Carsharing-Gesetz: Parken wird privilegiert

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Rede im Deut­schen Bun­des­tag am 30.03.2017

“Car­sha­ring passt in eine Gesell­schaft, die mobil sein will und mobil sein muss”

Mat­thi­as Gastel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Sehr geehr­te Frau Prä­si­den­tin! Lie­be Kol­le­gin­nen! Lie­be Kol­le­gen! Tei­len ist in. Wer durch mit­tel­gro­ße Städ­te und erst recht durch gro­ße Städ­te läuft, der kann das leicht erken­nen. Gera­de in Ber­lin ist das unüber­seh­bar. An jeder Ecke stol­pert man über ein Leih­fahr­rad, an jeder zwei­ten Ecke fin­det man einen zur Ver­lei­hung zur Ver­fü­gung gestell­ten E‑Roller, und wenn man guckt, wel­che Autos her­um­fah­ren, dann sieht man immer häu­fi­ger sol­che mit Auf­schrif­ten von car2go, Dri­veNow oder ande­ren Anbie­tern.

Das passt in eine Gesell­schaft, die mobil sein will und mobil sein muss und in der die Men­schen für ihre Mobi­li­tät immer häu­fi­ger ver­schie­de­ne Ver­kehrs­mit­tel indi­vi­du­ell kom­bi­nie­ren und für ihre Rei­se­ket­te ein­set­zen. Je nach Ziel und Zweck der Rei­se nut­zen sie ver­schie­de­ne Ver­kehrs­mit­tel, und unter­schied­li­che Ange­bo­te kon­kur­rie­ren um einen knap­pen Ver­kehrs­raum.

Das Auto bean­sprucht mit Abstand am meis­ten Flä­che. Das durch­schnitt­li­che Auto steht aber 23 Stun­den am Tag. Der Rad­ver­kehr for­dert mehr Flä­che für sich ein und will nicht mehr im Dau­er­kon­flikt mit dem Fuß­gän­ger- und dem Kraft­fahr­zeug­ver­kehr ste­hen. Und dann geht es auch noch um die Lebens­qua­li­tät der Men­schen. Sie for­dern mehr Grün in ihren Städ­ten und mehr Auf­ent­halts- und Ruhe­flä­chen. Auch Flä­chen für Außen­gas­tro­no­mie wer­den sehr stark nach­ge­fragt.

Genau hier liegt der größ­te Vor­teil des Car­sha­ring. Ein Car­sha­ring­au­to ersetzt im Durch­schnitt sie­ben Pri­vat­fahr­zeu­ge, und damit macht es Flä­chen frei für ande­re Nut­zun­gen.

(Bei­fall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abge­ord­ne­ten der SPD)

Es ist gut, dass der Bund jetzt end­lich einen Gesetz­ent­wurf vor­ge­legt hat, auf den wir sehr lan­ge, näm­lich über zehn Jah­re, gewar­tet haben. Es geht um die Pri­vi­le­gie­rung des Car­sha­ring und damit auch um die Wür­di­gung des Car­sha­ring als eines Bei­trags zur Lebens­qua­li­tät und für eine bes­se­re Umwelt – zuguns­ten der Men­schen.

Die­ses Gesetz hat aber erheb­li­che Schwä­chen; denn es ist weder ambi­tio­niert noch unbü­ro­kra­tisch:

(Bei­fall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Ers­tes Bei­spiel. Die Ver­rin­ge­rung des Flä­chen­ver­brauchs durch den Kfz-Ver­kehr wird in die­sem Gesetz­ent­wurf schlicht und ergrei­fend igno­riert.

Zwei­tes Bei­spiel. Die­ser Gesetz­ent­wurf gilt aus­schließ­lich für die Flä­chen an Bun­des­stra­ßen. – Herr Minis­ter Dob­rindt, ich muss hier schon sagen: Dass aus­ge­rech­net Sie, der kei­ner­lei Skru­pel hat, sich bei der Aus­län­der­maut über sämt­li­che recht­li­che War­nun­gen hin­weg­zu­set­zen, recht­li­che Beden­ken haben, auch ande­re Stra­ßen durch die­sen Gesetz­ent­wurf zu erfas­sen,

(Bei­fall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abge­ord­ne­ten der LINKEN – Zuru­fe von der CDU/CSU: Jetzt kommt es! – Das ist unsach­lich! – Wei­te­re Zuru­fe von der CDU/CSU: Oh!)

und das Gesetz an die­ser Stel­le aus­brem­sen, muss doch sehr stark ver­wun­dern. Es ist gera­de­zu ein Witz, dass die­se Beden­ken aus­ge­rech­net von Ihnen kom­men.

(Patrick Schnie­der (CDU/CSU): Jetzt fehlt noch das The­ma „Stutt­gart 21“!)

Drit­tes Bei­spiel. Hin­sicht­lich der kon­kre­ten Umset­zung ist noch vie­les unklar. Die Rechts­ver­ord­nung fehlt näm­lich noch.

Wir haben einen Antrag zum The­ma Car­sha­ring gestellt, mit dem wir deut­lich muti­ger und ent­schlos­se­ner gewe­sen sind, um die­ses wich­ti­ge The­ma vor­an­zu­brin­gen; denn das Poten­zi­al für Car­sha­ring ist rie­sig. Eine neue Stu­die von Allens­bach sagt: Das Poten­zi­al ist etwa zehn­mal höher als der Kreis derer, die Car­sha­ring bis­her bereits nut­zen. Wir bedau­ern, dass die Ent­schlos­sen­heit der Bun­des­re­gie­rung, ein Gesetz zum Car­sha­ring vor­zu­le­gen, nicht damit ein­her­geht, ein wirk­lich gutes und kon­se­quen­tes Gesetz vor­zu­le­gen.

(Bei­fall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ein so halb­her­zi­ges Gesetz kann nicht unse­re vol­le Zustim­mung erhal­ten.

(Bei­fall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Sören Bar­tol (SPD): Nur die hal­be? Immer­hin! – Ulli Nis­sen (SPD): Dann neh­men wir die hal­be! – Zuru­fe von der CDU/CSU: Die hal­be!)

- Die hal­be!


Ergän­zen­de Infor­ma­tio­nen:

Der Haupt­streit­punkt war, ob der Bund das pri­vi­le­gier­te Par­ken aus­schließ­lich an Bun­des­stra­ßen oder an allen Stra­ßen ermög­li­chen kann. Im Ergeb­nis müs­sen die Län­der eige­ne Car­sha­ring-Geset­ze erlas­sen, wenn sie ihren Kom­mu­nen eine sol­che Pri­vi­le­gie­rung ermög­li­chen wol­len. Dabei ist nicht aus­ge­schlos­sen, dass die Län­der unter­ein­an­der abwei­chen­de Rege­lun­gen erlas­sen.

Ursprüng­lich war vor­ge­se­hen, dass der Bund öko­lo­gi­sche Min­dest­stan­dards für Car­sha­ring-Flot­ten vor­gibt. Ange­sichts der Erkennt­nis­se aus dem Die­sel­skan­dal und feh­len­der objek­ti­ver Bewer­tungs­kri­te­ri­en wur­de schließ­lich auf sol­che Stan­dards ver­zich­tet. Nach Aus­kunft der Bun­des­re­gie­rung in der Anhö­rung mit Sach­ver­stän­di­gen kann dies aber zu einem spä­te­ren Zeit­punkt in der Rechts­ver­ord­nung erfol­gen.