08.08.2019
Tourismus muss nachhaltiger werden
Die Ostseeinsel Usedom erfreut sich touristisch hoher Beliebtheit. Doch der Tourismus bringt mit dem Verkehr auch Belastungen auf die Ostseeinsel. Eine Lösung kann im Ausbau der Bahnanbindung liegen. Das haben meine Fraktionskollegin Claudia Müller und ich vor Ort diskutiert. Wir waren entlang einer stillgelegten Bahnstrecke und einer größtenteils zerstörten Bahnbrücke unterwegs.
Zunächst zur Vorgeschichte: Die Insel konnte in früheren Zeiten sowohl über Wolgast im Norden (wenngleich die Brücke über den Meeresstrom bis zum Jahr 2000 zu Fuß überquert werden musste) als auch über die „Karniner Hubbrücke“ im Süden per Bahn erreicht werden. Doch wenige Tage vor Ende des Zweiten Weltkrieges sprengte die deutsche Wehrmacht die Karniner Brücke, die seither nicht wieder aufgebaut wurde. Wie ein Fingerzeig ragt der noch vorhandene mittlere Brückenteil mit seiner Hubeinrichtung 35 Meter in die Höhe. Die Bahnfahrt von Berlin auf die Insel erfolgt heute über Wolgast und dauert länger als noch bis in die 1940er-Jahre hinein. Anfang der 1990er-Jahre hätte es noch dicker kommen können: Die damalige Reichsbahndirektion Schwerin stellte den Antrag auf die Stilllegung der bereits ziemlich zerfallenen Inselbahn. Doch es gab dagegen Widerstände und gute Ideen für eine Sanierung und attraktive Betriebskonzepte. 1994 wurde die Usedomer Bäderbahn als hundertprozentige Tochtergesellschaft der Deutschen Bahn gegründet. Die Strecke wurde saniert, in Wolgast wurde eine neue durchgehende Verbindung hergestellt. Im Jahr 2002 wurden wesentliche Teile wieder in Betrieb genommen und Züge über Züssow (Festland) hinaus bis Stralsund durchgebunden. Es kamen moderne Niederflurtriebwagen zum Einsatz. Seit 2008 fährt die UBB auf der nach Świnoujście verlängerten Strecke auch nach Polen. Die Fahrgastzahlen stiegen deutlich von 700 pro Tag im Jahr 1992 auf mehr als das Zehnfache.
Handlungsbedarfe für die Zukunft
1. Inselstrecke und Fahrzeuge
Die Strecke auf die Insel und auf der Insel ist eingleisig und nicht elektrifiziert. Gefahren wird mit Dieseltriebzügen von Stadler. Spätestens ab dem Jahr 2030 dürften die ersten dieser Fahrzeuge das Ende ihrer Nutzungsdauer erreichen. Die Streckenelektrifizierung oder der Einsatz von Fahrzeugen mit alternativen Antrieben (batterieelektrische Züge, die im Streckenabschnitt Stralsund – Züssow unter Fahrdraht laden können oder Brennstoffzellenfahrzeuge) muss also geklärt werden. Im Gespräch mit dem UBB-Geschäftsführer Jürgen Boße und dem Konzernbevollmächtigten der DB, Dr. Joachim Trettin, haben meine Fraktionskollegin Claudia Müller und ich auch darüber gesprochen. Wir erfuhren, dass man eine Streckenelektrifizierung für unrealistisch hält, sich aber bereits mit verschiedenen alternativen Antrieben befasst.
2. Reaktivierung Ducherow – Usedom – Świnoujście („Karniner Brücke“)
Zerstört wurden durch die Wehrmacht die seitlichen Brückenbögen des 350 Meter langen Brücken-Bauwerks. Das „Herzstück“ der Eisenbahnhubbrücke, das 52 Meter lange und zweigleisige Hubgleis, wurde in seiner aktiven Zeit für Schiffspassagen gehoben und für den Zugverkehr wieder auf das Niveau der Anschlussgleise abgesenkt. Es gibt bereits seit den 1990er Jahren Bestrebungen, die Strecke vollständig wiederherzustellen. Die Fahrzeit zwischen Berlin und dem Osten der Insel Usedom (Heringsdorf) könnte so mit rund zwei Stunden auf die Hälfte verkürzt werden. Heute dauert eine Fahrt von Berlin auf die Insel Usedom 3 Stunden 53 Minuten; dabei muss in Züssow vom Regionalexpress auf die UBB umgestiegen werden. Die etwa 40 Kilometer lange zu reaktivierende Strecke wurde bisher nie offiziell entwidmet. Für den Bund ist die Reaktivierung leider kein Thema mehr. Das war schon mal anders: Die rot-grüne Bundesregierung hatte die Wiederherstellung in den Vordringlichen Bedarf des Bundesverkehrswegeplans (BVWP) aufgenommen. Zuvor hatten, davon wurde uns vor Ort berichtet, Abgeordnete der beiden damaligen Regierungsfraktionen das Übrigbleibsel der Brücke besichtigt. Leider kam es nicht zur Realisierung – und die Brücke schaffte es nicht mehr in den darauf folgenden BVWP.
