Kleines Fachgespräch – Verknüpfung von Stadtbahnen?
Wir auf den Fildern kennen die Situation: Viel Verkehr und oft auch Staus auf den Straßen. An öffentlichen Verkehrsmitteln gibt es zwischen Leinfelden-Echterdingen/Filderstadt und dem Neckartal (Esslingen/Plochingen/Wendlingen) entweder umwegige Bahnverbindungen oder Busse, die oft im Stau stehen. Es wurden schon viele Stadtbahn- und S‑Bahn-Ideen untersucht und meist wieder verworfen. Aktuell liefen/laufen wieder entsprechende Untersuchungen. Im Gespräch ist beispielsweise “StuKiX”, ein (Karlsruhe-)Stuttgart-Kirchheim-Express über den Flughafen und die im Bau befindliche Neubaustrecke entlang der Autobahn.
In einer öffentlichen Videokonferenz nahm ich mir – mit fachlicher Unterstützung – die unterschiedlichen Varianten vor. Dafür standen der Geschäftsführer des Verkehrswissenschaftlichen Instituts Stuttgart, Stefan Tritschler, und die Regionalrätin Lena Weithofer, Rede und Antwort. Tritschler stellte die Sachstände aus verkehrswissenschaftlicher Sicht dar. Beide bewerteten Chancen, Realisierbarkeit und Nutzen der Varianten.
Aspekte VWI Stefan Tritschler
Tritschler erläuterte zunächst die Unterschiede zwischen Eisenbahn und Stadtbahn. Letztere ist flexibler in Bau und Betrieb, fährt aber geringere Geschwindigkeiten. Untersucht wird die Durchbindung der Stadtbahnlinie U 7 von Nellingen hinunter nach Esslingen. Bei der Untersuchung der Verlängerung der S2 nach Neuhausen wurde sowohl die im Bau befindliche S‑Bahn untersucht als auch eine Stadtbahnverlängerung im Flughafentunnel und die Rücknahme der S‑Bahn zum Flughafern. Eine Stadtbahn sei zwar einfacher zu bauen, jedoch ist die Lage am Flughafen sehr kompliziert und eine weitere Verlängerung der U6 über den Flughafen hinaus technisch kaum zu realisieren. Die Weiterführung der U5 nach Osten über den neu geplanten Endpunkt in Echterdingen hinaus ist aufgrund der engen Bebauung und der oftmals zu engen Radien selbst für eine Stadtbahn schwierig umzusetzen. Eine Untertunnelung der Orte ist sehr aufwändig und teuer. Der Bau von Trassen und Haltestellen an den Ortsrändern wäre zu weit weg von großen Teilen der Fahrgastpotentiale.
Ein Bau von S‑Bahnstrecken von der Filderebene ins Neckartal ist technisch machbar, jedoch machen die enormen Baukosten von teilweise bis zu einer Milliarde Euro die Strecke nicht wirtschaftlich. Es müssen mit vielen teuren Ingenieurbauwerken die Täler überwunden werden. Auch ist die dichte Bebauung im Neckartal um Wendlingen einer möglichen Trasse im Weg. Untersucht wurden durch das VWI insgesamt sieben Varianten, von denen sechs baulich möglich, aber sehr teuer im Bau und im Betrieb und daher überwiegend sehr weit weg von einer Wirtschaftlichkeit sind.
Da der Verband Region Stuttgart (VRS) als Aufgabenträger die S‑Bahn in den Hauptverkehrszeiten mit Langzügen betreiben will und ein Stärken bzw. Schwächen (Trennen und Kuppeln) auf dem Linienlauf nicht möglich ist, wird diese hohe Kapazität auch auf einem neuen S‑Bahn Abschnitt Fildern-Neckartal verkehren. Hier besteht allerdings nicht die Nachfrage, sodass ein Langzug für diesen Abschnitt überdimensioniert ist und zu hohe Betriebskosten aufweist. Eine neue Trasse entlang der B 27 in Richtung Tübingen/Reutlingen ist theoretisch machbar, jedoch müssen auch hier große und teure Ingenieurbauwerke errichtet werden, welche den Kosten-Nutzen-Koeffizienten negativ beeinflussen. Zugleich ist die Fahrgastnachfrage entlang der Bundesstraße für die Länge der Strecke zu gering.[1] Die Menschen aus dem Raum Reutlingen/Tübingen sind gut angebunden und werden mit Stuttgart 21 (schnelle Verbindung über die Wendlinger Kurve und den Flughafen) noch besser angebunden.
