Die Sache hat leider einen Haken!
Der Bund hat die Haushaltsmittel nach dem Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz (GVFG) deutlich erhöht und die Förderbedingungen erheblich „kommunalfreundlicher“ gestaltet. Jetzt könnte es also so richtig voran gehen mit dem Bau neuer S- und Straßenbahnen, der Elektrifizierung von Schienenwegen oder auch der Reaktivierung stillgelegter Bahnstrecken. Leider muss da das Wörtchen „könnte“ gesetzt werden.
„Könnte“ deshalb, weil die Voraussetzung für Zuschüsse des Bundes der Nachweis des volkswirtschaftlichen Nutzens ist. Dieser wird nach der „Standardisierten Bewertung“ berechnet. Seit längerem schon ist eine neue „Standi“ angekündigt, liegt aber nicht vor. Zuletzt war von Ende 2020 die Rede. Nun ist von Ende 2021 auszugehen. Nachfolgend beantworte ich die zentralen Fragen rund um die „Standi“. Nähere Infos zur GVFG-Förderung sind hier zu finden: https://www.matthias-gastel.de/neue-verkehrsfinanzierung-erleichtert-verkehrswende-vor-ort/
1) Warum braucht es eine Reform bei der standardisierten Bewertung für regionale Verkehrsprojekte nach dem Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetzes (GVFG)?
Das Bewertungsverfahren ist veraltet und wird den Herausforderungen der Verkehrswende nicht gerecht. Derzeit wird der Nutzen von Vorhaben des öffentlichen Verkehrs – insbesondere die positiven Wirkungen durch Verkehrsverlagerung – nur unzureichend abgebildet, so dass es zu verzerrten Ergebnissen kommt und kaum der notwendige Wert von 1 überschritten werden kann. Zudem weist das aktuelle Verfahren hier deutliche Lücken auf. So liegt der CO2-Preis in der aktuellen Methodik (2016) bei 149 €/t – 2006 lag der CO2-Preis noch bei 231 €/t.
2) Wie sollte diese ausfallen? Welche Aspekte sollten zusätzlich berücksichtigt werden oder mehr Gewicht erhalten?
Grundsätzlich sind Umweltwirkungen und die Reduzierung von Treibhausgasen höher bzw. entsprechend ihrer großen Bedeutung zu gewichten. Auch die Tatsache, dass öffentliche Verkehrsmittel – neben dem Fahrrad – vor allem in urbanen Räumen die Verkehrsmittel mit der geringsten Flächeninanspruchnahme sind, findet in der Bewertung keine Würdigung. Der Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs verbessert die Lebensqualität von Städten, was ihre Attraktivität insgesamt erhöht. Das lässt sich projektbezogen schwer monetarisieren – muss aber bei der Bewertung trotzdem in geeigneter Form einfließen.
3) Inwiefern ist diese Reform nötig, damit die Änderungen beim Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetzes (GVFG) greifen können?
Das vor einem Jahr reformierte GVFG-Bundesprogramm sieht deutlich mehr Mittel und höhere Fördersätze für die Infrastruktur des öffentlichen Verkehrs vor. Jetzt kommt es darauf an, dass die Planungen von Aus- und Neubauvorhaben bei Bus und Bahn schnell vorankommen und wir nicht unnötig Zeit mit bürokratischen Bewertungsverfahren verlieren. Derzeit haben Verkehrsplaner beispielsweise alle Mühe, Streckenreaktivierungen bei der Nutzen-Kosten-Untersuchung über den Schwellenwert von 1 zu bringen. Wenn die Verkehrswende Rückhalt in der Bevölkerung finden soll, dann muss sich auch ganz konkret im Umfeld der Menschen etwas verbessern. Die (Wieder-) Anbindung ländlicher Räume durch reaktivierte Bahnstrecken ist ein sichtbares Zeichen, dass der Ausbau von Bus und Bahn nicht nur ein Thema für die Großstädte und Ballungsräume ist.
4) Werden Maßnahmen für mehr Netzstabilität ausreichend gewürdigt?
Nein – die bisherige Bewertungsmethodik ist für Investitionen in die Verbesserung der Betriebsqualität und Betriebsstabilität quasi blind. Lediglich bei bereits bestehenden Strecken ist eine Berücksichtigung der Betriebsqualität möglich. Jedoch ist hier die Nachweisführung so aufwändig, dass es in der Praxis unterbleibt. Erreicht ein Schienenprojekt nur mit Mühe ein Nutzen-Kosten-Faktor von 1, dann wird der Infrastrukturausbau auf das absolut betriebsnotwendige Maß beschränkt. In der Praxis bedeutet dies, dass beispielsweise ein zusätzliches Kreuzungsgleis oder ein zweigleisiger Streckenabschnitt zur Abpufferung von Verspätungen der kostenmäßigen Optimierung zum Opfer fällt. Die Infrastruktur ist dann zwar nach dem GVFG förderfähig, aber der Betrieb leidet später an dem Manko, dass sich Verspätungen aufschaukeln können und der Betrieb instabil läuft. Es gibt Beispiele, bei denen die Infrastruktur wegen der standardisierten Bewertung derart auf Kante genäht wurde, dass die zugrunde gelegten Betriebskonzepte in der Praxis nicht verlässlich gefahren werden konnten
5) Und vielleicht noch mal eine getrennte Betrachtung: Welche Änderungen braucht es bei Nahverkehrsprojekten (U‑Bahn, Tram) und welche bei Regionalbahnstrecken?
Das aktuelle standardisierte Bewertungsverfahren ist für Reaktivierungen oder Schienenprojekte im ländlichen Raum ungeeignet. Die Kostenfaktoren sind nachweislich ein Rückschritt und müssen dringend überarbeitet werden (siehe Beispiel CO2-Preis). Bei Reaktivierungen braucht es eine höhere Gewichtung des Verlagerungseffekts, eine bessere Berücksichtigung der betrieblichen Stabilität und der Erreichbarkeit der Anschlüsse über die Reaktivierung hinaus. Außerdem wären raumordnerische Kriterien wichtig, wie beispielsweise die Anbindung von Mittelzentren an das Schienennetz.
Dazu kommt auch der Aspekt, dass Güterverkehre im GVFG nicht berücksichtigt werden, obwohl ja auch hier ein Verlagerungsziel besteht. Auch hier besteht Änderungsbedarf.
6) Wann ist mit einer Reform zu rechnen?
Die Bundesregierung hat die Überarbeitung der Bewertungsmethodik leider auf die lange Bank geschoben, so dass die entsprechenden Beratungsleistungen erst kürzlich ausgeschrieben wurden. Wahrscheinlich wird die neue Methodik frühestens Ende des Jahres vorliegen. Die erhöhten Bundesmittel werden nicht vollständig abgerufen werden können. Damit verlieren wir wertvolle Zeit für die Projekte der Verkehrswende.