02.07.2015 – Rede zu Protokoll
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
viele von uns befinden sich noch in einem intensiven Meinungsbildungsprozess – oder haben diesen bereits abgeschlossen. Nicht eine Fraktionsmeinung ist gefragt, sondern die eigene. Die eigene Meinung, die sich bildet aus persönlichen Erfahrungen im Umgang mit Sterbenden und dem Tod sowie aus eigenen Wertvorstellungen. Bei vielen von uns sind diese Wertevorstellungen zusätzlich religiös geprägt. Hinzu kommen die – widerstrebenden – Erwartungen aus der Gesellschaft. Letztlich geht es insbesondere um die Frage, welche Rolle der Mensch spielen darf – oder auch muss – wenn es um das Ende eines Lebens geht.
Ich selber habe in den letzten sieben Monaten einen intensiven Meinungsbildungsprozess betrieben durch die Lektüre von Fachartikeln und zahlreichen Gesprächen mit Bürgerinnen und Bürgern, Hospizhelfern, Fachkräften aus der Palliativversorgung, Beratungsstellen sowie Kirchenvertreterinnen und Kirchenvertretern. Dazu habe ich in meinem Wahlkreis zu Gesprächen geladen. Zu vielen Aspekten konnte ich mir eine klare Meinung bilden. In einigen Fragen bin ich mir nach wie vor unsicher, ob es überhaupt einer gesetzlichen Regelung bedarf und wenn ja, wie diese konkret gefasst werden kann.
Inzwischen habe ich mich für einen Gesetzentwurf entschieden, den ich unterschrieben habe. Dieser wurde von Renate Künast und Kai Gehring (Grüne) sowie Petra Sitte (Linke) ausgearbeitet und wird inzwischen von Abgeordneten aus drei Fraktionen unterstützt.
Es handelt sich um den „Entwurf eines Gesetzes über die Straffreiheit der Hilfe zur Selbsttötung“. Dieser Gesetzentwurf belässt die Rechtslage im Wesentlichen so, wie sie derzeit ist. Die Hilfe zur Selbsttötung bleibt demnach straffrei. Es handelt sich um ein eigenständiges, neues Gesetz und nicht die Änderung eines bestehenden Gesetzes. Zweck dieses Gesetzes ist die Festlegung der Voraussetzungen für die Hilfe zur Selbsttötung.
Zu den Inhalten dieses Gesetzes:
- Die Selbsttötung wie die Hilfe dazu bleiben wie bisher straffrei.
- Dem entgegen stehende berufsständische Regelungen der Ärzteschaft werden unwirksam.
- Wer in organisierter oder geschäftsmäßiger Form (Ärzte) Hilfe zum Suizid leistet, muss vorher ein Beratungsgespräch geführt haben. Dabei sind Alternativen zur Selbsttötung zu besprechen. Zwischen dem Beratungsgespräch und der Hilfeleistung zum Suizid müssen mindestens 14 Tage vergangen sein.
- Die gewerbsmäßig (d. h. auf fortlaufende Gewinnerzielung) ausgerichtete Hilfe zur Selbsttötung ist untersagt und wird mit einer Freiheitsstrafe von bis zu zwei Jahren bestraft.
- Das Gesetz schafft die Voraussetzung für ein Werbeverbot für Hilfeleistungen zu Selbsttötungen.
- Das Gesetz wird alle vier Jahre evaluiert.
Weshalb ich diesen Gesetzentwurf unterstütze
Der Suizid ist straffrei und auch die Hilfe dazu. An Ersterem will niemand rütteln. Wie kann etwas straffrei sein, die Hilfe dazu aber nicht? Und ist es nicht so, dass wenn sich jemand Hilfe holt, sie oder er durch die andere, beratende Person vielleicht noch Alternativen aufgezeigt bekommen kann und dadurch vom Vorhaben, aus eigener Hand das Leben beenden zu wollen, abgehalten wird? Wer nicht auf Hilfe setzen kann, wird mit größerer Wahrscheinlichkeit einen einsamen Tod sterben. Und wer nicht auf Hilfe setzen kann, wird mit größerer Wahrscheinlichkeit eine brutalere Methode wählen, um aus dem Leben zu scheiden. Solche Methoden belasten häufig für lange Zeit andere, unfreiwillig beteiligte Menschen. Man denke an die vielen Suizide auf den Gleisen der Bahn und denke dabei auch daran, welches Leid dies bei den Lokführern auslöst.
Ich finde, dass niemand das Recht hat, den Entschluss eines des Lebens überdrüssigen Menschen zu bewerten oder gar zu verurteilen. Es sollten aber alle Wege für Gespräche und Beratungen offen gehalten werden. Ein Verbot der Assistenz würde diese Wege weitgehend verschließen. Denn weshalb sollte eine sterbewillige Person einen Arzt aufsuchen, wenn dieser ihm unter keinen Umständen das ersehnte Medikament bereitstellen darf? Das Beratungsgespräch bietet die Chance, dass sich der Betreffende doch noch anders, nämlich für sein Leben, entscheidet. Der Verzicht auf ein Hilfeverbot wirkt damit suizidpräventiv. Es ist gut, dass dies von den Autoren mehrerer Gesetzentwürfe so gesehen wird.
Was mir gut am oben skizzierten Gesetzentwurf gefällt ist die Bedenkzeit. Damit wird das Risiko verringert, dass es zu fatalen Kurzschlussentscheidungen kommt. Dem Festhalten am Leben wird ebenso eine Chance eingeräumt wie der feste Wunsch eines Sterbewilligen ernst genommen wird.
Wichtig ist mir, dass die Ärzteschaft auf Grundlage eines bundesweit einheitlichen Rechtsprinzips arbeitet. Dass einige Standesvertretungen ihren Mitgliedern etwas verbieten, was der Gesetzgeber nicht verboten hat, ist nicht hinnehmbar und führt zu einem kaum durchschaubaren Flickenteppich an unterschiedlichen Regeln und fördert noch dazu einen Sterbehilfetourismus. Selbstverständlich sind Ärzte ihrem Gewissen unterworfen und werden zu nichts gezwungen, was ihrem ethischen Gewissen widerspricht.
Ich bin nicht mit allem, was der beschriebene Gesetzentwurf enthält, vollständig einverstanden. So halte ich beispielsweise zur Vermeidung von Missverständnissen eine auch für juristische Laien eindeutige Klarstellung für notwendig, dass die Hilfe zum Freitod unter den genannten Bedingungen ausschließlich für Menschen gewährt werden darf, die an einer unheilbaren, zum Tode führenden Krankheit leiden. Insoweit hoffe ich, dass sich im Laufe des weiteren Prozesses Abgeordnete für Änderungen zusammenfinden und dann auf noch breiterer Grundlage eine Mehrheit zusammenfindet. Und ich hoffe, dass sich im Nachgang Mehrheiten für Verbesserungen der Beratungs- und Therapieangebote für Menschen mit psychischen Erkrankungen finden. Dies fehlt mir gänzlich in der bisherigen Debatte. Das ist fatal. Denn die meisten Suizide werden von Menschen mit psychischen Erkrankungen begangen. Ziel unserer Bemühungen muss sein, dass weniger Menschen für sich im Suizid die Lösung sehen.