Eine S‑Bahn-Erweiterung über Kirchheim hinaus in Richtung Weilheim und Göppingen sollte im Hinterkopf behalten werden. Hier ist zudem die Etablierung einer Regionalstadtbahn denkbar, ähnlich zu den Systemen in Karlsruhe und Tübingen. Mit einer Taktverbesserung auf der Teckbahn und einer Reaktivierung nach Weilheim/Ausbau nach Göppingen kann ein Fahrgastpotential generiert werden, das allen weiteren Ausbauplänen zugutekommen könnte. Siehe zur Reaktivierung der Bahnstrecke von Kirchheim nach Weilheim diese Kurzdarstellung einer sehr interessanten Masterarbeit: https://www.matthias-gastel.de/chance-fuer-reaktivierung-kirchheim-weilheim/
Eine Erweiterung und Optimierung des Bussystems auf den Fildern ist als kurz- bis mittelfristige Lösung eine gute Möglichkeit, um den Öffentlicher Verkehr in der Region zu stärken. Hier bedarf es aber einer konsequenten Herangehensweise bei der Engpassbeseitigung beispielsweise durch den Bau von langen Busspuren.
Herr Tritschler erläuterte die verkehrswissenschaftliche Vorgehensweise inklusive der Unwägbarkeiten: Die langen Realisierungszeiten im Verkehrswesen müssen bereits bei der Planung von Projekten berücksichtigt werden. Man muss in die Zukunft schauen, wie dort der Verkehr aussieht und mit diesen Prognosen planen. Auch ziehen die langen Verfahrenswege die Projektrealisierung in die Länge. Die zukünftigen Randbedingungen der Projekte müssen heute schon berücksichtigt werden. Welche Projekte werden realisiert werden, welche weiteren Infrastrukturprojekte anderer Verkehrsträger sind in Planung, wie sieht das Mobilitätsverhalten zukünftiger Generationen aus? Hierbei bildet der Bundesverkehrswegeplan (BVWP) oft die Grundlage.
Unter den untersuchten Eisenbahn-Varianten erwies sich der StuKiX (Stuttgart-Kirchheim-Express) als die beste Option, mittelfristig mit verhältnismäßig wenig Infrastrukturneubau eine Verbesserung zu bewirken. Diese Version, die vermutlich bis Karlsruhe durchgebunden wird, nutzt die Neubaustrecke und sieht den Flughafen als einzigen Zwischenhalt im Landkreis vor. Erforderlich ist dafür „nur“ der Neubau einer Südumfahrung von Wendlingen. Sonst wird ausschließlich die bestehende bzw. die im Bau befindliche Infrastruktur genutzt. Durch eine Errichtung eines Knotens in Kirchheim mit reaktivierten Strecken in Richtung Weilheim kann der StuKiX über die magische 1,0 in der Nutzen-Kosten-Analyse gehoben werden. Zuständig wäre, im Gegensatz zu den S‑Bahn-Varianten, das Land. Hier weitere Infos über den „StuKiX“: https://www.matthias-gastel.de/neue-idee-stuttgart-kirchheim-express-stukix/
Eine Weiterführung der S‑Bahn vom Flughafen über die NBS nach Wendlingen ist aufgrund der langsamen Geschwindigkeit der S‑Bahnen nicht möglich. Auch müsste man teure Ein- und Ausfädelungsbauwerke bauen, um zusätzliche Zwangspunkte in der Fahrplankonstruktion zu umgehen. Zudem sinkt damit die Kapazität auf der NBS und eine Angebotsausweitung im Fernverkehr ist nicht möglich. Zudem werden unterwegs keine zusätzlichen Halte entstehen und keine neuen Fahrgäste an die S‑Bahn angeschlossen.
Eine Umfahrung von Neuhausen (im Nordwesten) würde zwar einen teuren Tunnel sparen, jedoch – je nach Variante – erhebliche Reisezeitverluste bedeuten.
Der Bau eines dritten oder vierten Gleises entlang der NBS ist möglich, jedoch ist hier wieder das Problem der dichten Bebauung im Neckartal zu lösen.
Aspekte Politik Lena Weithofer
Der VRS ist nicht für die Stadtbahn verantwortlich. Die Untersuchungen für die S‑Bahn-Varianten sind enttäuschend, da sich keine absehbar wirtschaftliche Version ergeben hat. Der StuKiX ist die große Hoffnung für die Menschen in der Region Kirchheim.
Der VRS hat beschlossen, den StuKiX in Verbindung mit den Strecken nach Weilheim und Göppingen näher untersuchen zu wollen. Die Südumfahrung Wendlingen ist wichtig für die Etablierung eines 15-Minutentaktes der S1 nach Kirchheim. Die unterschiedlichen Bahnsteighöhen auf der Strecke nach Kirchheim müssen beim StuKiX berücksichtigt werden, da hier auf die Barrierefreiheit geachtet werden muss. Die Verkehrsdrehscheibe Kirchheim mit Verbesserungen auf der Teckbahn ist sehr gut. Die Fortschreibung der Standi (Bewertungsverfahren für den Nachweis des volkswirtschaftlichen Nutzens und damit der Förderfähigkeit) ist die große Hoffnung, dass manche Projekte dadurch neuen Schub bekommen.
