Züge fahren in Deutschland größtenteils auf Strecken aus dem 19. Jahrhundert. Da aber immer mehr Züge unterwegs sind, kommen die alten Strecken zunehmend an ihre Grenzen. Um Kapazitätsengpässe aufzulösen, wurden in den 1990er Jahren erste Neubaustrecken in Betrieb genommen. Neben der zusätzlichen Kapazität, die diese Neubaustrecken bereitstellen, setzten sie auch den Grundstein für eine Beschleunigung des Personenfernverkehrs in Deutschland. Aufgrund der teils langen Distanzen der innerdeutschen Städte, konnte erst die spürbare Beschleunigung der Fernzüge, Verkehr vom Flugzeug zurück auf die umweltfreundliche Schiene bringen. So werden zum Beispiel zwischen Köln und Frankfurt oder zwischen Berlin und Nürnberg keine Flüge mehr angeboten, seitdem Neubaustrecken auf diesen Relationen eröffnet wurden.
Die deutschen Neubaustrecken unterscheiden sich deutlich von anderen europäischen Schnellstrecken, beispielsweise denen, die in der gleichen Zeit in Frankreich gebaut wurden. Während dort der Fokus einzig auf der Geschwindigkeit liegt, sollten in Deutschland nicht nur Metropolen profitieren, sondern es wurden auch kleinere Großstädte und Mittelstädte angebunden und dafür etwas längere Fahrzeiten in Kauf genommen. Dieser Ansatz passt zur deutschen Siedlungsstruktur, die weniger durch einzelne Metropolen und stärker durch viele kleinere städtische Ballungsräume geprägt ist. Die Zwischenhalte, die beispielsweise in Fulda, Göttingen, Vaihingen/Enz oder Limburg vorgesehen wurden, ermöglichen, dass die Bahnstrecken eine große Flächenwirkung entfalten konnten. Durch die zusätzlichen Kapazitäten, die sie bereitstellen, konnten darüber hinaus mehr Züge im Regionalverkehr insbesondere auf den Bestandsstrecken fahren. Richtig konzipierte Neubaustrecken sind somit Grundpfeiler einer Flächenbahn, von der möglichst viele Menschen profitieren.
Parallel zum Bau dieser Strecken, konnten wir in den letzten Jahrzehnten mit Sorge betrachten, dass sich der Personenfernverkehr andernorts aus der Fläche zurückgezogen hat. Großstädte wie zum Beispiel Trier oder Chemnitz werden gar nicht mehr oder nur noch sehr vereinzelt von Fernzügen angefahren. Der Bund hat seit der Bahnreform keine Möglichkeit, der gewinnorientierten DB Fernverkehr AG vorzuschreiben, welche Städte sie anfahren soll, sodass unwirtschaftliche Verbindungen eingestellt wurden. Dass diese Städte nicht mehr angefahren werden, ist somit aber nicht auf die Hochgeschwindigkeitsstrecken zurückzuführen. Zwischen Köln und Mainz verkehrt beispielsweise stündlich ein Fernzug über Bonn und Koblenz, obwohl parallel eine Neubaustrecke liegt.
Unter anderem, um der Fehlentwicklung des Fernverkehrsangebots entgegenzuwirken, setzen wir den Deutschlandtakt um. Das Angebot des Fernverkehrs leitet sich zukünftig aus dem Zielfahrplan des Deutschlandtakts ab, auf den der Bund maßgeblichen Einfluss hat. Somit spielen nicht mehr nur wirtschaftliche Überlegungen eine Rolle, sondern auch der Fernverkehr muss seiner Aufgabe gegenüber dem Allgemeinwohl wieder gerecht werden. Unter anderem auf die starke Initiative unserer Partei, sieht der Zielfahrplan vor, vielen Städten wieder ein regelmäßiges, vertaktetes Fernverkehrsangebot zu machen. Neben der (Wieder-)Anbindung von Städten, werden auch auf den Hauptstrecken abseits der Schnellfahrstrecken, das Angebot verdichtet. In Bonn und Koblenz ist beispielsweise zukünftig ein Halbstundentakt des Fernverkehrs geplant. Keine der aktuell diskutierten Neubaustrecken wird dazu führen, dass Städte ihren Fernverkehrsanschluss verlieren. Auch hier zeigt sich, dass die realisierten und geplanten Neubaustrecken nicht im Widerspruch mit einer Flächenbahn, die fürs Allgemeinwohl eine besonders hohe Bedeutung hat, stehen.
