Umgang mit den Wahrheiten rund um Stuttgart 21
Sehr geehrter Herr Dr. Lutz,
die vorgesehene Unterbrechung der S‑Bahn-Anbindung an den Flughafen Stuttgart und nach Filderstadt für die Dauer von einem Jahr und der Umgang Ihres Unternehmens mit diesem Thema verärgern mich stark. Ich frage mich wie es sein kann, dass eine Zeitung darüber berichtet und der Stuttgart 21-Projektsprecher dazu jede Stellungnahme verweigert. Das ist die Kommunikationsverweigerung, die wir im Zusammenhang mit Stuttgart 21 seit vielen Jahren kennen und die zu einem großen Vertrauensverlust in die Deutsche Bahn, aber auch in die Politik, geführt hat.
Ich wünsche mir, nein ich erwarte, dass Politik und Öffentlichkeit stets umgehend über neue Erkenntnisse informiert werden. Die Zeiten, in denen unangenehme Entwicklungen erst mit erheblicher Verspätung und meistens dann, wenn sie sich nicht mehr leugnen lassen, eingeräumt werden, müssen endlich vorbei sein! Andernfalls wird noch mehr Porzellan zerschlagen.
1. Im Zusammenhang mit den geplanten Baumaßnahmen für die Führung der Züge aus Zürich (Gäubahn) an den Stuttgarter Flughafen habe ich folgende Fragen:
a. Wann wird mit dem Bau der Rohrer Kurve begonnen und welche Beeinträchtigungen werden davon auf den Betrieb der S‑Bahn ausgehen?
b. Wann wird mit der Anpassung der Gleislage auf der S‑Bahn-Strecke begonnen und welche Beeinträchtigungen werden davon auf den Betrieb der S‑Bahn ausgehen?
c. Wann wird mit den Arbeiten für den Flughafenhalt am 3. Gleis begonnen und welche Beeinträchtigungen werden davon auf den Betrieb der S‑Bahn ausgehen? Wie positioniert sich die DB zum möglichen Bau eines Interims-Bahnsteigs?
d. Ist sichergestellt, dass die genannten Baumaßnahmen alle zeitgleich erfolgen oder können die Beeinträchtigungen der S‑Bahn zum Flughafen/nach Filderstadt in der Summe länger als ein Jahr andauern?
Es ist auch an der Zeit, endlich mal mit anderen innerhalb der DB bekannten Fakten an die Öffentlichkeit zu gehen:
2. Stuttgart 21 wird sich nicht mit den 8,2 Milliarden Euro fertigstellen lassen, von denen noch immer die Rede ist. Die Gesamtkosten für Stuttgart 21 liegen bei über 10 Milliarden Euro. Dem Bahnvorstand ist dies bekannt. Ich erwarte, dass die DB als Bauträgerin die Öffentlichkeit über die aus heutiger Sicht zu erwartenden Kosten informiert.
3. Ein halbes Jahr vor der Inbetriebnahme des neuen Stuttgarter Tiefbahnhofs wird die Trasse der Gäubahn im Rahmen der Baumaßnahmen für Stuttgart 21 an einer Stelle abgetragen und damit dauerhaft unterbrochen. Die Züge werden ab diesem Zeitpunkt in Stuttgart-Vaihingen beginnen und enden. Da die Führung der Gäubahn – Stand heute – aber erst zwei Jahre später in Betrieb gehen soll bedeutet dies: Die Züge aus und nach Zürich werden mindestens 2,5 Jahre lang nicht an den Stuttgarter Hauptbahnhof fahren können, sondern in Vaihingen beginnen und enden. Für den Bahnverkehr zwischen Baden-Württemberg und der Schweiz wird dies fatale Auswirkungen haben. Ich erwarte, dass die DB die Öffentlichkeit darüber informiert, dass diese Unterbrechung mit einem verhältnismäßig einfachen baulichen Aufwand und Kosten im einstelligen Millionenbereich vermieden werden kann. Die DB muss erklären, weshalb sie diese Chance zur Vermeidung eines Rückbaus der Trasse nicht ergreifen möchte. Andernfalls erwarte ich, dass die Öffentlichkeit darüber informiert wird, wie lange die Züge der Gäubahn voraussichtlich nicht bis zum Hauptbahnhof fahren können und auch darüber, ob in dieser Zeit angesichts des zu befürchtenden Ausbleibens vieler Fahrgäste überhaupt Fernzüge fahren werden.
4. Wegen der Unterbrechung der Gäubahnstrecke auf Stuttgarter Stadtgebiet entfällt auch die Ausweichstrecke für die S‑Bahn. Es wird für die S‑Bahn so lange keine Ausweichstrecke geben, wie die Verbindung zwischen Hauptbahnhof über den im Bau befindlichen Fildertunnel an den Flughafen und die Verknüpfung mit der bestehenden S‑Bahn-Trasse am Flughafen nicht fertiggestellt ist. Ich erwarte, dass die DB erklärt, auf welche Strecke S‑Bahnen der Linien S 1, S 2 und S 3 umgeleitet werden sollen, wenn die S‑Bahn-Röhre zwischen Hauptbahnhof (S‑Bahnhof) und der Station Schwabstraße beispielsweise wegen Weichen- oder Signalstörungen gesperrt ist. Vermutlich wird die DB für die Dauer von mindestens 2,5 Jahren keine Ausweichstrecke benennen können. Aus Fahrgastsicht ist eine S‑Bahn, für die es im Fall einer Betriebsstörung auf lange Zeit keine Alternativstrecke gibt, ein höchst unzuverlässiges Verkehrsmittel. Insofern ist es auch für das Notfallkonzept der S‑Bahn zwingend erforderlich, dass die Gäubahnstrecke in Stuttgart und damit die Anbindung an den Hauptbahnhof (oben) erhalten bleibt.
Es wird Zeit, dass unangenehme Nachrichten nicht erst dann, wenn sie sich nicht mehr verdrängen lassen, offen kommuniziert werden. Daher meine dringende Bitte an Sie und die Deutsche Bahn: Informieren Sie die Öffentlichkeit aktiv und frühzeitig, also jetzt, über alle Umstände, die uns mit Stuttgart 21 erwarten! Der Umgang mit dem Milliardenprojekt Stuttgart 21 muss grundlegend geändert werden. Die Ära des Vertuschens, Verschleierns und Verharmlosens muss endlich ein Ende finden und von einem frühzeitigen und ehrlichen Aussprechen aller Probleme abgelöst werden. Probleme lassen sich, wenn überhaupt, nur lösen, wenn sie ausgesprochen werden. An Problemen mangelt es bei Stuttgart 21 nicht, wohl aber an Mut seitens der DB, die Probleme offen anzusprechen.
Mit freundlichen Grüßen
Matthias Gastel