06.05.2022
Auf einen Beitrag von mir zum Thema “Digitale Automatische Kupplung” (DB) gab es einige kritische Anmerkungen, die ich an die Deutsche Bahn mit der Bitte um Kommentierung weiter geleitet habe. Diese gebe ich hier wieder, um den fachlichen Diskurs zu befruchten.
Aussage:
Die DAK erhöht die maximal mögliche Zughakenlast nur minimal (von 850 auf 1000kN). Andere AK weltweit würden eine Verdopplung der Verdreifachung erlauben. Dies wäre vor allem für Ganzzüge nutzbringend, die den größten Teil des Güterverkehrs ausmachen. Für diese EVU, Operateure und Traktionäre würde das einen großen Nutzen bringen, mit der DAK erwarten sie nur Kosten.
Antwort:
Es gilt bei der Zughakenlast zwischen der Bruchlast (Grenze bis zu der kein Bruch auftreten darf) und der Zuglast (Grenze bis zu der keine plastische Verformung eintreten darf) zu unterscheiden:
Die Bruchlast liegt bei der Schraubenkupplung bei 850 kN, bei der DAK verlangt die Spezifikation 1.500 kN. Damit ergibt sich eine Steigerung von rund 75 % bei Verwendung der DAK.
Die maximale Zuglast ist für die Schraubenkupplung auf 500 kN festgesetzt, im Fall der DAK beträgt der Grenzwert 1000 KN. Somit ermöglicht die DAK eine Verdopplung der Grenzlasten.
Aussage:
Die DAK erfüllt auch die Grundanforderung der UIC nicht, dass sie mit der osteuropäischen SA3 kuppelbar sein muss. Dies erschwert den Verkehr mit den Breitspurbahnen sogar statt ihn zu erleichtern.
Antwort:
Die genannte „Grundanforderung der UIC“ wird aktuell von der UIC nicht artikuliert.
Ein Breitspurwagen kann im Grundsatz nicht auf der Normalspur fahren, dieses gilt auch im umgekehrten Fall. Umspurfähige Wagen gibt es im Güterverkehr praktisch keine mehr. Stattdessen wird containerisierte Ladung umgekrant, konventionelle Wagenladungen in Güterhallen umgeladen. Vor dem Hintergrund ist eine Kompatibilität mit dem Kupplungssystem der Breitspurbahn nicht erforderlich.
Aussage:
Die wichtigste Grundeigenschaft, die für eine AK definiert wurde, wird mit der DAK auch nicht erreicht: die problemlose Kuppelbarkeit mit der bisherigen Schraubenkupplung für die Bewältigung der Übergangsphase. Es gibt bei der DAK nur die aufwendige Möglichkeit, an Triebfahrzeugen mit einer Winde hochziehbare DAK zu montieren, für Wagen gibt es keine Lösung. Die durch die UIC entwickelte C‑AKv beherrscht dies dagegen mühelos, da ein Haken integriert ist, in den die bisherige Schraubenkupplung eingehängt werden kann. Die Bauform der DAK verunmöglicht dies.
Antwort:
Die hier formulierte „wichtigste Grundeigenschaft, die für eine AK definiert wurde“ stammt aus den gescheiterten Einführungsversuchen zur Automatischen Kupplungen (lediglich mechanische Verbindung) des 20. Jahrhunderts.
Eine kompatible Kupplung für Güterwagen wurde bereits in einer frühen Phase des Projekts verworfen, da diese eine Reihe von Nachteilen aufweist:
Erstens ist die Kupplung selbst deutlich schwerer (C‑AKv wiegt ca. 1 t, im Vergleich zu aktueller DAK ca. 500 kg), und zusätzlich werden über viele Jahre die Puffer am Wagen verbleiben, was zu einem Nutzlastverlust und damit reduzierter Wettbewerbsfähigkeit des Schienengüterverkehrs führen würde.
Und zweitens ist eine kompatible Kupplung technisch komplexer und daher auch teurer in der Beschaffung. Weiterhin ist der Instandhaltungsaufwand deutlich höher.
Aussage:
Die in den letzten eineinhalb Jahren entwickelten Migrationsszenarien haben den Bedarf einer Kompatibilität von DAK und Schraubenkupplung entfallen lassen.
