Meine Position zum „assistierten Suizid“

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29.06.2015

In den letz­ten sie­ben Mona­ten habe ich einen inten­si­ven Mei­nungs­bil­dungs­pro­zess betrie­ben durch die Lek­tü­re von Fach­ar­ti­keln und zahl­rei­chen Gesprä­chen mit Bür­ge­rin­nen und Bür­gern, Hos­piz­hel­fe­rIn­nen, Fach­kräf­ten aus der Pal­lia­tiv­ver­sor­gung, Bera­tungs­stel­len sowie Kir­chen­ver­tre­te­rin­nen und Kir­chen­ver­tre­tern.

Über die­sen Mei­nungs­bil­dungs­pro­zess fin­den Sie hier wei­te­re Infor­ma­tio­nen:

https://www.matthias-gastel.de/assistierter-suizid-fuer-menschenwuerde-und-rechtssicherheit-sorgen/#.VY7QxKPwCP8

Inzwi­schen habe ich mich für einen Gesetz­ent­wurf ent­schie­den, den ich unter­schrie­ben habe. Die­ser wur­de von Rena­te Kün­ast und Kai Geh­ring (Grü­ne) sowie Petra Sit­te (Lin­ke) aus­ge­ar­bei­tet und wird inzwi­schen von Abge­ord­ne­ten aus allen Frak­tio­nen unter­stützt.

Es han­delt sich um den „Ent­wurf eines Geset­zes über die Straf­frei­heit der Hil­fe zur Selbst­tö­tung“. Die­ser Gesetz­ent­wurf belässt die Rechts­la­ge im Wesent­li­chen so, wie sie der­zeit ist. Die Hil­fe zur Selbst­tö­tung bleibt dem­nach straf­frei. Es han­delt sich um ein eigen­stän­di­ges, neu­es Gesetz und nicht die Ände­rung eines bestehen­den Geset­zes. Zweck die­ses Geset­zes ist die Fest­le­gung der Vor­aus­set­zun­gen für die Hil­fe zur Selbst­tö­tung.

Zu den Inhal­ten die­ses Geset­zes:

- Die Selbst­tö­tung, wie die Hil­fe dazu blei­ben wie bis­her straf­frei

- Dem ent­ge­gen ste­hen­de berufs­stän­di­sche Rege­lun­gen der Ärz­te­schaft wer­den unwirk­sam

- Wer in orga­ni­sier­ter oder geschäfts­mä­ßi­ger Form (Ärz­te) Hil­fe zum Sui­zid leis­tet, muss vor­her ein Bera­tungs­ge­spräch geführt haben. Dabei sind Alter­na­ti­ven zur Selbst­tö­tung zu bespre­chen. Zwi­schen dem Bera­tungs­ge­spräch und der Hil­fe­leis­tung zum Sui­zid müs­sen min­des­tens 14 Tage ver­gan­gen sein

- Die gewerbs­mä­ßig (d.h. auf fort­lau­fen­de Gewinn­erzie­lung) aus­ge­rich­te­te Hil­fe zur Selbst­tö­tung ist unter­sagt und wird mit einer Frei­heits­stra­fe von bis zu zwei Jah­ren bestraft

- Das Gesetz schafft die Vor­aus­set­zung für ein Wer­be­ver­bot für Hil­fe­leis­tun­gen zu Selbst­tö­tun­gen

- Das Gesetz wird alle vier Jah­re eva­lu­iert

Wes­halb ich die­sen Gesetz­ent­wurf unter­stüt­ze

Der Sui­zid ist straf­frei und auch die Hil­fe dazu. An Ers­te­rem will nie­mand rüt­teln. Zur Hil­fe: Wie kann etwas straf­frei sein, die Hil­fe dazu aber nicht? Und ist es nicht so, dass wenn sich jemand Hil­fe holt, sie oder er durch die ande­re Per­son viel­leicht noch Alter­na­ti­ven auf­ge­zeigt bekom­men kann und dadurch vom Vor­ha­ben, aus eige­ner Hand das Leben been­den zu wol­len, abge­hal­ten wird? Wer nicht auf Hil­fe set­zen kann, wird mit grö­ße­rer Wahr­schein­lich­keit einen ein­sa­men Tod ster­ben. Und wer nicht auf Hil­fe set­zen kann, wird mit grö­ße­rer Wahr­schein­lich­keit eine bru­ta­le­re Metho­de wäh­len, um aus dem Leben zu schei­den. Sol­che Metho­den belas­ten häu­fig für lan­ge Zeit ande­re, unfrei­wil­lig betei­lig­te Men­schen. Man den­ke an die vie­len Sui­zi­de auf den Glei­sen der Bahn, die häu­fig trau­ma­ti­sier­te Lok­füh­rer zurück las­sen.

