15.03.2023
“Auto kein Statussymbol mehr”
Das Gespräch führte ich mit Rainer Zeltwanger, Fahrlehrer aus Stuttgart und Vorsitzender des “Bundesverbands deutscher Fahrschulunternehmen e. V.” (BDFU).
- Was sind die wesentlichen Veränderungen unter denen, die in die Fahrstunden kommen? Was hat sich beispielsweise am Durchschnittsalter oder auch den Führerscheinklassen, die absolviert werden (Mofa, Motorrad, Auto), geändert?
Zu beobachten ist ein Stadt-Land-Gefälle. Auf dem Land ist der Führerschein immer noch eine wichtige Eintrittskarte in die Unabhängigkeit. ÖPNV fehlt oder ist unzureichend – Mofa (heute E‑Bike), Motorroller und Elterntaxi sind dem Auto im Hinblick auf die Flexibilität nicht ebenbürtig. In der Stadt hingegen hat der Führerschein heute nicht mehr den großen Stellenwert wie noch vor einigen Jahren. Kam man früher in Erklärungsnöte, wenn man an seinem 18. Geburtstag noch keinen Führerschein hatte, sind Auto und Führerschein heute kein Statussymbol mehr – man kommt, ohne Ansehensverlust, sehr gut ohne zurecht. Entsprechend machen viele erst einen Führerschein, wenn sie ihn nach der Ausbildung beruflich brauchen, oder wenn sie Kinder bekommen haben. Einkaufen, in den Urlaub fahren oder ein krankes Kind zum Arzt bringen ist mit dem Auto einfach unkomplizierter.
Hinzu gekommen ist in der Stadt und auf dem Land die Zielgruppe der Geflüchteten, die ohne nennenswerte Deutschkenntnisse ihren Führerschein machen wollen.
Und noch etwas hat sich geändert: Während man früher am liebsten zusammen mit dem Auto- gleich auch noch den Motorradführerschein gemacht hat, kommt das heute kaum noch vor: Es ist einfach zu teuer. Dafür ist die neue Zielgruppe der 40- bis 50-Jährigen entstanden, die sich in mittleren Jahren den Motorradführerschein gönnt.
- In letzter Zeit ist vermehrt zu lesen, immer mehr Fahrschüler/innen würden die Prüfungen nicht bestehen. So berichtete der TÜV Rheinland, im vergangenen Jahr hätten 47 Prozent die Theorie nicht bestanden und 43 Prozent würden durch die praktische Prüfung fallen. Erlebst Du das ähnlich? Was dürften Gründe dafür sein?
Die Durchfallquoten sind tatsächlich gestiegen, wobei man bei den Gründen zwischen der Theorie- und der praktischen Führerscheinprüfung unterscheiden muss.
Bei der Theorieprüfung sind die höheren Durchfallquoten insbesondere auf die gestiegenen Anforderungen zurückzuführen. Wurden die rund 30 in der Prüfung zu beantwortenden Fragen früher aus einem Fundus von ein paar Hundert ausgewählt, deren Antworten man leicht auswendig lernen konnte, sind es heute rund 1.200 Fragen! Und etliche davon sind so exotisch, dass sogar Fahrlehrer*innen an der Antwort scheitern.
Dass die Zahl der Fragen so exorbitant gestiegen ist, hat einen einfachen Grund: Für die Weiterentwicklung der theoretischen Führerscheinprüfung ist die ARGE TP21 verantwortlich, deren Gesellschafter die großen TÜV-Organisationen und die Dekra sind. Jahr für Jahr stehen der ARGE hierfür ca. 1,6 Millionen Euro zur Verfügung – ein enorm großer Etat, den der TÜV natürlich ausschöpft. (Jede*r Fahrschüler*in bezahlt zwangsweise an die ARGE TP21 pro theoretischer Prüfung 1,- € für die Fortentwicklung der Fragen – und das seit 15 Jahren.) Würde man die Fragen aufs Wesentliche zusammenstreichen – um mindestens ein Drittel wäre sicherlich kein Problem –, würde sich dies sicherlich sehr positiv auf die Durchfallquoten auswirken.
Bei der Praxisprüfung sind die hohen Durchfallquoten insbesondere auf folgende Punkte zurückzuführen: Letztes Jahr wurde die Prüfungszeit von 45 auf 55 Minuten erhöht. Und: Der Prüfer sitzt nun mit einem Tablett im Fond und streicht Punkt für Punkt ab, was der Prüfling richtig und falsch gemacht hat – am Ende der Prüfung kann er ablesen, ob die Prüfung bestanden wurde oder nicht. Eingeführt wurde dieses System, um Prüfungen gerechter und vergleichbarer zu machen – die Laune des Prüfers, sein Charakter und seine Sympathien und Antipathien sollten keine Rolle mehr spielen. Das ist gut so. Gleichzeitig führt das System aber dazu, dass Einschätzungsvermögen, situatives Beurteilen und Abwägen des Prüfers nicht mehr zum Tragen kommen. Ein Beispiel: Eine Fahrschülerin biegt während der Prüfung regelwidrig in eine Anliegerstraße sein, weil sie das Schild erst in letzter Sekunde (und damit zu spät) sehen konnte. Ansonsten fährt sie sehr souverän und gekonnt. Früher hätte mancher Prüfer ein Auge zugedrückt und sie trotz ihres Fehlers durchkommen lassen. Heute ist das nicht mehr möglich.
