Die Österreicher bauen, die Deutschen diskutieren. So kann man die Endlosgeschichte des wichtigen Nord-Süd-Korridors zwischen Verona und München kurz zusammenfassen. Für den alpenquerenden Güter- und Personenverkehr, der in viel zu großen Anteilen auf der Straße erfolgt, ist ein Neubau von großer Bedeutung.
Der Ausbau der deutschen Strecke zwischen München und Kiefersfelden ist seit vielen Jahren im Vordringlichen Bedarf des Bundesverkehrswegeplans bzw. des Bedarfsplans des Bundes enthalten. Ab dem Jahr 2015 wurden mehr als 100 Varianten in einem Trassenauswahlverfahren untersucht. Im vergangenen Jahr konnte ein genauer Verlauf der 70 Kilometer langen Neubaustrecke definiert werden. Vorgesehen ist dabei auch eine Verknüpfungsstelle südlich von Rosenheim bei Kirnstein. Diese stellt eine der strittigen Konfliktpunkte in der Debatte dar. Dazu fand vor einigen Tagen auf Antrag der CDU/CSU-Bundestagsfraktion eine Anhörung statt. Im Vorfeld hatte eine Zeitung aus der Region die Fraktionen um Stellungnahmen gebeten. Den drei Ampelfraktionen (genauer: Deren für Bahn zuständige Abgeordnete) haben eine gemeinsame Stellungnahme abgegeben. Diese gebe ich nachfolgend wieder. Weiter unten sind weitere Informationen zu finden.
Stellungnahme von SPD, Grünen und FDP
1. Wie wichtig stufen Sie den Brenner-Basistunnel ein?
Der Brenner-Basistunnel ist ein zentrales Infrastrukturprojekt für den gesamten europäischen Personen- und Güterverkehr. Er ist eine der wichtigsten Maßnahmen zur Verlagerung des Verkehrs von der Straße auf die Schiene. Dies ist nicht nur entscheidend für den Klimaschutz, sondern auch für die Reduzierung der Verkehrsbelastung und die Erhöhung der Transportkapazität. Der Tunnel ermöglicht eine höhere Streckenkapazität und vor allem eine steigungsarme Strecke, wovon der Schienengüterverkehr enorm profitieren wird. Parallel dazu können auch die Reisezeiten im Fernverkehr von München über Rosenheim und Innsbruck nach Italien verkürzt werden. Wir sind überzeugt, dass der Brenner-Basistunnel eine der Schlüsselmaßnahmen für ein nachhaltiges Verkehrsnetz in Europa ist.
2. Wie wichtig ist eine Neubau-Strecke für den Nordzulauf zum Brenner-Basistunnel in der Region Rosenheim?
Der Brenner-Nordzulauf ist wie die Neubaumaßnahmen entlang der südlichen Zulaufstrecke ein unerlässlicher Bestandteil des Gesamtprojekts. Nur mit einer Erweiterung entlang der gesamten Brenner-Route kann die volle Kapazität des Brenner-Basistunnels genutzt werden. Ohne den Nordzulauf entsteht ein Nadelöhr auf deutscher Seite. Die Güterzüge stauen sich an der Grenze und die deutschen Straßen können nicht entlastet werden. Von einem Ausbau des Korridors profitiert aber nicht nur der internationale Güter- und Personenverkehr, sondern auch ganz Bayern und insbesondere die Region um Rosenheim. Bestehende Strecken werden entlastet und eine zukunftssichere Infrastruktur geschaffen, die zur regionalen Entwicklung beiträgt. Dies ist ein langfristiger Beitrag zur Verbesserung der Verkehrsverhältnisse und zur Förderung des Umweltschutzes. Nicht umsonst fordern auch die bayerischen Wirtschaftsverbände eine möglichst schnelle Umsetzung des Projekts. Auch die mittelständisch geprägte Wirtschaft aus der Region um Rosenheim wird von schnelleren Transportwegen nach Norditalien profitieren. Österreich und Italien bauen ihre Strecken bereits aus, Deutschland darf hier nicht das Nadelöhr auf dem internationalen Korridor bleiben.
3. Eine Verknüpfungsstelle verborgen im Berg und eine Untertunnelung des Inns auch an der nördlichen Querung bei Rosenheim: Wie stehen Sie zu diesen Kernforderungen der Region Rosenheim?