Ich fin­de, dass nie­mand das Recht hat, den Ent­schluss eines des Lebens über­drüs­si­gen Men­schen zu bewer­ten oder gar zu ver­ur­tei­len. Es soll­ten aber alle Wege für Gesprä­che und Bera­tun­gen offen gehal­ten wer­den. Ein Ver­bot der Assis­tenz wür­de die­se Wege ver­schlie­ßen. Denn wes­halb soll­te eine ster­be­wil­li­ge Per­son einen Arzt auf­su­chen, wenn die­ser ihm nicht das ersehn­te Medi­ka­ment bereit­stel­len darf? Das Bera­tungs­ge­spräch bie­tet die Chan­ce, dass sich der Betref­fen­de doch noch anders, näm­lich für sein Leben, ent­schei­det. Der Ver­zicht auf ein Hil­fe­ver­bot wirkt damit sui­zid­prä­ven­tiv. Es ist gut, dass dies von den Autoren meh­re­rer Gesetz­ent­wür­fe so gese­hen wird.

Was mir gut am oben skiz­zier­ten Gesetz­ent­wurf gefällt ist die Bedenk­zeit. Damit wird das Risi­ko ver­rin­gert, dass es zu fata­len Kurz­schluss­ent­schei­dun­gen kommt. Dem Fest­hal­ten am Leben wird eine Chan­ce ein­ge­räumt.

Wich­tig ist mir, dass die Ärz­te­schaft auf Grund­la­ge eines bun­des­weit ein­heit­li­chen Rechts­prin­zips arbei­tet. Dass eini­ge Stan­des­ver­tre­tun­gen ihren Mit­glie­dern etwas ver­bie­ten, was der Gesetz­ge­ber nicht ver­bo­ten hat, ist nicht hin­nehm­bar und führt zu einem kaum durch­schau­ba­ren Fli­cken­tep­pich an unter­schied­li­chen Regeln und för­dert noch dazu einen Ster­be­hil­fe­tou­ris­mus. Selbst­ver­ständ­lich sind Ärz­te ihrem Gewis­sen unter­wor­fen und wer­den zu nichts gezwun­gen, das ihrem ethi­schen Gewis­sen wider­spricht.

Beson­ders wich­tig ist mir noch fol­gen­de Ergän­zung: Der par­la­men­ta­ri­sche Klä­rungs­pro­zess bezieht sich aus­schließ­lich auf voll­jäh­ri­ge und ent­schei­dungs­fä­hi­ge Men­schen, die unter einer unheil­ba­ren, tod­brin­gen­den Krank­heit lei­den. Es ist gut und der bes­te Bei­trag zur Ver­mei­dung von Sui­zi­den im Per­so­nen­kreis Schwerst­kran­ker, dass der Aus­bau der pal­lia­ti­ven Leis­tun­gen Kon­sens unter den Abge­ord­ne­ten ist. Völ­lig außer Acht gelas­sen wer­den in die­ser Debat­te aber die­je­ni­gen, die den Groß­teil der geschätzt 10.000 Men­schen aus­ma­chen, die sich in Deutsch­land Jahr für Jahr das Leben neh­men: Die Men­schen mit psy­chi­schen Erkran­kun­gen. Für die­se Men­schen muss drin­gend das nie­der­schwel­li­ge Bera­tungs- und Hil­fe­an­ge­bot aus­ge­baut wer­den. Ent­spre­chen­de Insti­tu­tio­nen benö­ti­gen eine zuver­läs­si­ge Finan­zie­rung und Per­so­nal­aus­stat­tung. Im Inter­es­se einer wirk­sa­men Sui­zid­prä­ven­ti­on darf die­se drän­gen­de Auf­ga­be nicht mehr län­ger ver­drängt wer­den!

Ich ver­wei­se auf einen aktu­el­len Antrag mei­ner Bun­des­tags­frak­ti­on:

http://dipbt.bundestag.de/doc/btd/18/051/1805104.pdf