15.07.2016
Was man so alles erleben kann, wenn man drei Tage zu Fuß unterwegs ist …
Wie auch schon in den Vorjahren, habe ich mich auch nun wieder auf Schusters Rappen durch einen meiner Betreuungswahlkreise gemacht. Diesmal ging es durch den Landkreis Böblingen.
Der erste Tag
Direkt nach Diskussionsveranstaltungen mit Schülerinnen und Schülern an zwei Gymnasien meines Wahlkreises ging es mit der Bahn nach Bondorf, gelegen am südlichsten Zipfel des Landkreises Böblingen. Kaum hatte ich den Ort verlassen hatte ich den Geruch von frischem Stroh und Mist – und ein bisschen auch den von Freiheit – in der Nase. Der Stress der vergangenen Tage ließ ich rasch hinter mir.
Dass ich mich bald verlaufen hatte, störte mich kaum. Wo die Karte versagte, fragte ich mich durch. Hat ja auch etwas für sich, auf diese Weise mit Leuten ins Gespräch zu kommen. Zwischen Bondorf und Gäufelden-Tailfingen kam ich am Denkmal am ehemaligen KZ vorbei. Hier befand sich einst ein rein zu militärischen Zwecken Ende der 1930-er-Jahre errichteter Flugplatz. Einige hundert griechische und jüdische Zwangsarbeiter mussten damals unter unmenschlichen Bedingungen arbeiten. Viele von ihnen starben; die meisten von ihnen an Unterernährung und Krankheiten. Das KZ war – ebenso wie das in meinem Wahlkreis bei Echterdingen – eine Außenstelle des KZ Natzweiler. In der Gedenkstätte des Rathauses von Gäufelden-Tailfingen wurden mir nähere Hintergründe erläutert. So, dass die Ardennenoffensive von Dezember 1944 von hier aus unterstützt wurde und der Flugplatz im April 1945 von der Wehrmacht zerstört wurde. Wenige Tage später befreiten die Franzosen die Ortschaften in der Umgebung.
Nach etwa zehn Kilometern kam ich in Gäufelden-Nebringen an und checkte ins Hotel ein.
Der zweite Tag
Dieser Tag begann unweit des Hotels am Bahnhof in Gäufelden. Die Unterführung zum Mittelbahnsteig ist nur durch sehr steile und enge Treppen erreichbar und der Bahnsteig mit seinen beiden 38 Zentimeter hohen Bahnsteigkanten ist zu niedrig, um stufenfrei in die Züge gelangen zu können. Die Gemeinde bemüht sich schon lange um Abhilfe. Ich traf mich mit dem Bürgermeister, mit dem ich wegen des Bahnhofes schon vor einigen Monaten Kontakt gehabt hatte. Zwei Kommunalpolitiker*innen sowie eine Pressevertreterin sind hinzugekommen. Wir schauen uns gemeinsam Umbaupläne an. Die Finanzierung ist jedoch bislang nicht gesichert.
In Begleitung beginnt der erste richtige Fußmarsch des Tages. Es geht nach Herrenberg. Am interkulturellen Gemeinschaftsgarten treffen wir uns mit Ehrenamtlichen, Kommunalpolitiker*innen und einer Verwaltungsmitarbeiterin. Menschen aus fünf Nationen bauen seit zwei Jahren entlang der historischen Stadtmauer Kräuter, Gemüse und Blumen an. Das Grundstück stellt die Stadt zur Verfügung. Unter dem großen Walnussbaum finden Sprachkurse für Geflüchtete und hin und wieder kulturelle Veranstaltungen statt. Eine im wahrsten Sinne des Wortes sehr schöne Sache!
Sieben Kilometer weit ist der Weg zur Dorfgemeinschaft Tennental bei Deckenpfronn. Dorthin muss ich mich zweimal wegen des Regens unterstellen. Und ich bin mir keineswegs sicher, ob ich mich nicht verlaufen habe. Doch ich komme an. In der Dorfgemeinschaft werden über hundert Menschen mit Behinderung betreut und finden in den Werkstätten (Holz- und Metallverarbeitung, Bäckerei und Landwirtschaft) Arbeit. Die Produkte werden im „Dorfladen“ auf dem Gelände sowie auf zwei Wochenmärkten in der Umgebung verkauft.
Zum Abschluss des zweiten Tages meiner Drei-Tages-Wanderung durch den Landkreis Böblingen bin ich im “Café Global”, einem Begegnungsangebot im ökumenischen Gemeindehaus Gärtringen. Hier liest Nezar aus Syrien meinen Lebenslauf vor. Danke an die ehrenamtlichen Helferinnen und, die die Geflüchteten beim Ankommen unterstützen!
Auf dem nur noch kurzen Weg ins Hotel schüttet es wie aus Kübeln. Aber was macht das schon, wenn man sich bald trocken legen kann?
Der Abend klingt gemeinsam mit zwei Parteifreund*innen im Restaurant des Hotels aus.
Der dritte Tag
Um kurz vor acht Uhr breche ich zum etwa acht Kilometer entfernten Venusberg hinter Aidlingen auf, einem sehr abwechslungsreichen und von Heckenstrukturen geprägten Naturschutzgebiet. Ein sehr (sach-)kundiger NABU-Mann, ein zertifizierter Heckengu-Naturführer, führt mich und Mitglieder des grünen Ortsverbandes Grafenau vorbei an den Hecken über die Magerwiesen und stellt uns Blumen, Gräser, Sträucher, Bäume und die Tierwelt des Heckengäus vor. Er beklagt sich über die nicht sachgerechte Beweidung durch Schafe, wodurch die Sträucher Schaden nehmen. Daher seien Hecken auszuzäunen, damit sie nicht unten herum abgefressen werden.
Weiter geht es Richtung Grafenau. Unterwegs begegnet uns eine BUND-Aktive, die uns einen Siebenschläfer in einer Gerätehütte zeigt. Ich hatte ein solches Tier noch nie gesehen. Neugierig, vermutlich aber auch verängstigt, schaut es uns an. Die eigentliche Station ist allerdings ein aktueller Einsatzort der “Krüger Landschaftspflege”. Der landwirtschaftliche Betrieb hält 250 Schafe und Ziegen. Die Ziegen sind auf dem mit Brennnesseln zugewachsenen Hang kaum zu sehen. Ihre Aufgabe ist es, Flächen vor dem völligen Zuwachsen zu bewahren, um eine abwechslungsreiche Struktur, bestehend aus Sträuchern und Wiesen, zu erhalten. Wir haben uns über Naturschutz, Landschaftspflege im Auftrag von Kommunen und Direktvermarktung von Schaf- und Ziegenprodukten unterhalten.
Auf das gemeinsame Mittagessen folgt noch ein längerer, aber sehr abwechslungsreicher Abschnitt der Wanderung. Ein Teil des Weges führt uns auf der stillgelegten Bahntrasse der Schwarzwaldbahn bis nach Weil der Stadt. Auf der Trasse (mit einem die Strecke abkürzenden neuen Tunnel) wird die Wiederinbetriebnahme unter dem Namen Hermann-Hesse-Bahn geplant. An Gesprächsstoff fehlt es unterwegs nicht. Wir haben uns beispielsweise über den Schutz der vielen Fledermäuse ausgetauscht, die von der Wiederinbetriebnahme eines Tunnels auf der Strecke betroffen wären.
In Weil der Stadt findet die Tour im Café ein gemütliches Ende. 50 Kilometer bin ich gelaufen. Einige neue Erfahrungen kann ich mitnehmen.