Antwort:
In den zurückliegenden 18 Monaten wurden folgende Migrationsszenarien entwickelt, die bei den unterschiedlichen Eisenbahnverkehrsunternehmen und Fahrzeugvermietern je nach Kundenstruktur, Verkehrsart, Saisonalität und Gleisinfrastruktur in den Gleisanschlüssen verschieden stark ausgeprägt zum Einsatz kommen werden. Es gibt also nicht „die eine“ Migrationsstrategie, sondern jeder Marktteilnehmer hat seinen eigenen (abgestimmten) Mix der folgenden vier Migrationsstrategien, die miteinander zusammenwirken:
(1) Einfache Umrüstung:
Vor allem für Ganzzüge geeignet. Ersatz der Schraubenkupplung (SK) durch die Digitale Automatische Kupplung (DAK) z. B. für eine komplette Zuggarnitur an einem verlängerten Wochenende. Hierfür wird eine vollständige ausgestattete Werkstatt mit Hebeböcken benötigt.
(2) „DAK ready“:
Eine der wesentlichen Schritte für die Migration im Einzelwagennetz. Bei einem regulären Werkstattaufenthalt werden die aufwändigsten Arbeiten bereits zeitlich vorgezogen (z. B. Installation des Federpakets der DAK, Leerrohre für Kabel usw.). Der DAK-Kupplungskopf wird aber noch nicht eingebaut und das Fahrzeug verlässt die Werkstatt noch mit Schraubenkupplung und Puffern. Sobald die gesamte relevante Flotte „DAK ready“ vorbereitet wurde, erfolgt in einem sehr kurzen Zeitraum (z.B. Werksferien in der Sommerpause) die schnelle Umrüstung einer hohen Zahl von Einzelwagen (sog. „big bang“) in kundennah errichteten temporären „pop-up“-Werkstätten (z.B. in Hafenanlagen, Gewerbegebieten usw. werden auf Gleisanlagen Umrüstpunkte eingerichtet). Hier wird nur eine sehr einfache Ausrüstung und wenig Zeit benötigt, da die zeitintensiven, komplexen Vorrüstungen bereits erfolgt sind.
(3) „Pärchen“-Strategie:
Ebenfalls für die Migration im Einzelwagennetz vorgesehen. Bereits heute regelmäßig zwischen zwei Bahnhöfen verkehrende Wagengruppen werden als „Pärchen“ so umgerüstet, dass zunächst nur die beiden Kupplungen zwischen den Wagen die DAK erhalten und an den Enden des Pärchens die Schraubenkupplung verbleibt. Im „big bang“ werden dann die Wagen umrangiert, so dass das Pärchen an den Enden die DAK hat und in der Mitte die Schraubenkupplung. Nach dem „big bang“ werden die verbliebenen Schraubenkupplungen durch die DAK ersetzt.
(4) „Swap“-Strategie:
Ebenfalls für die Migration im Einzelwagennetz geeignet. Bei Wagentypen, die sowohl in Ganzzügen als auch im Einzelwagennetz eingesetzt werden, erfolgt zunächst die Umrüstung von Ganzzügen auf DAK (mit „einfacher Umrüstung“, s.o.). Die Wagen dieses Typs im Einzelwagennetz behalten zunächst die Schraubenkupplung. Im „big bang“ werden dann die Wagen gleichen Typs zwischen Ganzzügen und Einzelwagennetz getauscht (engl. „to swap“). Die Wagen mit Schraubenkupplung verkehren dann in den Ganzzügen und werden nach dem „big bang“ auch auf DAK umgerüstet (mit „einfacher Umrüstung“).
Die Ansätze „DAK ready“, „Pärchen“-Strategie und „Swap“-Strategie stellen eine schnelle und effiziente Umrüstung des Einzelwagennetzes sicher und vermeiden den Bedarf, dass die DAK mit der Schraubenkupplung kompatibel sein muss.
Aussage:
Die DAK ist eine technisch wenig geeignete und überzeugende Lösung im Güterverkehr. In der Praxis funktioniert sie schlecht, kuppelt teilweise nicht und kann andererseits nicht vor Ablaufbergen vorentkuppelt werden ohne erneut zu kuppeln. Die Bergleistung von Ablaufbergen könnte damit sogar drastisch sinken!
Antwort:
In der Antwort möchte ich gerne die oben genannte Kritik der Leistungsfähigkeit von der der Handhabung am Ablaufberg trennen.
Zunächst zur Kritik an der Leistungsfähigkeit:
Die Tests im Rahmen des Projekts DAC4EU haben die Leistungsfähigkeit der weiterentwickelten Scharfenberg-Kupplungen gezeigt. Es handelt sich hierbei um keine Personenverkehrskupplung, sondern um eine speziell für die Anforderungen des Güterverkehrs entwickelte Kupplung. Die aktuellen Designs zeigen eine praktisch 100% Zuverlässigkeit beim Kuppeln. Durch technische Lösungen, ist selbst bei extremen Winterwetter und Eisbildung jederzeit ein Kuppeln möglich. Die Praxistauglichkeit wurde in der Klimakammer sowie im Winterbetrieb in Schweden und in Österreich nachgewiesen. Zudem wird die Scharfenberg-Kupplung bereits seit zwei Jahren in der Schweiz im Pilotbetrieb eingesetzt.
