Veranstaltung mit Sicherheitsexpertin Brugger
Putins völkerrechtswidriger Angriffskrieg gegen die Ukraine beschäftigt uns leider weiterhin. Putin geht dabei zunehmend brutal gegen die Zivilbevölkerung vor, sei es durch die Einkesselung der Stadt Mariupol verbunden mit dem Beschuss von Fluchtrouten und Hilfskonvois oder die Bombardierungen an verschiedenen Orten, bei denen es zu Einschlägen an Kindergärten und in Wohngebäuden kam. In der Nähe der Stadt Isjum wurde eine psychiatrische Klinik getroffen. Jüngst wurde auch ein großes Theater bombardiert, das über eintausend Menschen als Notunterkunft diente.
Der Krieg in Europa und die Lage in der Ukraine besorgen und verunsichern auch die Menschen hierzulande. Deshalb habe ich vor Kurzem zusammen mit Andreas Schwarz, dem Vorsitzenden der baden-württembergischen grünen Landtagsfraktion, und Agnieszka Brugger, meiner Kollegin aus dem Bundestag mit Sitz im Verteidigungsausschuss, eine öffentliche Videokonferenz veranstaltet, bei der ich die Fragen der Bürgerinnen und Bürger aufgegriffen habe.
Wie konnte es so weit kommen?
Agnieszka Brugger hat zunächst einen Überblick darüber gegeben, wie es überhaupt zur Eskalation kam und warum die diplomatischen und sanktionspolitischen Maßnahmen im Vorfeld nicht gegriffen haben.
Sie kommt zu der Einschätzung, dass Putin den Angriff schon lange geplant habe und dass der andauernde Krieg jetzt Ergebnis seiner Fehleinschätzung ist. Er hat auf der einen Seite die Widerstandsbereitschaft der Ukraine und auf der anderen Seite die Reaktion aus dem Rest der Welt untereschätzt. Extrem harte Sanktionen und ein Paukenschlag auf der UN-Generalversammlung, bei der über 130 Staaten sein Vorgehen verurteilt und nur 5 Staaten gegen die Resolution gestimmt haben – das hatte er sich wohl anders gedacht.
Auch die Wende der deutschen Bundesregierung, was Waffenlieferungen angeht, war eine direkte Reaktion auf den Angriffskrieg durch Russland und eine Bejahung des Rechts auf Selbstverteidigung der Ukraine.
Welche Gefahr droht den EU-Staaten?
Die zugeschalteten Bürgerinnen und Bürger hatten einige Fragen. Die erste große Frage zielte darauf ab, wie weit Russland gehen werde und ob EU-Staaten wie Finnland einen Angriff zu befürchten haben.
Agnieszka Brugger berichtete, dass das im Verteidigungsausschuss immer wieder diskutiert wird, dass es aktuell aber keine Anzeichen dafür gibt, dass Russland tatsächlich EU-Grenzen verletzen möchte.
Sie betonte außerdem, dass sich die NATO nach der Annexion der Krim trotz aller Verstärkung der Verteidigungsmaßnahmen immer an die Vereinbarungen mit Russland gehalten hat – die Aggression ging auch da schon immer von Putin aus, anders als er das gerne darstellt.
Die nuklearen Drohungen sieht sie mit großer Sorge. Sie sieht sie aber auch als Ausdruck von Putins Unsicherheit, weil er sich so verkalkuliert hat. Und sie sieht darin einen riesigen zivilisatorischen Rückschritt, der die ganzen Vereinbarungen und Abrüstungsbemühungen mit Russland hinfällig macht – die Drohungen werfen uns in der Hinsicht um Jahre zurück.
Die Lage hat sich mittlerweile weiter zugespitzt Putin warnte vor Waffenlieferungen aus dem Westen und erklärte entsprechende Konvois zu legitimen Zielen.
Flugverbotszone – Problem oder Lösung?
Doch wie steht es um die viel diskutierte Flugverbotszone? Was würde das bedeuten und was ist die Schwierigkeit dabei?
Agnieszka Brugger kann die Forderung nach einer solchen Flugverbotszone emotional nachvollziehen, weil die Flugverbotszone so friedlich klingt. Faktisch wäre das aber ein Einstieg der NATO in den Krieg und damit wahrscheinlich in den dritten Weltkrieg.
Denn der Ausspruch einer Flugverbotszone ist nichts anderes, als die Ankündigung, alle feindlichen Flugzeuge, die das Verbot verletzten, abzuschießen. Und Putin würde sich von der Ankündigung alleine nicht zwangsläufig abschrecken lassen. Und wenn er das testet und sein Flugzeug wird nicht abgeschossen, dann verliert die NATO ihre Glaubwürdigkeit – sie müsste die Flugzeuge also auch abschießen, wenn sie die Flugverbotszone ausruft. Und das geht nur durch militärische Gewalt und mit Präsenz vor Ort.
Brugger kann verstehen, dass man über alles nachdenkt und den Krieg schnell beenden will. Sie ist aber dankbar, dass Menschen wie Außenministerin Baerbock alles dafür tun, die Probleme zu lösen und mitfühlend zu sein, aber auch nicht unüberlegt handeln.
Wie steht es um die Abhängigkeit von russischem Gas und Öl?
Im Chat der Veranstaltung kam auch die Frage auf, ob wir uns nicht erpressbar machen, wenn wir weiterhin Gas und Öl aus Russland importieren.
Leider kann ich da keine besseren Aussichten geben. Wir sind im Gasbereich abhängig von Russland, wir decken bis zu 55% unseres Gasbedarfs mit Gas aus den Pipelines von Russland. Da sind kurzfristig keine Alternativen für uns verfügbar, da die Niederlande ihre Kapazitäten nicht erhöhen kann. Würden wir den Import stoppen, dann wäre die Hälfte unserer Versorgung nicht gedeckt – und es würde nicht nur zu nochmal deutlich steigenden Gaspreisen hierzulande kommen, sondern die Versorgung würde Einbrechen und nicht jeder Betrieb und nicht jedes Haus könnte das Gas beziehen, das sie brauchen.
Zur Energiefrage siehe auch hier: https://www.matthias-gastel.de/fossile-abhaengigkeiten-reduzieren/
Frau Brugger ergänzte noch, dass auf EU-Seite alle möglichen Maßnahmen ergriffen wurden, um einen Gaslieferstopp Seitens Russland abzufedern. So weit ist es aber nicht gekommen, da Russland ja auch wirtschaftlich sehr abhängig von diesen Gaslieferungen ist. Und Nord Stream 2 war nie eine Frage unserer Versorgungssicherheit, wir haben ja genug Kapazitäten mit den bestehenden Pipelines.
Es ist sehr bedauerlich, dass wir uns in dieser gegenseitigen Abhängigkeit befinden. Es wäre aber auch niemandem geholfen, wenn wir unsere Wirtschaft und Gesellschaft jetzt durch kurzfristige Maßnahmen so destabilisieren, wie Putin es seit vielen Jahren versucht. Das wäre schlecht für Deutschland und Europa. Deshalb setzen wir alles daran, diese Abhängigkeit schnellstmöglich zu beenden sowie auf Sanktionen, die sich bis zur Zielerreichung, notfalls auch durch den nächsten Winter, durchhalten lassen.