Was für eine Aussicht! Links das Reichstagsgebäude, gefolgt vom Kanzler*innenamt, dem Paul-Löbe-Haus, über die Spree verbunden mit dem Marie-Elisabeth-Lüders Haus. Darauf folgt das Hochhaus der Charité und ganz rechts (wieder über die Spree) der Bahnhof Friedrichstraße. Ich stehe auf der Dachterrasse des Jakob-Kaiser-Hauses, meinem Lieblingsplatz im Bundestagskomplex, und tanke Sonne bevor ich wieder an die Arbeit muss. Arbeit heißt Praktikum von April bis Juni bei Matthias Gastel.
Wie wir alle wissen sind die Grünen momentan in der Opposition und laut Franz Müntefering ist Opposition Mist. Damit hat er nicht Unrecht, denn es ist natürlich erfüllender selber zu gestalten, als zu kontrollieren. Zumal die Kontrolle aus der Opposition aufwendiger ist als aus der Regierung: Man muss renitent nachfragen, um tiefere Antworten zu bekommen. Dementsprechend war eine meiner Hauptaufgaben „Kleine Anfragen“ zu schreiben. Dies sind schriftliche Fragenkataloge zu einem spezifischen Thema. Obwohl es keine Obergrenze gibt, sollte man dennoch darauf achten den Namen wörtlich zu nehmen. Sonst kann es vorkommen, dass die Regierung die Beantwortung von Fragen zusammenzuzieht und vielleicht wichtige Aspekte auslässt.
Den Großteil meiner Zeit verbrachte ich allerdings damit, eine Umfrage zu Situation, Problemen und Lösungen im Schienengüterverkehr zu konzipieren, deren Durchführung zu betreuen und schlussendlich diese auszuwerten (Spoiler: Die Branche ist in keinem guten Zustand.) Ziel war es, ein Gespür für die Lage der Branche zu entwickeln und daraus Forderungen für ein Strategiepapier zum Bahnverkehr abzuleiten. Weiterhin verfasste ich Vermerke zu verschiedenen Bereichen, wie der Vernetzung des Fahrrades, schrieb kleinere Pressetexte oder recherchierte den aktuellen Stand von Vorhaben und Themen.
Die Arbeit im MdB-Büro war so, wie ich sie mir vorstellte: spannend und stressig – auch wenn ich mich im Vergleich zu der MdB-Wochenarbeitszeit von 60 bis 70 Stunden natürlich nicht beschweren kann. Eine Überraschung aber gab es: die Architektur der Bundestagsgebäude. Diese strahlen eine Nüchternheit aus, welche im großen Widerspruch zur Geschichtslastigkeit anderer Parlamentsgebäude wie dem Houses of Parliament steht. Gleichzeitig bergen die Gebäude jedoch viel Kunst und sind damit mehr als nur funktional. Eines dieser Kunstwerke ist das „Archiv der Abgeordneten“, welches die Namen ebenjener von 1919 bis 1999 auflistet – auch die der NSDAP. Das zeigt: Demokratie und Parlamente können von ihren Feinden auch von Innen angegriffen werden. Wenn ich an dem „Archiv“ vorbeilief, fragte ich mich manchmal, ob das der Mehrheit hinreichend bewusst ist oder ob Leute lieber Aussichten genießen.
Text: Till, Praktikant von April bis Juni (Juli) im Berliner Abgeordnetenbüro