26.10.2017, überarbeitet am 29.10.2017
Nicht mehr Aufmerksamkeit schenken als notwendig
Mit sieben Parteien, sechs Fraktionen und dem seit Jahrzehnten erstmaligen Einzug einer weit rechts stehenden Partei hat sich der Bundestag konstituiert. Keine einfache Ausgangslage für faire Debatten und notwendige Mehrheitsfindungen.
Die AfD wusste es von Beginn an: Ihr Kandidat für das Amt des stellvertretenden Parlamentspräsidenten, Albrecht Glaser, war für die Mehrheit nicht wählbar. Er hatte dem Islam und damit jedem einzelnen Angehörigen dieser vielfältigen, aus unterschiedlichsten Strömungen bestehenden Religion das Recht auf Religionsfreiheit abgesprochen. Vielleicht überraschend deutlich haben die Abgeordneten in allen drei geheim durchgeführten Wahlgängen mit „Nein“ votiert. Sie haben dabei keineswegs einer Fraktion das Recht abgesprochen, einen Stellvertreterposten besetzen zu dürfen. Sie haben vielmehr dasselbe Recht, das die 12,6 Prozent der Wähler/innen bei der Bundestagswahl für sich in Anspruch genommen haben, als sie die AfD in den Bundestag gewählt haben, für sich selber beansprucht. Für mich ist jemand, der anderen Menschen Grundrechte abspricht, ungeeignet als Vizepräsident zu agieren, weil es in diesem Amt darum geht, auch meine Rechte als Parlamentarier zu achten und zu verteidigen.
Übrigens haben die Abgeordneten ihr Recht, mit “Nein” stimmen zu dürfen, auch bei anderen Kandidat*innen genutzt: Die Kandidat*innen von CDU/CSU, SPD, Linken und Grünen erhielten zwischen 396 und 507 von 703 möglichen Stimmen.
Zur AfD
Auf den Punkt gebracht hat der neu gewählte Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble die letzten Monate und die aktuelle Lage, indem er darauf verwies, dass es „in unserem Land Töne der Verächtlichmachung und Erniedrigung“ gegeben habe. Wohl ebenfalls an die Adresse der AfD gerichtet hat er den Hinweis, niemand vertrete allein das Volk.
Dazu passt ganz gut ein Kommentar in der „Zeit“: „Zum ideologischen Kernbestand der AfD gehört die Überzeugung, dass ‘das System´ krank, verrottet, dekadent ist. Man glaubt, dass (…) der eigentliche, der wahre Volkswille systematisch missachtet und verfälscht werde.“ Der Präsident des Bundesverfassungsgerichtes, Andreas Voßkuhle, wird in “Cicero” wie folgt zitiert: “Meines Erachtens besteht es (gemeint ist das Gefährdungspotential für unsere Demokratie, M. G.) dass die Populisten für sich in Anspruch zu nehmen wissen, was das Volk will, und dass diejenigen, die sich gegen dieses anmaßende Wissen stellen, Volksverräter sind.” So werde die pluralistische Gesellschaft in Frage gestellt.
Die AfD grenzt sich maximal von diesem „System“ ab. Dies wurde auch gleich zu Beginn der ersten Zusammenkunft des neuen Bundestages deutlich: Als der Alterspräsident die Ehrengäste wie den Bundespräsidenten und den scheidenden Bundestagspräsidenten auf der Tribüne willkommen hieß, wurden diese vom Parlament mit freundlichem Applaus begrüßt. Aus der AfD gab es nur vereinzelt Applaus.
Wie sollte nun mit der AfD umgegangen werden?
Ich halte es für angemessen, einen geschäftsmäßigen, formal korrekten und ansonsten distanzierten Umgang zu pflegen. Es gilt kritisch zu beobachten, ob eine Sacharbeit geleistet oder – wie aus Landtagen berichtet wird – eine solche verweigert wird. Wir sollten nicht auf jede Provokation reagieren und der AfD damit mehr Aufmerksamkeit schenken als sie es verdient. Wenn aus Reihen der AfD gegen Minderheiten oder unser demokratisches System gehetzt wird, muss hingegen entschieden widersprochen werden. Was ich nicht machen werde ist, bei allem Tun und allen Reden zu überlegen, was der AfD schaden oder nutzen könnte. Ich möchte der AfD nicht die Macht zubilligen, mein eigenes Verhalten, das von eigenen Überzeugungen geprägt ist, zu beeinflussen.