Verkehrspolitisch unterwegs in Wien

14.11.2023

Eine Stadt für Menschen entwickeln

Zwei Tage war ich gemein­sam mit einem Teil mei­nes wis­sen­schaft­li­chen Teams zu ver­schie­de­nen ver­kehrs­po­li­ti­schen Ter­mi­nen in Wien unter­wegs. Dabei stand die Bahn im beson­de­ren Fokus. In die­sem Bei­trag wird es jedoch um die Ver­kehrs­po­li­tik in Wien und in Öster­reich gehen.

Den Auf­takt mei­ner Gesprächs­rei­he mach­te der Aus­tausch mit den bei­den Grü­nen Peter Kraus (Grü­nen-Lan­des­vor­sit­zen­der und Stadt­rat Wien) und Kili­an Stark (Stadt­rat, Spre­cher für Ver­kehrs­po­li­tik). „Die Bäu­me wach­sen nicht in den Him­mel“ oder „Auch in Wien ist die Ver­kehrs­wen­de kein Selbst­läu­fer“: So könn­te man die Situa­ti­on in der Stadt, die gera­de die Gren­ze von zwei Mil­lio­nen Einwohner*innen erreicht hat, beschrei­ben. Der rela­tiv hohe Modal Split, den der öffent­li­che Nah­ver­kehr auf­wies, hat unter Coro­na gelit­ten und den bis­he­ri­gen Höchst­wert noch nicht wie­der erreicht. Eini­ge haben sich zum Auto umori­en­tiert, eini­ge weni­ge zum Fahr­rad und sind die­sem treu geblie­ben. Der Rück­bau an Ver­kehrs­flä­chen für den moto­ri­sier­ten Indi­vi­du­al­ver­kehr zuguns­ten ande­rer Nut­zun­gen wie bei­spiels­wei­se Rad­we­gen geht eben­so vor­an wie der Aus­bau der öffent­li­chen Ver­kehrs­mit­tel, jedoch suk­zes­si­ve und ohne ein hohes Tem­po. Die kos­ten­pflich­ti­ge Park­raum­be­wirt­schaf­tung ist inzwi­schen über­all ein­ge­führt. Der Per­so­nal­man­gel an ver­schie­de­nen Stel­len, vor allem bei Stra­ßen­bah­nen und Bus­sen, macht nicht alles mög­lich, was an zusätz­li­chen Ange­bo­ten und höhe­rer Qua­li­tät gewollt ist. Die U‑Bahn, die als belieb­tes­tes Ver­kehrs­mit­tel gilt, wur­de als gut funk­tio­nie­rend beschrie­ben. Beim Aus­bau schie­nen­ge­bun­de­ner Ver­kehrs­we­ge wird in Wien Ähn­li­ches fest­ge­stellt wie in Deutsch­land: Im Grund­satz besteht eine sehr hohe gesell­schaft­li­che Zustim­mung. Dort, wo es kon­kret wird, muss jedoch mit Wider­stän­den gerech­net wer­den. Deutsch­land hät­te damit aber wohl die grö­ße­ren Pro­ble­me. Die Bür­ger­be­tei­li­gung wird inten­si­viert, um den Men­schen Mög­lich­kei­ten zu bie­ten, sich in Pla­nun­gen ein­zu­brin­gen. Dass die Wirt­schafts­kam­mer den ver­kehrs­po­li­ti­schen Kurs in der Stadt im Wesent­li­chen unter­stützt, macht die Umset­zung von Pro­jek­ten wie­der­um ein­fa­cher. Das 365-Euro-Ticket, das vor 11 Jah­ren in Wien ein­ge­führt wur­de, wird von mei­nen Gesprächs­part­nern als Erfolg bewer­tet. So habe es als Vor­bild für das bun­des­wei­te Kli­ma­ti­cket gedient. Es gebe aber Mit­nah­me­ef­fek­te und ver­läss­li­che Aus­sa­gen dar­über, wie vie­le Fahr­gäs­te neu für die „Öffis“ gewon­nen wur­den, las­sen sich nicht tref­fen.

