18.02.2021, ergänzt am 01.03.2021
Meinung, Hintergründe, Alternativen
Der Ausbau der B 27 zwischen Aichtal und dem Echterdinger Ei auf insgesamt sechs Fahrspuren beschäftigt uns auf den Fildern schon sehr lange. Die Meinungen darüber gingen immer schon auseinander. Ein großer Aufreger waren die Pläne bis vor wenigen Monaten dennoch nicht. Nun wachsen die Zweifel spürbar, die kritischen Stimmen nehmen zu und werden lauter. Was ich darüber denke, habe ich hier zusammengestellt – und ich liefere einige Hintergrund-Infos.
Meine Presseerklärung Januar 2021:
“Die verkehrliche Beurteilung eines Ausbaus der B 27 lässt Fragen offen. Daher habe ich das Regierungspräsidium gebeten, in einer weiteren öffentlichen Veranstaltung, zu der ich gerne einladen möchte, die Verkehrsuntersuchung ausführlicher als auf den bisherigen Veranstaltungen vorzustellen und offene Fragen zu beantworten. Zu den offenen Fragen gehören Details zu Verkehrsab- und ‑zunahmen im umliegenden, innerörtlichen Straßennetz und zu den Annahmen, die für verkehrsreduzierende Maßnahmen an der B 312 im Zuge der Ortsdurchfahrt von Filderstadt-Bernhausen angenommen worden waren. Aus meiner Sicht kann es nur ein Argument für einen Ausbau der B 27 geben: Dies ist die Entlastung der Wohnbevölkerung durch deutliche Reduzierungen von Schleich- und Durchgangsverkehren auf den Straßen in den Ortsteilen. Ob der Ausbau der B 27 die Voraussetzung dafür darstellt und ob dafür der bisher vorgesehenen Ausbauumfang erforderlich ist, muss kritischer denn je hinterfragt werden.”
Ergänzung: Das Gespräch mit dem Regierungspräsidenten und den Planern hat inzwischen stattgefunden. Eventuell lade ich – abhängig vom weiteren Diskussionsbedarf – nach der Landtagswahl zu einer öffentlichen Veranstaltung ein.
Antwort auf ein Schreiben einer Bürgerin, die sich für den Ausbau aussprach (Februar 2021):
„Ich selber und auch die Grünen in Filderstadt haben den Ausbau der B 27 immer unterstützt. Doch es mehren sich bei uns die Zweifel. Die Zweifel daran, dass mit Straßenneu- und Ausbau Verkehrsprobleme gelöst werden können, wachsen auch in unserer Gesellschaft. Das finden wir im Grundsatz gut, denn wir wollen auf öffentliche Verkehrsmittel und das Fahrrad sowie den Fußverkehr setzen und Auto- sowie Lkw-Verkehre deutlich reduzieren und diesen nicht immer mehr Platz zubilligen. Wir wissen alle, dass neue Straßen – ebenso ausgebaute Straßen – neuen Verkehr produzieren. Das Prinzip des festen Reisezeitbudgets zeigt, dass die täglich im Verkehr verbrachte Zeit stabil ist, während die Länge der gefahrenen Strecken durch zunächst zügigeres Vorankommen auf neu- oder ausgebauten Straßen immer weiter steigt. Entstehen neue Straßen, steigt die Bereitschaft, bei gleichbleibendem Zeitaufwand weiter entfernt gelegene Ziele anzufahren. Die Verkehrsleistung insgesamt wächst und führt wieder zu Überlastungssituationen im ausgebauten Straßennetz. Das Bedürfnis nach weiterem Aus- und Neubau entsteht. Das erleben wir seit Jahrzehnten. Erhebliche Ausbaumaßnahmen haben die Situation nicht verbessert, sondern für immer längere Wege und damit mehr Straßenverkehr gesorgt. Diese fatale Logik müssen wir endlich durchbrechen. Für mich war der Stau an sich ohnehin nie ein Grund, den Ausbau zu unterstützen. Der aus meiner Sicht einzige Grund für den Ausbau kann sein, dass Menschen an Ortsdurchfahrten umliegender Orte von belastendem Durchgangsverkehr entlastet werden. Dies dürfte für den Filderstädter Stadtteil Bernhausen gelten, der im „Keil“ zwischen B 27 und A 8 liegt und bei Stau auf der B 27 als Abkürzung genutzt wird. Ich halte es für erforderlich, dass die Verkehrsprognose kritisch hinterfragt und auf Plausibilität überprüft wird. Dazu habe ich dem Regierungspräsidium vor einigen Tagen einige Fragen zukommen lassen, die wir demnächst gemeinsam erörtern werden.“
Hinweis: Das Verkehrsgutachten prognostiziert im Filderstädter Stadtteil Bernhausen folgende relevante Verkehrsreduzierungen: Aicher Straße ‑5.000 KfZ (entspricht ‑40%) und auf der Hauptstraße ‑3.500 (entspricht ‑30%).
