Ampel-Vorschlag für kleineren Bundestag

07.06.2022

Verzicht auf Überhang- und Ausgleichsmandate

Der Deut­sche Bun­des­tag ist das zweit­größ­te Par­la­ment der Welt – nur der Volks­kon­gress in Chi­na ist grö­ßer. Der Hand­lungs­be­darf ist schon län­ger ersicht­lich, doch frü­he­re Bun­des­re­gie­run­gen trau­ten sich nicht ans Wahl­recht her­an. Abge­ord­ne­te aus den drei Ampel-Frak­tio­nen haben nun einen gemein­sa­men Vor­schlag vor­ge­legt.

Bereits im Koali­ti­ons­ver­trag war ver­ein­bart wor­den, dass das Wahl­recht end­lich ange­packt wer­den soll. Dort heißt es: „Wir wer­den inner­halb des ers­ten Jah­res das Wahl­recht über­ar­bei­ten, um nach­hal­tig das Anwach­sen des Bun­des­ta­ges zu ver­hin­dern. Der Bun­des­tag muss effek­tiv in Rich­tung der gesetz­li­chen Regel­grö­ße ver­klei­nert wer­den. Eine Ver­zer­rung der Sitz­ver­tei­lung durch unaus­ge­gli­che­ne Über­hang­man­da­te leh­nen wir ab.“ Im Koali­ti­ons­ver­trag geht es auch um Pari­tät zwi­schen Frau­en und Män­nern, die Ver­län­ge­rung der Legis­la­tur­pe­ri­ode auf fünf Jah­re, die Sen­kung des Wahl­al­ters auf 16 Jah­re und wei­te­re Zie­le. In die­sem Bei­trag kon­zen­trie­re ich mich jedoch auf die Ver­klei­ne­rung des Par­la­ments, weil hier­für der erwähn­te Vor­schlag vor­liegt.

Die bis­he­ri­ge „per­so­na­li­sier­te Ver­hält­nis­wahl“ hat­te bei der letz­ten Bun­des­tags­wahl für einen Bun­des­tag mit 736 statt 598[1] Abge­ord­ne­ten gesorgt. Dabei führ­te der gro­ße Bun­des­tag nicht nur zu erheb­li­chen Kos­ten, son­dern erschwer­te vor allem das Arbei­ten in den Aus­schüs­sen und mach­te die Ver­grö­ße­rung der Büro­ka­pa­zi­tä­ten not­wen­dig. Die Grün­de für die anwach­sen­den Abge­ord­ne­ten­zah­len lie­gen an den Über­hang- und Aus­gleichs­man­da­ten: Durch die Kom­bi­na­ti­on der Wahl eines Wahl­kreis­kan­di­da­ten (die­ser erhält dann ein sog. Direkt­man­dat) durch die Erst­stim­me und die Wahl einer Par­tei in der Zweit­stim­me kann es zu einem Son­der­fall kom­men: Wenn eine Par­tei mehr Direkt­man­da­te gewinnt, als ihr nach dem Anteil der Zweit­stim­men zuste­hen, darf sie die­se Man­da­te behal­ten. Um das Ver­hält­nis zwi­schen den Par­tei­en gemäß den Zweit­stim­men wie­der­her­zu­stel­len, erhal­ten die ande­ren Par­tei­en soge­nann­te Über­hang­man­da­te. Bei der letz­ten Wahl führ­ten acht gezähl­te Direkt­man­da­te der CSU zu 126 Aus­gleichs­man­da­ten.[2] Der beschrie­be­ne „Son­der­fall“ ist also kei­nes­wegs die Aus­nah­me.

