Gespräch mit Prof. Debus (Mannheim) – Ausblick auf Bundestagswahl
Die Wählerinnen und Wähler haben über die Zusammensetzung des neuen Landtags in Baden-Württemberg entschieden. Welche Optionen einer Regierungsbildung bestehen und wo liegen die jeweiligen Chancen? Welche Hürden wären für welche Regierungskonstellation zu überwinden? Auf welchen landes- und bundespolitischen Einflüssen gründen Verluste und Gewinne der Parteien im Land? Was lässt sich aus den Wahlergebnissen für die Bundestagswahl im September ableiten? Darüber sprach ich in einer öffentlichen Videoveranstaltung mit dem Mannheimer Politikwissenschaftler Prof. Marc Debus. Zu dessen Arbeitsschwerpunkten zählen die politischen Parteien und die Analyse von Koalitionsbildungen der letzten Jahrzehnte.
Der Referent ging zunächst auf die Theorie der Regierungsbildung ein. Diese sei bedingt durch nutzenmaximierende wie institutionell-kontextuelle Faktoren. Dazu würden gehören: Ämtermaximierung durch die kleinstmögliche Koalition, geringe Policy-Distanz, Vorteil der stärksten Parlamentspartei, den Amtsinhabervorteil (s. u.), die Kongruenz zur Bundesebene (u. a. Mehrheitssituation im Bundesrat) sowie positiv wie negativ formulierte Koalitionsaussagen. Konkret auf Baden-Württemberg bezogen würde das Theoriemodell mit einer Wahrscheinlichkeit von 52 Prozent zu einer Neuauflage von Grün-Schwarz führen. Wird der Aspekt „Amtsinhabervorteil“ (damit ist der Startvorteil für die bisherige Konstellation gemeint) herausgenommen, so würde sich das Ergebnis deutlich verändern: Grün-Schwarz hätte dann nur noch eine Wahrscheinlichkeit von 26 Prozent. Mit 51 Prozent läge die „grüne Ampel“, bestehend aus Grünen, SPD und FDP, vorne. Bei dieser zweiten Wahrscheinlichkeitsrechnung kommen inhaltliche Schnittpunkte stärker zum Tragen.
Dass die Parteienlandschaft gerade mächtig in Bewegung gekommen ist machte Professor Debus an der Tatsache fest, dass rechnerisch sogar fast ein grün-gelbes Bündnis möglich geworden wäre. Doch wie steht es aktuell und perspektivisch mit Blick auf die Bundestagswahl um die einzelnen Parteien? Hier eine kurze Übersicht über die Einschätzungen des Parteienforschers:
Grüne
In Rheinland-Pfalz wie auch in Baden-Württemberg hätten die jeweiligen Amtsinhaber*innen ihren Parteien (SPD bzw. Grünen) Vorteile gebracht. Welcher Anteil der guten Ergebnisse auf die Ministerpräsidentin/den Ministerpräsidenten entfallen würden, ließe sich aber nicht sagen. In Baden-Württemberg seien die hohen Kompetenz- und Problemlösungszuschreibungen zugunsten der Grünen auffällig gewesen. Kretschmann habe mit seiner Bodenständigkeit und seiner „moderaten Politik“, für die die Grünen in Baden-Württemberg auch stünden, gepunktet. Die Grünen hätten sich darüber hinaus als Contra-Punkt zur AfD und mit Positionen zu Umwelt/Klima/Energie profiliert. Stimmungen, so Prof. Debus, könnten jedoch schnell umschlagen.
CDU (und CSU)
Die CDU hatte in Baden-Württemberg Verluste erlitten und ihr bislang schlechtestes Ergebnis eingefahren. Auch bundesweit sinken die Umfragewerte der Union. Nach Einschätzung von Prof. Debus stehe dies im Zusammenhang mit dem Corona-Krisenmanagement und der „Maskenaffäre“. In unserer schnelllebigen Zeit, in der noch dazu die Wähler*innen immer kurzfristiger ihre Entscheidungen treffen würden, könne sich die Situation wieder einpendeln. Der neue Parteichef Armin Laschet habe sich in den letzten Wochen zurück gehalten, um möglichst wenig mit den erwähnten Problemen in Verbindung gebracht zu werden. Die Kanzlerkandidatur mit Markus Söder der CSU zu überlassen sei für die CDU schwierig und die Erfahrungen damit seien, wie ein Rückblick zeige, nicht gut. Zu Baden-Württemberg: Ein Wechsel in die Opposition könne der CDU vielleicht ermöglichen, AfD-Wähler*innen zurück zu gewinnen. Ob dies funktionieren könne, sei aber nicht zu belegen, da zu wenige Erfahrungen aus der Praxis vorlägen.
SPD
Die Partei würde in Baden-Württemberg hinter Grünen und CDU keine größere Rolle spielen. Ein Unterbau sei kaum vorhanden. Im Bund sei der Widerspruch schwer erklärbar, der sich daraus ergäbe, dass Olaf Scholz bei der Wahl des Parteivorsitzes durchgefallen, nun aber Kanzlerkandidat sei. Die Scholz-Nominierung sei auch deshalb ohne Effekt verpufft.
FDP
Aus heutiger Sicht stelle sich die Entscheidung von vor über drei Jahren, die Jamaica-Gespräche platzen zu lassen, als „nicht schlechte“ Entscheidung heraus. So könne die FDP die Corona-Politik, aber auch Versäumnisse bei der Digitalisierung, kritisieren. Es sei vielleicht besser, mit sechs oder sieben Prozent in der Opposition zu sein als mit der Regierungsarbeit an der Fünf-Prozent-Hürde zu scheitern, sagte Prof. Debus im Rückblick auf die Erfahrung aus dem Jahr 2013. In Rheinland-Pfalz sehe man, dass man in der Regierung als kleiner Partner verlieren könne.
Linke
Die Linke sei aufgrund ihrer historischen Entwicklung eine Ost-Partei – abgesehen von Schwerpunkten in Unistädten. Im Westen werde sie als „radikal“ wahrgenommen. In Baden-Württemberg gäbe es darüber hinaus kein klassisches Industriearbeitermilieu.
AfD
In der Krisenzeit seien politische Erfahrung und Angebote für die Krisenbewältigung gefragt gewesen. Hier habe die AfD nicht liefern können. Zusätzlich sei die Partei durch interne Streitigkeiten belastet und das Kernthema, die Migrationspolitik, habe kaum eine Rolle gespielt.
Abschließend sprachen wir noch über die Erfolge der Kleinparteien (Freie Wähler, Volt, Klimaliste). Hier zeige sich, so unser Referent, dass es immer weniger traditionelle Parteibindungen unter den Wählenden gebe.