Die Anliegen der Region Rosenheim sind verständlich und zeigen das Engagement der Bürgerinnen und Bürger für ihre Umgebung. Es ist wichtig, dass solche Projekte immer unter Berücksichtigung der lokalen Gegebenheiten geplant werden. Die genaue technische Ausgestaltung muss in einem Dialog zwischen den Fachleuten und der Region gefunden werden. 2015 ist dieser Dialogprozess gestartet und seitdem fanden über 273 Sitzungen der Dialogforen statt. Einige Wünsche der Region konnten dadurch bereits in die Planungen aufgenommen werden. Im Ergebnis verläuft ein großer Teil der Neubaustrecke im Tunnel. Die nun geforderten weiteren Tunnel sind technisch sehr anspruchsvoll. Im Falle der Verknüpfungsstelle bestehen vor allem sicherheitstechnische Bedenken. Es ist fraglich, ob hier überhaupt eine genehmigungsfähige Lösung gefunden werden kann. Ein vergleichbares Bauwerk existiert in Europa nicht. Sicher ist aber, dass die unterirdische Verknüpfungsstelle enorme Mehrkosten verursachen würde. Gleiches gilt für eine unterirdische Innquerung nördlich von Rosenheim, die die Bauzeit außerdem um mindestens drei Jahre verlängern würde. Welche Kernforderungen sich umsetzen lassen, werden wir im Rahmen der parlamentarischen Befassung im nächsten Jahr klären. Angesichts der aktuellen Haushaltslage ist es auch entscheidend, auf eine wirtschaftlich tragfähige Lösung zu setzen.
4. Die Kassenlage ist schwierig. Könnten Sie den Kernforderungen der Region dennoch zustimmen?
Der Finanzbedarf des Bahnnetzes ist sehr groß. Sanierung, Erweiterung und Digitalisierung wollen finanziert werden. Zusammen mit der haushälterischen Lage ergibt sich daraus die Notwendigkeit, die Kosten und die Wirtschaftlichkeit der Projekte verstärkt in den Fokus zu nehmen. Der Ausbau der Brennerachse bringt klare Vorteile für Europa und für die Region. Wir wollen das Projekt daher zügig vorantreiben. Es wäre unverantwortlich, dieses wichtige Projekt weiter zu verzögern. Zu lange Prüfungen und zu viele Planungsänderungen verursachen nicht nur Kosten, sondern zögern auch die Realisierung des Projekts um Jahrzehnte hinaus. Darunter würde letztendlich die bayerische Wettbewerbsfähigkeit leiden. Klar muss sein: Wir brauchen auch in Zukunft eine ausreichende Finanzierung der Bahninfrastruktur. Hierzu muss die CSU, die durch drei Verkehrsminister das Thema Bahn an die Wand gefahren hat, auch eigene Finanzierungvorschläge machen und nicht nur Forderungen stellen.
