Wirksamste Strategie: Mehr Komfort im Radverkehr
Eine aktuelle Studie der TU Dortmund hat „Optionen der politischen Regulierung des Personenverkehrs“ untersucht und ist dabei zu interessanten Erkenntnissen gelangt. Die Studie untersucht, welche jeweiligen Auswirkungen verschiedene verkehrspolitische Eingriffe auf die Nutzungsverteilung von Verkehrsträgern haben und wie sich die Eingriffe auf Emissionen, Verkehrsauslastung und gesamtgesellschaftlichen Nutzen auswirken. Den Autoverkehr teurer zu machen und das Fahrradfahren bequemer zu gestalten scheint dabei der erfolgversprechendste Mix an verkehrspolitischen Initiativen zu sein.
In ihrem Experiment simulieren Marlon Philipp und Fabian Adelt das Verkehrssystem einer mittelgroßen deutschen Stadt mit
- 75,1% kleinen Straßen, die von allen Verkehrsträgern genutzt werden können
- 8,4% große Straßen, die von allen Verkehrsträgern genutzt werden können
- 8,4% Straßen, die nur vom ÖPNV genutzt werden können
- 7,9% große Straßen, die nur von Auto und ÖPNV genutzt werden können
- 0,2% Straßen, die nur von Fahrrädern befahren werden können
In der Ausgangssituation hat das Auto einen Anteil am Verkehrsaufkommen von 63%, das Fahrrad einen Anteil von 32% und der ÖPNV einen Anteil von 5%. Für die Vereinfachung des Experiments wurde der Fußverkehr in der Simulation ausgeklammert. Die Ausgangssituation entspricht nicht der realen Aufteilung der Verkehrsträger. Dazu erläuterten die Studienersteller auf meine Nachfrage, dass es weniger auf das „absolute Technologieverhalten“, sondern vielmehr auf die Änderungen ankomme. Der Fußverkehr sei ausgeklammert, da der Fokus auf Fortbewegung mittels Technik gelegt worden sei und man davon ausgehe, dass durch die untersuchten verkehrspolitischen Eingriffe „eher eine Verschiebung zwischen den Technologien zu erwarten“ sei.
Untersucht wurden folgende fünf mögliche verkehrspolitische Eingriffe:
- Reduzierte Kosten im ÖPNV bis hin zum kostenlosen ÖPNV.
- Eine größere Anzahl von Fahrradstraßen und Fahrradschnellwegen, auf welchen andere Verkehrsteilnehmer nicht fahren dürfen.
- Die Verlangsamung des Autoverkehrs durch die vermehrte Einführung von Tempo 30-Zonen.
- Ein Anstieg der Kosten für den Autoverkehr bspw. durch die Erhöhung der Spritkosten.
- Die Erhöhung des Komforts im Radverkehr durch bessere Infrastruktur durch bspw. sicherere Radwege, die vermehrte Nutzung von Pedelecs und bessere Kommunikation der Vorteile des Fahrrads.
Interessanterweise führen die beiden verkehrspolitischen Eingriffe – kostenloser ÖPNV und größere Anzahl von Fahrradstraßen – in der Simulation zu keinerlei Veränderung im Modal Split. Der oft diskutierte kostenlose ÖPNV, welcher auch von der Bundesregierung als mögliche Option der Schadstoffreduzierung in Modellstädten genannt wurde, erweist sich damit als eine schlechte Option. Anstatt den ÖPNV kostenlos anzubieten, sollte der Zugang für alle Personengruppen sichergestellt werden.
Die Verlangsamung des Autoverkehrs bewirkt, dass es 9% weniger Autoverkehr und 9% mehr Fahrradverkehr gibt. Das führt zu einer Abnahme der Emissionen, geht aber auf Kosten eines stetig sinkenden gesamtgesellschaftlichen Nutzens. Die größte Reduzierung von Emissionen wird bei einer verringerten Geschwindigkeit auf 10% der kleinen gemeinsam genutzten Straßen erreicht. Das bedeutet, dass die Einführung von Tempo 30-Zonen auf einigen Nebenstraßen durchaus einen positiven Effekt auf die Verkehrsmittelwahl, den Ausstoß von Emission und die Auslastung der Straßen hat. Allerdings sinkt der gesamtgesellschaftliche Nutzen so weit, dass eine weitflächigere Verringerung der Geschwindigkeit realpolitisch vermutlich nicht durchsetzbar wäre. Auf meine Frage, weshalb der Autoverkehr durch Tempo 30 zurückgeht, erklärten die Ersteller der Studie: „Die schnelle Fortbewegung ist eines der Ziele (der Verkehrsteilnehmenden), das bei Verlangsamung des Autoverkehrs weniger stark erreicht werden kann.“
In ähnlicher Weise hat auch die Kostensteigerung des Autoverkehrs anfangs einen positiven Effekt, führt dann aber zu einem solchen Abfall des gesamtgesellschaftlichen Nutzen, dass eine Umsetzung schwierig erscheint. Bei einer Kostenerhöhung um 20% sinken die Emissionen um 2–4%, danach sinken sie in geringerem Maße weiter. Die Auslastung der Straßen verringert sich, da der Autoverkehr abnimmt und ÖPNV und Fahrradverkehr zunehmen. Dadurch vergrößert sich auch der gesamtgesellschaftliche Nutzen.
Die Erhöhung des Fahrradkomforts ist am effektivsten bei einer Veränderung um 10%, hat aber auch danach positive Auswirkungen auf alle untersuchten Aspekte. Bei einer Erhöhung des Komforts um 10% steigt die Fahrradnutzung auf 49% (von zuvor 32%) und die Autonutzung sinkt auf 46% (von 63%). Es sind keine Auswirkungen auf den ÖPNV zu beobachten. Die Emissionen sinken und die durchschnittliche Kapazitätsbelastung der Straßen sinkt um 4%. Der gesamtgesellschaftliche Nutzen steigt mit größerem Komfort immer weiter an.
Natürlich lassen sich die Ergebnisse nicht eins zu eins auf die Realität übertragen. Dennoch können trotz der starken Vereinfachungen in dem Experiment einige Schlüsse für konkrete Anwendungen gezogen werden. Der positive Eingriff, den Fahrradverkehr komfortabler und sichererer zu machen, zeigt die beste Wirkung. Die verkehrspolitischen Eingriffe der Verlangsamung und Verteuerung des Autos bringen nur bis zu einem gewissen Grad einen Nutzen. Allerdings sind die Eingriffe unterschiedlich einfach bzw. kostenintensiv in ihrer Umsetzung. Während der Ausbau der Radinfrastruktur eine erhebliche Mittelaufwendung benötigt, sind Geschwindigkeitsbegrenzungen und erhöhte Spritpreise relativ einfach einzuführen. Am wirkungsvollsten wäre daher vermutlich ein gesetzlicher Rahmen, welcher den Autoverkehr leicht verteuert, Tempo 30ausweitet und gleichzeitig die Radinfrastruktur ausbaut.
Diese Maßnahmen führen zu zwei wichtigen Verbesserungen. Erstens führen sie zu einer deutlichen Reduzierung der Emissionen und damit in Richtung der selbstgesteckten Klimaziele von Paris. Weniger Emissionen führen auch zu einer Verminderung von gesundheitlichen Belastungen, welche durch Luftverschmutzung ausgelöst oder verstärkt werden. Zweitens bewirken insbesondere Tempo 30und ein verbessertes Radwegenetz eine deutlich erhöhte Verkehrssicherheit und bilden dadurch einen wichtigen Schritt in Richtung Vision Zero.