Kleinkariertes Förderprogramm für barrierefreie Kleinbahnhöfe – Baden-Württemberg profitiert kaum
Bundesweit gibt es rund 5.400 Bahnhöfe. Davon werden 3.500 von weniger als 1.000 Reisenden frequentiert. 394 dieser Kleinbahnhöfe befinden sich in Baden-Württemberg, von denen viele nicht barrierefrei sind. Sie verfügen über keine stufenfreien Zugänge zu den Bahnsteigen oder die Bahnsteige sind zu niedrig, um einen höhengleichen Zu- und Ausstieg zu ermöglichen. Blindenleitsysteme sind bei Bahnhöfen dieser Größenordnung die Ausnahme.
Für den barrierefreien Umbau solcher Kleinbahnhöfe hat Bundesverkehrsminister Dobrindt das „Zukunftsinvestitionsprogramm“ als Bundesförderprogramm von 50 Millionen Euro aufgelegt, das später auf 80 Millionen Euro aufgestockt wurde. Die Länder konnten Bahnhöfe melden, an denen Menschen mit Behinderung entweder überhaupt nicht oder nur mit Unterstützung die Bahn nutzen können. Baden-Württemberg hatte 33 Stationen für die Aufnahme ins Bundesprogramm angemeldet. Tatsächlich gefördert werden vom Bund aber lediglich die drei in Reicholzheim und Igersheim im Main-Tauber-Kreis sowie in Oberndorf am Neckar (Landkreis Rottweil). In Sontheim an der Brenz (Landkreis Heidenheim) hatte der Gemeinderat die kommunale Selbstbeteiligung von über 400.000 Euro für den Einbau eines Aufzuges in einen bereits vorhandenen Aufzugschacht abgelehnt.
Die Fördermittel wurden bundesweit zögerlich abgerufen. Die Gründe dafür liegen an den Förderkriterien des Bundes. Dieser hatte zunächst eine kurze Meldefrist von wenigen Monaten vorgegeben. Verschärft wurden die Bedingungen dadurch, dass die Baumaßnahmen bis Ende 2018 abgeschlossen werden müssen, um Geld aus dem Bundestopf zu bekommen. Da aber meist keine Umbaupläne und Baugenehmigungen vorliegen, schieden schon mal die meisten sanierungsbedürftigen Bahnhöfe von vornherein aus. Das Land Baden-Württemberg hatte, wie auch einige andere Länder, die Förderkriterien kritisiert und einfachere Regularien vorgeschlagen. Doch der Bund blieb stur. Nachdem die Anmeldefrist längst abgelaufen war und einige Förderzusagen vom Bund gegeben wurden, überraschte, dass der Bund eine neue Meldefrist verkündete. Bis Ende Mai 2016 konnten weitere Projekte angemeldet werden. Die entsprechende E‑Mail wurde am Freitag, den 13. Mai von Berlin aus in die Landesministerien verschickt. Mit der Zwei-Wochen-Frist wurden aber die beschriebenen Kriterien nicht verändert. Es blieb dabei, dass der Bau von Rampen, der Einbau von Aufzügen oder die Erhöhung von Bahnsteigen bis Ende 2018 nicht nur realisiert, sondern auch abgerechnet werden müssen.
Das Förderprogramm des Bundesverkehrsministers ist aus meiner Sicht kaum mehr als reiner Aktionismus. Die Förderbedingungen für Sanierungsmittel sind leider so gestrickt, dass nicht die notwendigsten Maßnahmen angegangen werden, sondern diejenigen, die am schnellsten umgesetzt werden können. Eine effektive Mittelverwendung und der größtmögliche Nutzen für Menschen mit Mobilitätseinschränkung sind damit nicht gewährleistet. Das ganze sieht sehr nach einem praxisfernen Schnellschuss aus. Hauptsache, der sonst erfolglose Bundesverkehrsminister hat endlich etwas vorzuweisen. Zumindest in seinem eigenen Wahlkreis hat der Minister etwas vorzuweisen: Gleich zwei Bahnhöfe werde dort von seinem Förderprogramm profitieren. Wenn man bedenkt, dass in ganz Baden-Württemberg drei Bahnhöfe gefördert werden, ist dies ein Erfolg des gerne als Provinzpolitiker auftretenden Ministers. Pikant: Dobrindt hatte seine Pressestelle bundesweit eine Presseerklärung versenden lassen, in dem die bevorstehende Sanierung dieser beiden Bahnhöfe angekündigt wurde. Auf Nachfrage kritischer Journalisten wurde die Presseerklärung von Dobrindts „Bundeswahlkreisministerium“ aus dem Netz genommen.
Was getan werden müsste, um die barrierefreie Mobilität auch an kleinen Bahnhöfen zu ermöglichen: Die einmalig 50 bzw. 80 Millionen Euro werden nicht ansatzweise reichen, um dem hohen Investitionsbedarf gerecht zu werden. Ich schlage ein Förderprogramm vor, mit dem über fünf Jahre in Folge jeweils 50 Millionen Euro zur Verfügung gestellt wird. Denn: Es braucht ein Förderprogramm mit dem politischen Ehrgeiz, die Mobilitätsbedingungen von Menschen mit Behinderung umfassend und spürbar zu verbessern.