Um das Potenzial der Neubaustrecken voll auszunutzen, bedarf es einer optimalen Verknüpfung von Nah- und Fernverkehr. Diese wurde in der Vergangenheit oft nicht ausreichend berücksichtig. So wurde häufig die Streckengeschwindigkeit als Planungsparameter der neuen Bahnstrecken gesetzt, nicht aber die Fahrzeit. Will man jedoch an Start- und Zielpunkt Umsteigeverbindungen zu möglichst vielen anderen Zugverbindungen herstellen, ist es notwendig, dass die Fahrzeit der Neubaustrecke exakt in das Taktschema der regionalen Netze passt. Wenige zusätzliche Minuten Zeitgewinn auf der Neubaustrecke können den Ausschlag geben, ob Anschlüsse erreicht werden oder nicht. Auch hier liegt die Lösung im Zielfahrplan des Deutschlandtakts. Durch den Ansatz der fahrplanorientierten Infrastrukturplanung, wird erst ermittelt, wie lang die Fahrzeit der Relation sein sollte, um optimale Umstiege zu bieten. Erst dann werden die Ausbaumaßnahmen geplant. Die Devise bei der Planung lautet nicht so schnell wie möglich, sondern so schnell wie nötig. Somit wird sichergestellt, dass sich die Neubaustrecken in die Bahn der Fläche einfügen kann und das Bahnsystem als Ganzes profitiert.
Der Nutzen der Neubaustrecken ergibt sich somit nicht nur aus den Minuten, die direkt auf der Strecke eingespart werden. Durch die optimierten Umstiege verkürzen sich viele Reiseketten deutlich. Ein großer Teil des Nutzens ergibt sich außerdem durch die Kapazitätssteigerungen des Bahnnetzes. Deren Folge ist, dass mehr Regional‑, Fern- und Güterzüge pünktlicher und verlässlicher verkehren können.
Außerdem setzen wir Grüne uns dafür ein, dass entlang aller Neubaustrecken Regionalverkehrshalte entstehen. So wurde zum Beispiel mit dem neuen Bahnhof in Merklingen eine ganze Region neu an den Schienenverkehr angebunden. Setzt man statt auf Neubau ausschließlich auf den Ausbau bestehender Bahnstrecken, können keine Regionen neu an den Bahnverkehr angeschlossen werden. Auch so helfen die Neubaustrecken, bei der Etablierung einer Flächenbahn für möglichst viele Menschen.
In vielen Fällen benötigt es keine großen Neubaumaßnahmen, um die Zielfahrzeiten des Deutschlandtakts sowie die absehbaren und gewollten Mehrverkehre auf der Schiene zu realisieren. Stattdessen können schon kleine und mittlere Ausbauvorhaben Abhilfe schaffen. So ist im Rahmen des Deutschlandtakts auch geplant, Langsamfahrstellen zu beseitigen, Elektrifizierungsmaßnahmen durchzuführen oder die Ausweichgleise und zusätzliche Weichen einzubauen. Parallel dazu treiben wir außerdem die Reaktivierung stillgelegter Bahnstrecken voran. An einigen Stellen können die Engpässe ohne Neubauprojekte, allerdings nicht aufgelöst werden. Aktuell erarbeitet das Bundesverkehrsministerium eine Etappierung des Deutschlandtakts, auf dessen Basis die Infrastrukturvorhaben priorisiert werden. Die Neubauprojekte stehen nicht im Widerspruch zur Ertüchtigung und Verbesserung des Bestandsnetz. Für ein zukunftsfähiges Bahnnetz braucht es beides gleichermaßen.
Insgesamt sind Neubaustrecken also die Voraussetzung für eine leistungsfähige Flächenbahn, die möglichst viele Menschen möglichst gut an den Schienenverkehr anbindet. Nur mit den von Neubaumaßnahmen ermöglichten, beschleunigten Fahrzeiten, kann die Bahn konkurrenzfähig zum Flugverkehr sein. Nur durch die von ihnen bereitgestellten zusätzlichen Kapazitäten, kann der Regional- und Güterverkehr gemäß den politischen und gesellschaftlichen Zielen öfter und pünktlicher fahren. Außerdem werden durch Regionalverkehrshalte ganze Regionen neu an den Schienenverkehr angebunden. Parallel zu den großen Vorhaben wird es aber auch Streckenreaktivierungen und viele kleinere Maßnahmen brauchen, um den Bahnverkehr noch stärker in die Fläche zu bringen. Mit dem Zielfahrplan des Deutschlandtakts koordinieren wir all diese Maßnahmen und stellen sicher, dass sich die neuen Strecken optimal in das Gesamtnetz einfügen und tatsächlich alle vom zusätzlichen Nutzen profitieren. Darüber hinaus wird durch den Zielfahrplan sichergestellt, dass keine bestehenden Fernverkehrshalte aufgegeben werden, sondern im Gegenteil, gemäß des Konzepts der Flächenbahn, mehr Städte an den Fernverkehr angebunden werden.
Zum langfristigen Zielbild unseres Bahnverkehrs benötigt es eine ebenso langfristige Finanzierungssicherheit. Werden mit jedem Haushaltsjahr die Mittel, für Neubau und Instandhaltung der Bahn, erneut in Frage gestellt, kann es keinen Hochlauf der Baukapazitäten geben. Die aktuelle Unsicherheit bezüglich der Finanzierung des Bahnnetzes zeigt, dass es für die Bauindustrie, die Bahn und vor allem ihre Kunden Verlässlichkeit braucht, damit das Zielbild einer attraktiven Bahn in der Fläche Wirklichkeit werden kann.