Es gibt jedoch ein verbands- und parteiübergreifendes deutsch-polnisches Aktionsbündnis Karniner Brücke, das sich für den Wiederaufbau der Brücke einsetzt. Ende April 2010 wurde eine von der DB International erarbeitete Nutzen-Kosten-Analyse veröffentlicht, die mit Berücksichtigung des Güterverkehrs ein Nutzen-Kosten-Verhältnis von 2,6 ergab. Landesverkehrsminister Christian Pegel (SPD) kündigte kürzlich an, dass das Land Mecklenburg-Vorpommern die Vorplanung der Streckenreaktivierung vorantreiben wolle. Dazu sind im Entwurf des Landeshaushalts 2020/2021 insgesamt 2,4 Millionen Euro für die Leistungsphase 1 und 2 vorgesehen. Angestrebt wird eine elektrifizierte, eingleisige Strecke für den Personen- und den Güterverkehr. Die Strecke soll sowohl auf den polnischen (Hafen Swinemünde, Güterverkehr) als auch den deutschen Teil der Insel (Heringsdorf) führen. Da die ehemalige Trasse auf polnischer Seite bereits überbaut ist, muss für einen Teilabschnitt eine neue Trassierung gesucht werden.
Was uns, Claudia Müller und mir, in den Gesprächen auf der Insel immer wieder gesagt wurde: Sowohl das Straßen- als auch das Schienennetz (bis zu 20.000 Reisende an Spitzentagen) sind an der Kapazitätsgrenze. Daher ist für uns klar: Wenn Verkehrswege ausgebaut werden müssen, dann soll das die Schiene sein!
Zu unseren Gesprächen auf Usedom haben Claudia Müller und ich gegenüber der Presse erklärt:
Matthias Gastel, Sprecher für Bahnpolitik der Grünen-Bundestagsfraktion:
„Es ist kein Naturgesetz, dass Usedom alljährlich zur Sommersaison in Blechlawinen zu ersticken droht. Schon heute leistet die UBB einen wichtigen Beitrag für zukunftsfähige und klimafreundliche Mobilität. Jetzt muss es darum gehen, die Anbindung Usedoms an den schnellen Regionalverkehr und Fernverkehr durchgreifend zu verbessern. An erster Stelle steht dabei die Reaktivierung der Strecke über die Karniner Brücke nach Świnoujście. Das ist nicht allein eine Aufgabe des Landes Mecklenburg-Vorpommern. Für die Finanzierung der Streckenreaktivierung ist vor allem der Bund gefordert. Die Anbindung der Tourismusregion Usedom muss der Bund zudem bei der Planung des Deutschland-Takts berücksichtigen, denn schließlich geht es hier auch um grenzüberschreitenden Fernverkehr. Wir erwarten, dass die Bundesregierung den Ball aufnimmt, den das Land Mecklenburg-Vorpommern mit dem finanziellen Engagement für die Vorplanung angestoßen hat.“
Claudia Müller, Mittelstandsbeauftragte und Sprecherin für maritime Wirtschaft verweist als Bundestagsabgeordnete aus Mecklenburg-Vorpommern auf die besondere Bedeutung gerade für die Tourismusbranche:
„Die von der Landesregierung im Haushaltsentwurf vorgesehenen Mittel für die Vorplanung des Bahnprojekts auf Usedom sind einer ein erster wichtiger Schritt. Für die Tourismuswirtschaft auf der Ferieninsel ist die gute Erreichbarkeit auf der Schiene ein zentraler Faktor, um neue Gästegruppen anzusprechen. Denn nachhaltiger Tourismus beginnt mit der Anreise – die Bahn ist dabei natürlich erste Wahl. Die Verkehrsprobleme auf der Insel Usedom sind nicht mit den verkehrspolitischen Konzepten der Vergangenheit zu lösen. Mehr Straßenbau verlagert nur die Probleme in andere Bereiche der Region. Wir brauchen stattdessen Investitionen in attraktive Alternativen wie die Wiederbelebung der östlichen Bahnanbindung Usedoms. Die auf der reaktivierten Strecke erzielbare Reisezeit von etwa zwei Stunden für die Strecke Berlin – Usedom wird mehr Menschen in die Züge locken und die Straßen entlasten. Für einen zukunftsfähigen Tourismus auf Usedom brauchen wir die Bahnanbindung über die Karniner Brücke.“