristigem Personalausfall” (6x). Auffallend war, dass 20 bis 21 Prozent der Züge geplant ausgefallen sind. Als Grund gab Abellio an, dass dies mit verschiedenen Bautätigkeiten der DB Netz AG zwischen Stuttgart Hbf. und Tübingen Hbf. zu tun gehabt habe. Dazu hätten die Stammstreckensperrung sowie die baustellenbedingte Eingleisigkeit zwischen Tübingen und Reutlingen gezählt, wodurch der IRE 6 knapp zwei Wochen nicht gefahren sei.