Ein weiterer Punkt für die hohen Durchfallquoten: Der TÜV (und die Fahrschulen) verdienen daran. Jeder Prüfling, der zum zweiten Mal antreten muss, bringt Geld. Eine Theorieprüfung kostet 22 Euro – bei zwanzig Teilnehmenden kommen so in der Stunde über 400 Euro zusammen. Eine Praxisprüfung bringt dem TÜV für 55 Minuten 120 €.
Höchst ärgerlich finde ich, dass all dies in der öffentlichen Debatte keine Rolle spielt. Stattdessen wird kolportiert, die Jugend sei zu faul oder zu dumm zum Lernen.
- Wenn die unzureichende Motivation ein Grund ist, Prüfungen nicht zu bestehen, weshalb beginnen die Leute dann die Kurse? Das ist ja kein preiswertes Vergnügen.
Wie unter Frage 2 geschildert, führe ich die Durchfallquoten nicht in erster Linie auf die mangelnde Motivation zurück. Wobei sicherlich eine Rolle spielt, dass die Führerscheinprüfung heute nicht mehr das zentrale Ereignis der Jugend ist.
- Zu hören ist, dass gerade junge Menschen sich immer weniger mit Verkehrsregeln befasst haben, wenn sie mit dem Fahrschulunterricht beginnen. Aus der Verkehrspsychologie kommen Erklärungen: Die Aufmerksamkeit im Verkehr sei durch Musikhören gesunken und das Eltern-Taxi unterdrücke die Verkehrsbildung bei jungen Menschen. Siehst Du das Phänomen und die Ursachen dafür auch so?
Nein, diese Argumentation ist mir zu platt, zu verkürzt und zu klischeebeladen. Musik hört man im Auto schon seit Jahrzehnten – erst per Radio, dann von der Kassette und CD und heute eben per Spotify.
Was die Verkehrsbildung in früher Jugend betrifft: Haben wir wirklich unseren Vater beim Autofahren beobachtet? Oder saßen wir mit einem Comic in der Hand auf dem Rücksitz?
Die These, dass das Eltern-Taxi die Verkehrsbildung unterdrücke, mag ja stimmen. Aber ist dies den Eltern und Kindern anzulasten oder nicht vielmehr unserem autozentrierten Verkehr? Kann man Eltern wirklich vorwerfen, dass sie ihre Kinder nicht zu Fuß oder mit dem Rad in die Schule oder Kita schicken, wenn das Überqueren der Straßen dank einer steigenden Zahl großer SUVS und meist zugeparkter Übergänge für Kinder immer unübersichtlicher und damit gefährlicher wird? Kann man Kinder mit dem Rad zur Schule schicken, wenn selbst Erwachsene sagen, sie würden ja gerne mehr mit dem Fahrrad fahren, aber sie trauten sich nicht?
Im Übrigen könnte man auch spekulieren, dass die Durchfallquoten steigen, weil man früher das Autofahren nicht erst in der Fahrschule, sondern schon vorher auf dem Feldweg und dem Verkehrsübungsplatz gelernt hat. Das wir heute zum Glück seltener praktiziert.
- Zum Schluss noch zwei andere Fragen: Welche Rolle spielt das energiesparende Fahren heute in den Fahrschulen?
Energiesparendes Fahren war früher ein Exotenthema, heute ist es in der Regel fester Bestandteil der Ausbildung – auch im Interesse der Fahrschulen, denn hohe Tankrechnungen schmälern den Gewinn.
Elektroautos werden in Fahrschulen allerdings leider noch immer sehr selten eingesetzt. Zum einen, weil Fahrlehrer*innen genauso vorurteilsbehaftet sind, wie der Rest der Bevölkerung und zum anderen, weil sie sich erschreckend schlecht auskennen. Deshalb hat der BDFU (Bundesverband deutscher Fahrschulunternehmen e. V.) im Rahmen eines vom Verkehrsministerium Baden-Württemberg geförderten Projekts unter anderem eine Fahrlehrerfortbildung zur E‑Mobilität entwickelt.
Einen Schub beim Einsatz von E‑Autos in Fahrschulen hätte es sicherlich gegeben, wenn die neue B197-Regelung so gestaltet worden wäre, wie es der BDFU stets gefordert hat: Die Beschränkung des Führerscheins auf das Führen von Kraftfahrzeugen mit Automatikgetriebe der Fahrerlaubnis der Klasse B, wäre dann nur entfallen, wenn die Prüfung auf einem Kraftfahrzeug mit alternativem Antriebsystem durchgeführt wurde. Stattdessen ist nun auch die Prüfung auf einem Auto mit einem Verbrennungsmotor mit Automatikgetriebe und anschließender Schaltschulung möglich – entsprechend haben sich Fahrschulen einen Automatik-Diesel gekauft und eben kein E‑Auto.
- Du unterrichtest praktisch schon lange in batterieelektrischen Fahrzeugen? Was ist der Vorteil fürs Fahren Lernen und die sind die Reaktionen der Fahrschülerinnen und ‑schüler?
Man lernt auf einem Elektroauto viel leichter und schneller Autofahren als auf einem Verbrenner mit Schaltgetriebe. Fahrschüler*innen können sich zunächst voll auf den Verkehr sowie das Lenken, Bremsen und Gasgeben konzentrieren – Kuppeln und Schalten entfällt. Den Motor eines Elektroautos kann man nicht abwürgen.
Wer auf einem Elektroauto das Fahren gelernt hat, ist in der Regel begeistert, baut negative Vorurteile schnell ab – und wird im Laufe des Lebens dabei bleiben und entsprechende Fahrzeuge kaufen oder nutzen.