Mit Scheuer kommt Streckenelektrifizierung nicht voran

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01.04.2021

Fast alle Bahnstrecken fallen durch

In Deutsch­land sind kaum mehr als 60 Pro­zent der Schie­nen­stre­cken mit einer Ober­lei­tung aus­ge­stat­tet. Es ist poli­ti­scher Kon­sens, dass wir hier wei­ter kom­men müs­sen. Das Land kommt aber kaum vor­an. Aus gro­ßen Ankün­di­gun­gen wer­den klei­ne Taten.

Im März hat das Bun­des­ver­kehrs­mi­nis­te­ri­um das För­der­pro­gramm „Elek­tri­sche Güter­bahn“ ver­öf­fent­licht. Es soll­ten ins­be­son­de­re Aus­weich­rou­ten für den Güter­ver­kehr geschaf­fen wer­den. Doch bei nähe­rem Hin­se­hen fällt schnell auf, dass es sich um ein poli­ti­sches Schmal­spur­pro­gramm han­delt. Man kann auch sagen: „Der Berg kreis­te und gebar eine Maus“. Nach­dem die Bun­des­re­gie­rung mehr als 170 Stre­cken bzw. Teil­stre­cken unter­sucht und mehr­fach die Ver­öf­fent­li­chung ver­scho­ben hat, ist das Ergeb­nis eine her­be Ent­täu­schung. Unter den unter­such­ten Stre­cken befand sich auch die Hohen­lo­he­bahn von Öhrin­gen nach Schwä­bisch Hall-Hes­sen­thal und die Brenz­bahn Aalen – Ulm. Die Elek­tri­fi­zie­rung bei­der Stre­cken hät­te nicht nur dem Per­so­nen­ver­kehr, son­dern vor allem auch dem Schie­nen­gü­ter­ver­kehr genutzt, der drin­gend Aus­weich­stre­cken benö­tigt. Wie die meis­ten ande­ren Stre­cken sind bei­de Stre­cken bei der Wirt­schaft­lich­keits­un­ter­su­chung durch­ge­fal­len.

Die durch einen Fels­sturz unter­bro­che­ne Stre­cke im Mit­tel­rhein­tal zeigt gera­de auf ein­dring­li­che Wei­se, wel­che mas­si­ven Stö­run­gen Stre­cken­sper­run­gen im Schie­nen­netz ver­ur­sa­chen kön­nen. Die Sper­rung der rech­ten Rhein­stre­cke erin­nert zudem an die Unter­bre­chung der Ober­rhein­stre­cke bei Ras­tatt im Spät­som­mer 2017. Die Bun­des­re­gie­rung woll­te als Leh­re aus „Ras­tatt“ Aus­weich­stre­cken für den Güter­ver­kehr aus­bau­en. Mehr als drei Jah­re spä­ter müs­sen wir fest­stel­len, dass es bei Ankün­di­gun­gen geblie­ben ist. Ereig­nis­se wie bei Ras­tatt kön­nen sich jeder­zeit wie­der­ho­len.

Mit die­ser Schmal­spur­agen­da für gera­de ein­mal acht Maß­nah­men und ins­ge­samt 200 Stre­cken­ki­lo­me­ter wird es der Bun­des­re­gie­rung auch bis 2030 nicht gelin­gen, 70 Pro­zent des Stre­cken­net­zes unter Fahr­draht zu brin­gen. Wer­den alle för­der­fä­hi­gen Stre­cken­elek­tri­fi­zie­run­gen umge­setzt, dann wächst der Elek­tri­fi­zie­rungs­grad des Schie­nen­net­zes um mage­re 0,6 Pro­zent. Ohne­hin wird Bun­des­ver­kehrs­mi­nis­ter Andre­as Scheu­er das selbst gesteck­te Ziel, die­sen Wert bis 2025 zu errei­chen, ver­feh­len. Denn der­zeit sind nur 61 Pro­zent des Schie­nen­net­zes elek­tri­fi­ziert. Wir müs­sen fest­stel­len, dass die Anstren­gun­gen der Regie­rung für wei­te­re Stre­cken­elek­tri­fi­zie­run­gen völ­lig unzu­rei­chend sind und nicht zu den Zie­len pas­sen.

Dass ein Groß­teil der geprüf­ten Elek­tri­fi­zie­rungs­vor­ha­ben bei der Wirt­schaft­lich­keits­un­ter­su­chung durch­ge­fal­len sein soll, ist ein plum­pes Ablen­kungs­ma­nö­ver des Ver­kehrs­mi­nis­ters. Eine Wirt­schaft­lich­keits­un­ter­su­chung bei­spiels­wei­se für Aus­weich­stre­cken durch­zu­füh­ren, die im Fal­le von Betriebs­stö­run­gen bereit­ste­hen müs­sen, kann nur schei­tern. Wenn wir mehr Red­un­danz und Ver­läss­lich­keit im Schie­nen­netz haben wol­len, dann müs­sen sol­che Stre­cke unab­hän­gig von klas­si­schen Wirt­schaft­lich­keits­er­wä­gun­gen elek­tri­fi­ziert wer­den. Am Ende ist es eine ver­kehrs­po­li­ti­sche Ent­schei­dung, wel­chen Wert mehr Resi­li­enz im Schie­nen­netz haben soll. Eine Groß­stö­rung wie im Spät­som­mer 2017 auf der Ober­rhein­stre­cke bei Ras­tatt hat gro­ßen wirt­schaft­li­chen Scha­den im inter­na­tio­na­len Güter­ver­kehr ver­ur­sacht und muss künf­tig unbe­dingt ver­mie­den wer­den. Wir brau­chen für die wich­ti­gen Güter­ma­gis­tra­len daher leis­tungs­fä­hi­ge und elek­tri­fi­zier­te Aus­weich­stre­cken.