Gespräch mit dem „Auto-Professor“ Stefan Reindl
Es ist schon seit vielen Jahren klar, dass es in der Automobilwirtschaft kein “weiter so” mehr geben wird und darf. Der Druck von außen und innen wächst und der Veränderungsprozess kommt in Bewegung. In welche Richtung wird sich die Automobilität entwickeln? Was bedeutet das für die deutsche Autoindustrie und ihre Zulieferer? Darüber sprach ich mit dem „Automobil-Professor“ Stefan Reindl vom Institut für Automobilwirtschaft (IfA) in Nürtingen/Geislingen
Professor Reindl ist Studiendekan für die automobil- und mobilitätswirtschaftlichen Bachelor- und Masterprogramme an der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt und Direktor des IfA. Er ist er unter anderem im Rahmen von Beratungs- und Beiratsmandaten für Unternehmen der Automobil- und Mobilitätsbranche tätig. So gehört er auch dem „Strategiedialog Automobilwirtschaft“ des Landes an, mit dem das Land fit gemacht werden soll, um mit neuen Technologien ein weltweit führender Automobil- und Mobilitätsstandort zu bleiben bzw. zu werden.
Der Transformationsprozess in Deutschland ist längt in Gang gekommen. Bisweilen sind Automobilhersteller schon weiter als Teile der Politik. Eine kleine Übersicht über Meldungen der letzten Tage:
Volkswagen
Der Volkswagen-Konzern hat im Corona-Jahr 2020 einen Gewinn von 10,6 Milliarden Euro erwirtschaftet. Er setzt erkennbar konsequent auf batterieelektrische Fahrzeuge. In Westeuropa liegt der Anteil elektrifizierter Fahrzeuge inzwischen bei über 10 Prozent. Im laufenden Jahr sollen davon eine Millionen Exemplare verkauft werden. „Die Elektromobilität hat das Rennen gemacht“, sagte VW-Chef Herbert Diess. Er verweist auch darauf, dass im Konzern eine neue Organisationseinheit für die Software entstehen soll, die mit 10.000 Beschäftigten „nach SAP das zweitgrößte Softwareunternehmen in Europa“ werden solle.[1]
BMW
Zum Jahresende will das Unternehmen fünf vollelektrische Autos auf der Straße haben. 2023 seien es 13 vollelektrische Modelle. Damit wolle man Tesla kontern, war zu hören. Auf der Jahrespressekonferenz wurde das Ziel ausgegeben, dass im Jahr 2030 jedes zweite verkaufte Auto vollelektrisch angetrieben sein solle. Den Mini solle es spätestens ab 2030 nur noch ohne Verbrennungsmotor geben. Die Münchner legen aber, so der Vorstandschef, weiter größten Wert auf Technologieoffenheit. Es sei unrealistisch, dass sich in jedem Land zum selben Zeitpunkt dieselben Technologien durchsetzen würden. Damit verfolgt BMW eine andere Strategie als VW – oder auch Daimler, der frühere Brennstoffzellen-Pläne für seine Pkw aufgegeben hatte.[2]
Sicht eines Wissenschaftlers
Professor Reindl gab in der Veranstaltung, an der Mitglieder der beiden grünen Landesarbeitsgemeinschaften „Mobilität“ sowie „Wirtschaft, Finanzen und Soziales“ beteiligt waren, zunächst einen kurzen Überblick über die wirtschaftliche Lage der Automobilhersteller: Nach durch Corona bedingten Einbrüchen im ersten Halbjahr 2020 sei der Absatz vor allem auf den Märkten in China und den USA wieder gestiegen. Damit sei die Exportabhängigkeit der deutschen Automobilindustrie, der es „relativ gut“ gehe, gewachsen. Die deutsche Automobilindustrie könne mit Nachfrageschwankungen besser umgehen als die Hersteller anderer europäischer Länder, was auch an der Kurzarbeiter-Regelung liege. Bei den Zulieferern sei die Lage stark davon abhängig, wie hoch der Anteil der Produkte mit dem Verbrennungsmotor zusammenhänge. Es sei hier mit mehr Zu- und Aufkäufen bzw. Übernahmen zu rechnen. Die deutschen Hersteller würden den Weg zum batterieelektrischen Auto inzwischen konsequent gehen. Der batterieelektrische Antrieb habe bei Pkw und Vans tatsächlich das Rennen gemacht. Man könne sich diesbezüglich nicht den großen Märkten verweigern, die darauf setzen würden. Den Begriff der „Technologieoffenheit“ könne er nicht mehr hören, dies habe bereits sehr viel Zeit ohne konkrete Festlegungen gekostet. Hersteller aus anderen Ländern seien weiter als die in Deutschland, sie seien aber nicht uneinholbar. Der aktuelle Druck habe gezeigt, dass deutsche Autobauer schneller umsteuern könnten als manche gedacht hätten. In den nächsten zwei bis drei Jahren werde es bei den Batterien deutliche Fortschritte und dadurch größere Reichweiten geben. 500 bis 600 Kilometer Reichweite seien erforderlich. Hersteller und Zulieferer würden keine Kraft mehr auf die Weiterentwicklung der Verbrennungstechnologie mehr verschwenden. Man könne jeden Euro für die Entwicklung eben nur einmal ausgeben und müsse den Weg der E‑Mobilität konsequent gehen. Die Hersteller würden dabei auch nicht insgeheim auf die Rettung des Verbrennungsmotors durch E‑Fuels setzen, da diese Diskussion überwiegend hierzulande stattfände und der Inlandsmarkt nicht groß genug sei, um dafür an der Verbrennungstechnologie festzuhalten. Außerdem seien E‑Fuels absehbar nicht verfügbar. Daher werde sich der Trend zu E‑Antrieben noch beschleunigen. In der Hybrid-Technologie sieht Prof. Reindl nur für wenige Jahre einen Sinn, bis die Batterien eine ausreichende Reichweite böten. Er selber sei ein Anhänger der Position, man solle der Automobilindustrie ein klares Ausstiegsdatum für neue Verbrenner-Fahrzeuge vorgeben. Das gebe sowohl der Industrie als auch deren Kunden Sicherheit.
Auswirkungen eines Verbrenner-Ausstiegs
Die Transformation habe erhebliche Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt, so Prof. Reindl. Die käme aber nicht alleine, denn zugleich sei auch noch kein Ende der Automatisierung absehbar, mit der immer weniger menschliche Arbeit für die Produktion des Massenguts Auto erforderlich sei. Besonders betroffen seien auch Tankstellen, die keine Zukunft hätten. Denn E‑Autos würden anderswo geladen werden. Hingegen würden Dienstleistungen rund ums Auto und die Mobilität zunehmen und mehr Arbeitsplätze bieten als heute.
Abschließend betonte Prof. Reindl nochmals, wir könnten unsere Automobilwirtschaft nur retten, wenn wir vorne in der Entwicklung dabei bleiben würden. Sonst könne auch anderswo auf der Welt entwickelt und produziert werden.
[1] TSP Background v. 17.03.2021
[2] Stuttgarter Zeitung vom 18.03.2021; TSP Background vom 18.03.2021; HBL vom 18.03.2021