Zunächst ein­mal sol­len die Stim­men umbe­nannt wer­den: Die „Erst­stim­me“ wird „Per­so­nen­stim­me“ hei­ßen, da mit ihr ja eine Per­son aus dem Wahl­kreis gewählt wird. Die Zweit­stim­me wird „Lis­ten­stim­me“ hei­ßen, da sie über die Sitz­ver­tei­lung zwi­schen den Par­tei­en im Bun­des­tag ent­schei­det. Im zukünf­ti­gen Vor­schlag ist die Grö­ße des Par­la­ments auf 598 Abge­ord­ne­te gede­ckelt und nur noch die Lis­ten­stim­me ent­schei­det dar­über, wie die­se Sit­ze unter den Par­tei­en ver­teilt wer­den. Dabei bleibt die 5%-Hürde erhal­ten, d.h. Par­tei­en, die weni­ger als 5% aller Lis­ten­stim­men erhal­ten, wer­den nach wie vor nicht berück­sich­tigt.[3] Wenn eine Par­tei mehr Per­so­nen­stim­men erhält, als ihr laut den Lis­ten­stim­men zuste­hen, erhal­ten die Wahl­kreis­ge­win­ner mit dem gerings­ten Stimm­an­teil, also dem schlech­tes­ten Ergeb­nis, kei­ne Sit­ze im Bun­des­tag. Das bedeu­tet, dass ein Direkt­man­dat über die Per­so­nen­stim­me nicht mehr für einen Sitz im Bun­des­tag garan­tiert. Ein Bei­spiel: Erhält eine Par­tei über die Per­so­nen­stim­men 15 Man­da­te, aber nur 13 über den Anteil der Lis­ten­stim­me, so erhal­ten die bei­den Kandidat*innen mit den gerings­ten Ergeb­nis­sen im jewei­li­gen Land kei­ne Man­da­te. Damit die Stim­men an die Kan­di­da­ten mit den gerings­ten Stimm­an­tei­len nicht „ver­lo­ren gehen“ und der Wahl­rechts­grund­satz der Gleich­heit nicht ver­letzt wird, sol­len die Wähler*innen eine Art „Ersatz­stim­me“ erhal­ten, mit der sie neben der favo­ri­sier­ten Kandidat*in auch eine wei­te­re Per­son als zwei­te Prä­fe­renz ange­ben kön­nen. Wenn die erst­ge­wähl­te Per­son nicht in den Bun­des­tag ein­zieht, wird die „Ersatz­stim­me“ gezählt.

Der Vor­schlag der Ampel wur­de bis­her vor allem von der Uni­on stark kri­ti­siert, da man dadurch die Direkt­man­da­te zweck­ent­frem­de und es nicht sein kön­ne, dass die Gewinner*innen eines Wahl­krei­ses igno­riert wür­den.[4] Dem ist ent­ge­gen­zu­hal­ten, dass die Stim­men durch die „Ersatz­stim­me“ immer noch in das Wahl­er­geb­nis ein­flie­ßen und es durch die zuneh­men­de Zer­split­te­rung des Par­tei­en­sys­tems in den Wahl­krei­sen bereits wäh­rend der letz­ten Wah­len Wahlkreiskandidat*innen gab, die nur mit gerin­gen Antei­len von nur wenig mehr als 20 Pro­zent und nicht mit einer abso­lu­ten Mehr­heit von über 50% ein Direkt­man­dat erwor­ben haben. In jedem Fall ist der Vor­schlag geeig­net, die Grö­ße des Deut­schen Bun­des­ta­ges auf sei­ne Soll­grö­ße zu beschrän­ken. Hof­fent­lich wird die die jah­re­lan­ge Blo­cka­de einer drin­gend erfor­der­li­chen Wahl­rechts­re­form durch den neu­en Vor­schlag auf­ge­bro­chen.

[1] Die regu­lä­re Min­dest­an­zahl der Sit­ze liegt bei 598: 299 Abge­ord­ne­te wer­den in den Wahl­krei­sen direkt gewählt, die glei­che Anzahl zieht über die Lan­des­lis­ten der Par­tei­en in den Bun­des­tag ein.

[2] Wahl­rechts­re­form – Wie der Bun­des­tag ver­klei­nert wer­den soll | deutschlandfunk.de

[3] Aus­nah­me: Wenn eine Par­tei min­des­tens drei Direkt­man­da­te erzielt, dann kommt die Fünf-Pro­zent-Hür­de nicht zur Anwen­dung.

[4] Wahl­recht: War­um die Reform nicht vor­an­kommt | tagesschau.de