Auch soll ein Ausbau der Expressbusse und die Etablierung eines Regionalstadtbahnkonzeptes geprüft werden.
Fazit
Es wurde schon sehr viel an Varianten für die bessere Erschließung der Filder untersucht. Die überzeugende Lösung war noch nicht darunter. Dabei gab es schon Verbindungen, die heute fehlen: Eine Straßenbahn zwischen Denkendorf/Nellingen und Esslingen beispielsweise oder auch eine durchgehende Busverbindung von L‑E über Filderstadt und Ostfildern nach Esslingen. Die eine wurde abgebaut, die andere aufgegeben, weil die Busse ständig im Stau standen. „StuKiX“ ist momentan in Sachen Eisenbahn die einzige, wenn auch für die westliche Filder wenig ergiebige Hoffnung. Diese Version ist sozusagen der „Spatz in der Hand“. Eine solche Verbindung würde die Menschen von Kirchheim sehr schnell nach Stuttgart (und ggf. Karlsruhe) bringen. Aber mit dem Flughafen sind eben noch längst nicht die Orte abseits der S‑Bahnen wie Musberg, Stetten, Plattenhardt, Bonlanden und Sielmingen oder auch Wolfschlugen besser angebunden. Hier kann nur der Ausbau der Stadtbahn helfen. Es gibt bereits oder es wird in absehbarer Zeit Endhaltestellen der Stadtbahnen geben in Plieningen, Nellingen, Echterdingen und am Flughafen. Eine Verknüpfung dieser Endhalte würde ein fast schon optimales Netz spinnen, das die Orte untereinander und auch mit dem Flughafen deutlich besser als es heute gegeben ist verbindet. Wichtig ist, dass die Neufassung des „Standardisierten Verfahrens“ endlich vorgelegt wird, um dem Ausbau von Eisenbahn- und Stadtbahnsystemen endlich eine bessere Perspektive zu verschaffen.[2]
Aus den von Herrn Tritschler genannten Gründen ist keine der Eisenbahn- und Stadtbahnausbauten einfach zu realisieren. Die Unterversorgung eines großen Teils der westlichen Filder mit attraktiven Schienenverbindungen zwingt uns aber dazu, nach jedem Strohhalm zu greifen und jede noch so kleine Chance auszuloten. Daher müssen alle Varianten schnell vertieft untersucht werden. Darüber hinaus möchte ich eine Untersuchung von Stadtbahnsystemen auf den Fildern erreichen, um die Orte besser untereinander und mit dem Flughafen zu verbinden.
[1] Dazu aus der Untersuchung von 2013/2014: Es wurden zwei Trassenvarianten untersucht, die beide zweigleisig im Tunnel unter dem Flughafen von der bestehenden Trasse nach Filderstadt in südliche Richtung abzweigen und bis Gniebel identisch verlaufen. Variante 1 würde vor der Station Tü-Lustnau auf die Neckar-Alb-Bahn münden und zuvor Plattenhardt/Bonlanden, Aich, Schlaitdorf, Häslach, Walddorf, Gniebel und Rübgarten anbinden. Variante 2 würde weiter östlich verlaufen und statt Rübgarten Altenburg anbinden.
Die Investitionskosten würden jeweils bei 1,2 Mrd. € liegen. Es würden etwa 8,5 bzw. 6,6 km im Tunnel und 6 bzw. 8,3 km auf Talbrücken verlaufen. Die hohen Baukosten bei gleichzeitiger Erschließung von fast ausschließlich kleinen Orten noch dazu meist in Ortsrandlage haben dazu geführt, dass erst gar kein NKV ermittelt wurde und die Idee nicht weiter verfolgt wurde.
[2] Das „Standardisierte Verfahren“ („Standi“) ist die Berechnungsmethodik, nach der Nutzen und Kosten von Investitionen in die Verkehrsinfrastruktur gegenüber gestellt wird. Das noch aktuelle Verfahren stammt aus dem Jahr 2016 und steht in der Kritik, da es stark auf Großstädte zugeschnitten ist und Aspekte wie Verkehrsverlagerungen und Klimaschutz zu schwach berücksichtigt. Die geplante neue Methodik soll Projekten in Randlagen von Ballungsräumen und im ländlichen Raum bessere Chancen vergeben. Dadurch, dass sich das neue Verfahren verzögert, verzögern sich auch Entscheidungen über Projekte wie die Stadtbahn zwischen Ostfildern und Esslingen.