Ande­re Ansatz­punk­te ver­folgt das Unter­neh­men „Umma­dum“. Es setzt mone­tä­re Anrei­ze zur ver­mehr­ten Nut­zung von Bus, Bahn, Fahr­rad und zuguns­ten des Zufuß­ge­hens. Dafür kön­nen bei­spiels­wei­se Fir­men und Kom­mu­nen ihren Beschäf­tig­ten die Teil­nah­me anbie­ten. Für jeden Kilo­me­ter, den Teil­neh­men­de zu Fuß gehen, wer­den 30 Cent gut­ge­schrie­ben. Für die Nut­zung des Fahr­rads gibt es 20 Cent und für die öffent­li­chen Ver­kehrs­mit­tel 10 Cent. So kön­nen monat­lich bis zu 30 Euro pro Kopf ange­spart und in Form von Han­dels­gut­schei­nen ent­lohnt wer­den. Zu den Kun­den gehö­ren auch die S‑Bahn Stutt­gart (Deut­sche Bahn) und die Öster­rei­chi­schen Bun­des­bah­nen (ÖBB). Ein­ge­löst wer­den kön­nen die Gut­schei­ne bei Rewe, Saturn etc. In wel­chem Umfang Umstei­ge­ef­fek­te bewirkt wer­den, konn­te bis­her nicht ver­läss­lich ana­ly­siert wer­den. Mit der Uni­ver­si­tät in Hei­del­berg wird der­zeit jedoch ein Unter­su­chungs­de­sign ent­wi­ckelt.

Beson­ders wich­tig war mir der Besuch im Ver­kehrs­mi­nis­te­ri­um. Dort sprach ich mit Gene­ral­se­kre­tär (ver­gleich­bar mit einem Staats­se­kre­tär bei uns) Her­bert Kas­ser und zwei Kabi­netts­re­fe­ren­tin­nen. Es war auch ein kur­zes Gespräch mit Minis­te­rin Leo­no­re Gewess­ler (Grü­ne) mög­lich, die ein the­ma­tisch breit auf­ge­stell­tes Minis­te­ri­um führt, das auch für Kli­ma, Umwelt, Ener­gie und Tech­no­lo­gie zustän­dig ist. Unser The­ma war zunächst die Finan­zie­rung der Schie­ne. Grund­la­ge ist ein Rah­men­plan für die Infra­struk­tur, der fünf Jah­re gilt und jedes Jahr fort­ge­schrie­ben wird. Für die Schie­nen-Infra­struk­tur gibt es ledig­lich einen Haus­halts­pos­ten im Bun­des­etat. Dar­aus wird von Sanie­rung bis Neu­bau alles finan­ziert, was die Umset­zung von Pro­jek­ten ein­fa­cher macht als in Deutsch­land mit vie­len Ein­zel­po­si­tio­nen im Haus­halt. Es muss kei­ne Nut­zen-Kos­ten-Bewer­tung für jede ein­zel­ne Maß­nah­me im Bereich der Infra­struk­tur vor­ge­nom­men wer­den. Wir spra­chen zudem über die Lkw-Maut. Deren Erhö­hung und Aus­wei­tung hat­ten wir in Deutsch­land jüngst beschlos­sen.

Schließ­lich haben wir uns vor Ort über den neu ent­ste­hen­den Wie­ner Stadt­teil „See­stadt“ infor­miert, der auf dem Are­al des ehe­ma­li­gen Flug­ha­fens ent­wi­ckelt wird. Ver­folgt wird das Kon­zept der kur­zen Wege und der auto­re­du­zier­ten Stadt. Die Gesamt­flä­che umfasst 240 Hekt­ar. 40 Pro­zent der zu bebau­en­den Flä­chen sind bereits mit Woh­nen (aus­schließ­lich Mehr­fa­mi­li­en­häu­ser, größ­ten­teils geför­der­ter Woh­nungs­bau) und Gewer­be, im Rand­be­reich auch mit Indus­trie, besie­delt. Ein künst­lich ange­leg­ter See mit Grund­was­ser stellt das Zen­trum dar. Erschlos­sen wird das Are­al stra­ßen­sei­tig mit zwei Stich­stra­ßen, wobei der Fokus auf eine fer­tig­ge­stell­te neue U‑Bahn und eine in Pla­nung befind­li­che Stra­ßen­bahn liegt. Der maxi­mal lan­ge Weg zur nächs­ten U‑Bahn-Sta­ti­on beträgt rund 600 Meter. Der Stell­platz­schlüs­sel wur­de ver­rin­gert, Auto­par­ken wird in Sam­mel­ga­ra­gen kon­zen­triert. Ver­folgt wird das Kon­zept der „Schwamm­stadt“, mit dem das Ver­si­ckern von Ober­flä­chen­was­ser ermög­licht wird.

Hier ist mein Bei­trag über die Bahn­the­men in Öster­reich zu fin­den: https://www.matthias-gastel.de/bei-den-oebb-in-oesterreich/