Ausbau der Bahn als Alternative?
In der Verkehrsprognose werden alle bis zum Jahr 2035 zu erwartenden Entwicklungen berücksichtigt. Dazu gehören beispielsweise die Bevölkerungsentwicklung, der Ausbau des umliegenden Straßennetzes und ebenso der des Schienennetzes. Zum Schienennetz gehören die Stadtbahnlinie U 6 an den Flughafen, die Verlängerung der S 2 nach Neuhausen und Stuttgart 21. Zu Stuttgart 21: Alle halbe Stunde werden Regionalzüge auf der Bestandsstrecke von Tübingen über Reutlingen und Nürtingen – ab hier Neubau – über die große Wendlinger Kurve und die Neubaustrecke entlang der Autobahn an den Flughafen fahren. Die Fahrzeit zwischen dem Flughafen und Tübingen soll bei 37 Minuten liegen. Hinzuweisen ist noch auf das Projekt der „Regionalstadtbahn Neckar-Alb“. Zwischen Tübingen, Reutlingen und Schwäbischer Alb soll ein Bahnnetz mit der Anbindung vieler Orte entstehen, in dem heute viele Autofahrten über die B 27 in den Raum Filder und Stuttgart ihren Ursprung haben.
Immer wieder wird nach einer völlig neuen S‑Bahn-Strecke von den Fildern nach Tübingen gefragt. Eine solche wurde schon mehrfach untersucht – mit ernüchterndem Ergebnis. Aus einer Untersuchung „Zukunft des Schienenverkehrs in der Region Stuttgart“ von 2013/2014: „Es wurden zwei Trassenvarianten untersucht, die beide zweigleisig im Tunnel unter dem Flughafen von der bestehenden Trasse nach Filderstadt in südliche Richtung abzweigen und bis Gniebel identisch verlaufen. Variante 1 würde vor der Station Tü-Lustnau auf die Neckar-Alb-Bahn münden und zuvor Plattenhardt/Bonlanden, Aich, Schlaitdorf, Häslach, Walddorf, Gniebel und Rübgarten anbinden. Variante 2 würde weiter östlich verlaufen und statt Rübgarten Altenburg anbinden. Die Investitionskosten würden jeweils bei 1,2 Mrd. € liegen. Es würden etwa 8,5 bzw. 6,6 km im Tunnel und 6 bzw. 8,3 km auf Talbrücken verlaufen. Die hohen Baukosten bei gleichzeitiger Erschließung von fast ausschließlich kleinen Orten noch dazu meist in Ortsrandlage haben dazu geführt, dass erst gar kein NKV ermittelt wurde und die Idee nicht weiter verfolgt wurde.“
Hinweis: Die Ergebnisse der Untersuchungen sind plausibel. Die Kosten wären hoch (u.a. für die Querung des Aichtals) und der Nutzen gering. Eine neue S‑Bahn-Strecke würde auf langer Strecke durch eher dünn besiedeltes Gebiet mit weit zerstreutem Fahrgastpotential führen, bis sie in Reutlingen und/oder Tübingen ankommt. Dort gibt es zwar ein großes Fahrgastpotential, aber eben bereits eine Bahnanbindung in Richtung Stuttgart und mit Stuttgart 21 – siehe Erläuterung oben – auch auf die Filder.
