06.09.2021
Bahn wird ausgebaut – Aber kaum in Deutschland
Vor 25 Jahren, am 6. September 1996, unterzeichneten die Schweiz und Deutschland den Vertrag von Lugano. Das Vertragswerk beinhaltet den umfassenden Ausbau der Eisenbahninfrastruktur zwischen beiden Ländern, wie beispielsweise den viergleisigen Ausbau der Strecke Karlsruhe – Basel. Hier ziehe ich eine kleine Bilanz.
Den vertraglichen Verpflichtungen des Vertrags von Lugano ist Deutschland in den zurückliegenden 25 Jahren völlig unzureichend nachgekommen. Während die Schweiz in dieser Zeit mit dem Lötschberg- und Gotthard-Basistunnel zwei Megaprojekte gestemmt und gleichzeitig zahlreiche weitere Vorhaben des Konzepts ‚Bahn 2000‘ termingerecht umgesetzt hat, hinkt Deutschland mit den zugesicherten Bahnprojekten teils Jahrzehnte hinterher.
Der Aus- und Neubau der Oberrheinstrecke von Karlsruhe nach Basel wird sich über die 2030er-Jahre hinaus hinziehen. Derzeit wird der Projektabschluss auf 2041 terminiert – 45 Jahre nach Abschluss des Vertrags von Lugano. Damit droht die Verkehrsverlagerung in diesem wichtigen Nord-Süd-Korridor an der verfehlten Verkehrspolitik Deutschlands zu scheitern. Bei der Gäubahn in der Relation Stuttgart – Zürich sieht es noch schlechter aus, da hier noch nicht einmal klar ist, in welcher Weise ausgebaut werden soll.
Mit dem zwischen Deutschland und der Schweiz kürzlich abgeschlossenen Ressortabkommen geht der Vertrag von Lugano quasi in die Verlängerung, weil er von Deutschland bisher nicht erfüllt wurde. Dass Andreas Scheuer diese deutsche Blamage auch noch als Erfolg verkauft, macht deutlich, wie überfällig ein Kurswechsel in der deutschen Bahnpolitik ist. Das Bummelzugtempo, das Deutschland beim Bau grenzüberschreitender Bahnprojekte an den Tag legt, ist nicht auf die Projekte zwischen Deutschland und der Schweiz beschränkt. Ähnliche Probleme gibt es bei Eisenbahnstrecken in die Niederlande oder nach Polen und Tschechien. Die neue Bundesregierung muss der Bahnpolitik den nötigen Stellenwert einräumen. Für den Bahnausbau brauchen wir deutlich mehr Planungskapazitäten und kräftig erhöhte Investitionen[1]. Das geht nach unserer Auffassung am besten mit einem Infrastrukturfonds, der aus verschiedenen Quellen gespeist wird.
[1] Jetzt liegen diese Ausgaben gerade bei 1,5 Milliarden Euro im Jahr. Für neue Bundesfernstraßen gibt der Bund mit 3,1 Milliarden etwa das Doppelte aus. Wir liegen bei den Pro-Kopf-Ausgaben für den Bahnbau in Europa daher auf abgeschlagenen hinteren Rängen. Im deutschen Schienennetz gibt es bereits jetzt einen erkannten Investitionsbedarf für Aus- und Neubaustrecken von mehr als 100 Milliarden Euro.