Zur Kritik der Handhabung am Ablaufberg:
Auch ein effizienter Betrieb am Ablaufberg ist mit der DAK möglich. Hierfür kommt die sogenannte „Pufferstellung“ zum Einsatz, die ein Wiedereinkuppeln verhindert. Eine solche Lösung ist im Projekt DAC4EU im Test und konnte erfolgreich eingesetzt werden. Damit ist sichergestellt, dass die Bergleistung keine Einschränkungen erfährt. In einem späteren Automatisierungspaket soll die „Pufferstellung auch fernwirksam aktiviert und deaktiviert, als auch der Entkuppelvorgang automatisiert werden.
Aussage:
Im Vergleich dazu, verfügt die heute in Nordamerika und Russland eingesetzte SA3-Kupplung über keine Pufferstellung. Hier muss das Entkuppeln am Ablaufberg händisch mittels einer Stange vorgenommen werden. Kurz: statt die UIC-Lösung C‑AKv zu Ende zu entwickeln und ggf. mit einer elektrischen Kupplungsleiste zu ergänzen, setzt die DB und in ihrem Schlepptau SBB und ÖBB auf eine völlig ungeeignete mechanische Grundbauart, stellt die Digitalisierung in den Vordergrund und vernachlässigt Mechanisierung und Automatisierung und drängt auf einen Weg, der nur dem Wagenladungsverkehr dient, allen anderen Verkehren aber nur Kosten und keinen Nutzen generiert. Die europaweite Einführung wird daher krachend scheitern, es wird ein Sololauf einiger zentraleuropäischer Bahnen mit einer Sonderlösung folgen. In Westeuropa gibt es fast keinen Güterverkehr, in Osteuropa leistungsfähige Breitspurbahnen mit AK (SA3) und die Länder in Mitteleuropa dazwischen werden kaum ein System einführen, das mit dem osteuropäischen noch schlechter kompatibel ist als bisher!”
Antwort:
Dass die C‑AKV-Lösung nicht weiterverfolgt werden sollte, war bereits in einer frühen Phase der heutigen DAK-Initiative breiter Konsens.
Die Hauptgründe waren das sehr hohe Gewicht von circa 1 t pro Kupplung, die hohen Kosten , die fehelende nachgewiesen funktionsfähige Integration von Strom- und Datenleitungskupplungen, das suboptimale Design für Instandhaltungsarbeiten und die fehlende Starrheit der Kuppelstelle, welche eine stabile elektrische/ elektronische Verbindung verhindert.
In den Tests des Projekts DAC4EU wurde auch ein SA3-Design (ähnlich C‑AKv) umfassend getestet. Es hat sich gezeigt, dass die fehlende Starrheit (größeres Spiel während der Belastung) die Realisierung einer stabilen Strom-/Datenverbindung unmöglich macht. Trotz zahlreicher Nacharbeiten an diesem Design konnte keine funktionsfähige DAK mit SA3-Prinzip konstruiert werden, obwohl diese Entwicklung über mehrere Jahre gefördert wurde. Bei Interesse sind die Ergebnisse der Versuche nachfolgend einsehbar: https://www.bmvi.de/SharedDocs/DE/Artikel/E/dak-demonstrator.html.
Die DAK kommt nicht nur dem Wagenladungsverkehr zugute, sondern erlaubt auch in den anderen Verkehrsarten deutliche Effizienzgewinne. Tatsächlich wird auch in Ganzzugverkehren und im Kombinierten Verkehr viel gekuppelt, weil viele Gleisanschlüsse oder Terminals keine volle Zuglänge haben. Auch erfolgt in vielen Werken eine Einzelbeladung von Wagen, die dann erst zu einem Ganzzug zusammengefügt werden. Zudem müssen auch Loks an- und abgekuppelt werden. In einem Fallbeispiel aus dem kombinierten Verkehr wurden insgesamt 38 Kuppelvorgänge in einem Zugumlauf gezählt.
Hinzu kommen die Vorteile der Digitalisierung. Eine Zugvorbereitung, die heute bis zu drei Stunden dauern kann, wird zukünftig erheblich beschleunigt. Da ein LKW in 3 Stunden bereits 200 km weit gefahren ist, ist der Schienentransport auf kurzen Distanzen heute nicht konkurrenzfähig. Mit der erheblich verkürzten Zeit für die Zugvorbereitung ergeben sich hier Chancen.