Die “Lösung”, wenn es denn eine solche geben kann, liegt in der Regionalstadtbahn Neckar-Alb und dem Ausbau der Bestandsstrecke Tübingen ‑Nürtingen (- Stuttgart). Hier gibt es mehr Infos über die Entwicklung des Bahnverkehrs auf dieser Strecke und den Ausbaubedarf aus unserer Sicht: https://www.matthias-gastel.de/bahnprobleme-tuebingen-stuttgart-eroertert/
Presseerklärung von Ende Februar 2021:
Der Ausbau der B 27 treibt die Menschen auf den Fildern weiterhin um. Der Bundestagsabgeordnete Matthias Gastel (Grüne) hatte in den letzten Tagen mit Vertretern des Regierungspräsidiums und Verkehrsplanern gesprochen, um die Verkehrsprognosen kritisch zu hinterfragen. Außerdem wollte er von der Bundesregierung wissen, ob von dem im Bundesfernstraßenausbaugesetz/Bedarfsplan (umgangssprachlich oft mit dem „Bundesverkehrswegeplan“ gleichgesetzt) festgelegten Ausbauumfang abgewichen werden darf. Konkret brachte Gastel ins Gespräch, nur in die besonders stauträchtige Fahrtrichtung Stuttgart eine zusätzliche Fahrspur zu bauen und einen Ausbau nicht bereits ab Anschlussstelle Aichtal zu untersuchen. Die Bundesregierung antwortete, die Bindungswirkung des Gesetzes erstrecke sich „auf den im Bedarfsplan definierten Beginn und das Ende der Ausbaustrecke ebenso wie auf die im Bedarfsplan festgelegte Streifigkeit einer Straße“. Für Matthias Gastel bestätigt die Antwort die Unzulänglichkeit der gesamten Methodik bei der Aufstellung des Bundesverkehrswege- und Bedarfsplans: „An keiner Stelle der Methodik werden Alternativen wie der Ausbau von Bahnstrecken oder von Schnellbus-Angeboten untersucht. Die Vorgehensweise der Infrastrukturplanung endet daher allzu häufig im Straßenbau. Selbst beim Straßenbau wird nicht untersucht, ob vielleicht kleinere Ausbauschritte helfen können.“ Letzteren Vorwurf dokumentiert die Bundesregierung in ihrer Antwort an den Filderstädter Abgeordneten. Sie schreibt nämlich: „Sollte sich bestätigen, dass sechs Streifen aufgrund der Verkehrsentwicklung nicht ausreichen, ist im Rahmen eines Verfahrens nach § 6 Fernstraßenausbaugesetz die Zustimmung des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur einzuholen, um die Planungen für einen der prognostizierten Verkehrsbelastung entsprechenden bedarfsgerechten Ausbau um weitere Fahrstreifen aufnehmen zu können.“ Für Matthias Gastel sind diese Aussagen völlig inakzeptabel: „Auf die Idee, die B 27 noch umfangreicher auszubauen als geplant, wäre ich nicht gekommen. Daher hatte ich nicht danach gefragt. Ich habe ja schon Zweifel, ob der bislang vorgesehene Ausbauumfang noch in die heutige Zeit passt. Dass die Bundesregierung jeglichen Spielraum für eine Reduzierung des Ausbauumfangs verneint, aber von sich aus die Option eines gar achtspurigen Ausbaus anspricht, erschreckt mich. Das erschwert die Suche nach einer verkehrlich angemessenen und ökologisch vertretbaren Lösung erheblich.“