Anhörung im Bundestag
In den Tagen vor der Anhörung hatten die Sachverständigen, die auf Vorschlag der Fraktionen eingeladen worden waren, bereits schriftliche Stellungnahmen abgegeben. Die Kritiker der Planungen teilen sich auf in diejenigen, die einen Brennernordzulauf (Neubau) ablehnen und stattdessen die Bestandsstrecke ausbauen wollen und in diejenigen, die einen Neubau für nachvollziehbar halten, aber eine oberirdische Verknüpfungsstelle ablehnen. Letztere argumentieren, dass das Tal an der Stelle, an der die Neubau- und die Bestandsstrecke verknüpft werden sollen, sehr eng und bereits stark vorbelastet ist (Autobahn). Die offene Verknüpfungsstelle würde zu viel Fläche beanspruchen und Landwirtschaft wie Tourismus beeinträchtigen. Die Bundestagsfraktion von CDU/CSU fordert die Prüfung, die Verknüpfung in den Tunnel zu legen. Die Deutsche Bahn hingegen verwies darauf, dass sie sich damit bereits im Jahr 2020 „intensiv“ befasst hätte und es sich herausgestellt hätte, dass unterirdische Verknüpfungsstellen im Widerspruch zu wesentlichen Sicherheitsbestimmungen in Deutschland stünden. Ein Nachweis gleicher Sicherheit könne nicht gelingen, zumal sich auch vor und nach der Verknüpfungsstelle lange Tunnel befänden. Ich rufe in Erinnerung, dass zu dieser Zeit ein Bundesverkehrsminister der CSU die Pläne vorangetrieben hat! Das Deutsche Zentrum für Schienenverkehrsforschung (DZSF) teilte mit, dass es in der EU und in der Schweiz „kein vollständig geeignetes Referenzobjekt“ geben würde, das dem entsprechen würde, was die lokalen Kritiker fordern. Für den Nachweis gleicher Sicherheit müssten beispielsweise umfangreiche Entrauchungsstudien sowie Simulationen von Rettungsszenarien durchgeführt werden und diese wäre individuell für die Verknüpfungsstelle Kirnheim zu erstellen. Der Ausgang wäre ungewiss bei gleichzeitig sehr hohem zeitlichem und finanziellem Aufwand. Die Komplexität würde steigen, weil eine unterirdische Verknüpfungsstelle aus zwei unabhängigen Tunneln einen durchgehenden, 26 Kilometer langen Tunnel entstehen lassen würde. Das DZSF weist zudem darauf hin, dass eine unterirdische Verknüpfungsstelle Folgen an der Oberfläche nach sich ziehen würde (Entrauchungsöffnungen, Rettungsplätze, Zufahrtsstraßen usw.), die „in Summe den Umweltverbrauch einer oberirdischen Verknüpfungsstelle übersteigen“ könne. Die Deutsche Bahn sieht es auch so: Eine Umplanung hätte – bei großen Zweifeln an der Genehmigungsfähigkeit – „erhebliche Projektverzögerungen und Mehrkosten zur Folge“. Der Fahrgastverband Pro Bahn sieht für eine unterirdische Verknüpfungsstelle „ein erhebliches Zulassungsrisiko“. Selbst, wenn eine Zulassung erfolgen würde, so würden die „erheblichen Mehrkosten“ dazu führen, dass die Finanzmittel anderen Projekten fehlen würden. Eine mögliche Klage gegen eine oberirdische Verbindungsstelle dürfe, so Pro Bahn, weniger Zeitverzug mit sich bringen als eine Umplanung (von deren Genehmigungsfähigkeit nicht unbedingt auszugehen sei).
Hinweise meinerseits: Die Deutsche Bahn hat ihre Pläne bereits an einigen Stellen den Wünschen aus den betroffenen Regionen angepasst. Auch dadurch ist bereits ein sehr hoher Tunnelanteil der Neubaustrecke entstanden. Die Wahrscheinlichkeit, dass eine unterirdische Verknüpfungsstelle nicht genehmigungsfähig ist, muss als hoch eingestuft werden. Dafür Jahre an Zeit zu verlieren, während in Österreich und Italien gebaut wird, halten wir für nicht zu verantworten. Die Studie der BI hat nicht die konkrete Verknüpfungsstelle und schon gar nicht die durch eine unterirdische Führung entstehende riesige Tunnelanlage als Ganzes betrachtet. Damit hat noch nicht einmal die von der BI beauftragte Studie für sich in Anspruch genommen, einen Nachweis der Genehmigungsfähigkeit geliefert zu haben.
Wie es weiter geht
Die technische Vorplanung ist abgeschlossen. Die Bedarfsplanumsetzungsvereinbarung sieht eine parlamentarische Befassung vor. Diese könnte im Frühjahr 2025 errfolgen.
Ich war bereits mehrfach an verschiedenen Orten entlang der geplanten Strecke und kann dazu und darüber hinaus auf weiterführende Links verweisen:
https://www.matthias-gastel.de/veranstaltung-bericht-welche-infrastruktur-braucht-die-bahn/
https://www.matthias-gastel.de/in-der-lok-auf-den-brennerpass/
https://www.matthias-gastel.de/lastwagen-auf-die-bahn/
https://www.gruene-bundestag.de/parlament/bundestagsreden/bahn
Mit der BI, die den Bedarf an einer Neubaustrecke bezweifelt, hat mein Büro eine sehr ausführliche Korrespondenz geführt.