28.02.2019
Flächenbahn statt Flächenfraß!
(Als Gastbeitrag – ohne Grafik und Tabellen – in leicht veränderter Form in der Frankfurter Rundschau veröffentlicht)
Deutschlands Fernstraßennetz wächst und mit ihm die Flächeninanspruchnahme für neue Asphaltpisten, die Naturräume zerschneiden, wertvolle Kulturlandschaften verändern und fruchtbare Böden dauerhaft versiegeln. Allein seit dem Jahr 2000 haben die Verkehrsminister im Bund dafür gesorgt, dass das Autobahnnetz um 1.481 Kilometer erweitert wurde, was einem Zubau von immerhin 13 Prozent entsprach.
Für den Ausbau des Straßennetzes – also einschließlich Gemeinde‑, Kreis- und Landesstraßen sowie weiteren Verkehrsflächen – haben wir in Deutschland seit der Jahrtausendwende eine Fläche von 88.000 Hektar versiegelt. Dies entspricht der unvorstellbaren Fläche von zusätzlich 125.000 Fußballfeldern oder etwas weniger als der Größe der Insel Rügen!
Das deutsche Schienennetz hat der Bund in dieser Zeit dagegen um acht Prozent geschrumpft. Mehr Straßen für mehr Auto- und Lastwagenverkehr, weniger Schieneninfrastruktur für weniger Personen- und Güterverkehr per Bahn – werden in den sich ständig wiederholenden Sonntagsreden nicht immer andere Ziele ausgegeben?
Während sich die Verkehrspolitiker der Großen Koalition an den geplanten Straßenbauinvestitionen des Bundesverkehrswegeplans 2030 berauschen, ist in der Öffentlichkeit fast untergangen, dass das Planwerk wie seine Vorgänger vor allem ein gigantisches Programm zur weiteren Zerschneidung, Versiegelung und im Ergebnis auch zur anhaltenden Zersiedelung unsere Landes ist. Mit dem Bundesverkehrswegeplan 2030 soll noch einmal eine Fläche von 15.512 Hektar – weit überwiegend für den Straßenbau – von neuen Verkehrswegen beansprucht werden. Damit würde eine Fläche neu versiegelt bzw. in Anspruch genommen werden, die halb so groß ist wie die Stadt München!
Dabei ist Verringerung des Flächenfraßes spätestens seit der „Nationalen Nachhaltigkeitsstrategie 2002“ eine Zielgröße umweltpolitischen Handelns geworden. Bis 2020 soll die tägliche Flächeninanspruchnahme Deutschlands demnach auf 30 Hektar reduziert werden. 2016 betrug dieser Wert allerdings noch 62 Hektar täglich und muss mehr als halbiert werden.
Was ist zu tun, um dem ausufernden Flächenfraß endlich Einhalt zu gebieten? Fakt ist, dass in der Neuausrichtung der Verkehrs- und Infrastrukturpolitik der Schlüssel für das Erreichen des 30-Hektar-Ziels.
1. Statt weiter stur die Straßenbauliste des Bundesverkehrswegeplans 2030 mit mehr als 1.200 Straßenbauprojekten abzuarbeiten, brauchen wir dringend ein sofortiges Straßenbaumoratorium. Nur wirklich notwendige Vorhaben – vorrangig bestandsnahe Ausbauprojekte – dürfen weiterverfolgt werden. Neubauprojekte dürfen nur bei dem Nachweis nicht umsetzbarer Alternativen begonnen werden. Die Entwicklung des deutschen Fernstraßennetzes ist in seiner Grundstruktur abgeschlossen. Die Investitionen in den Straßenneubau sind im Angesicht dieser Erkenntnis entsprechend zu reduzieren.
2. Wir müssen die Prioritäten ganz klar zu Gunsten des Ausbaus des Schienennetzes und des öffentlichen Verkehrs verlagern. Als besonders leistungsfähige Verkehrsmittel ist der Flächenverbrauch auf die Verkehrsleistung bezogen gerade bei schienengebundenen Verkehrsmitteln am geringsten. Dazu kommt, dass eine auf den öffentlichen Verkehr ausgerichtete Siedlungsstruktur ein Mindestmaß an Dichte voraussetzt und daher kompaktes und verdichtetes Bauen fördert. Die Mittel für den Neu- und Ausbau des Eisenbahnnetzes und des ÖPNV sind auch vor dem Hintergrund der energie- und klimapolitischen Herausforderungen schrittweise auf mehr als 3,5 Milliarden Euro jährlich zu verdoppeln.
3. Richtschnur für die Entwicklung des Eisenbahnnetzes ist der Deutschlandtakt. Auf allen nachfragestarken Fernverkehrsverbindungen muss bis 2030 der Halbstundentakt das Maß der Dinge werden. Dafür müssen Engpässe im Netz aufgelöst und vor allem die heute schon hochbelasteten Knoten im Netz massiv ausgebaut werden, damit diese deutlich leistungsfähiger werden. Bei allen Planungen für den Personenverkehr auf der Schiene, sind die Belange des Güterverkehrs zu berücksichtigen, denn auch der Güterverkehr muss verstärkt auf die Schiene verlagert werden. Flächenintensive Erweiterungen des Straßennetzes einschließlich umfangreicher Lkw-Stellplätze können damit vermieden werden.
4. Die Eisenbahn muss für die Menschen wieder besser erreichbar werden. Während der Schienenverkehr und öffentliche Verkehrsmittel in Großstädten und Verdichtungsräumen seit Jahren teilweise einen regelrechten Ansturm von Fahrgästen erleben, stagnieren im Umland der Städte und im ländlichen Raum die Fahrgastzahlen. Die Politik des Rückzugs, die in den zurückliegenden Jahrzehnten ihren sichtbaren Ausdruck in Streckenstilllegungen fand, muss beendet und umgekehrt werden. Zahlreiche Streckenreaktivierungen der letzten 20 Jahre zeigen: Mit abgestimmten attraktiven Konzepten zur Verzahnung von Bus und Bahn, kann der öffentliche Verkehr auch abseits der Großstädte eine Renaissance erleben. Dazu müssen wir bestehende Eisenbahninfrastruktur und bereits rückgebaute Eisenbahnstrecken mittels Trassensicherungen vor Inanspruchnahme durch andere Nutzungen sichern. Wir brauchen ein eigenständiges Reaktivierungsprogramm, um die „weißen Flecken“ im Eisenbahnnetz wieder zu schließen und mehr Menschen Zugang zum Schienenverkehr zu verschaffen.
Angesichts der Diskussion um die Erreichung der klimapolitischen Ziele ist das Umweltziel, den viel zu hohen Flächenverbrauch deutlich vermindern, aus den Schlagzeilen geraten. Als Treiber steht aber auch hier unser nicht nachhaltiges Verkehrswesen mit dem ausufernden Lkw- und Pkw-Verkehr in der Kritik. Ein Umsteuern hin zu den Verkehrsmitteln des Umweltverbunds mit der Schiene als Rückgrat und Leistungsträger bringt uns auch in dieser Frage wirksamen Verbesserungen endlich näher.
Hier sind detaillierte Informationen über die Flächenentwicklungen zwischen Straße und Schiene zu finden: Auswertung_Tabelle