24.06.2015
Meinen inzwischen sechsten Thementag, bei dem ich einer mir selber gegebenen Aufgabenstellung nachgehe, widmete ich dem Thema „Religionen“. Dabei führte ich Gespräche mit dem Landesrabbiner und einer alevitischen Gemeinde. Am Abend referierte ich bei einer evangelischen Kirchengemeinde über den „assistierten Suizid“.
Mit Netanel Wurmser, seit 13 Jahren Landesrabbiner, sprach ich über jüdisches Leben in Baden-Württemberg, religiöse Werte in unserer Gesellschaft und Antisemitismus in Deutschland sowie in Europa. Etwa 13.000 jüdische Menschen leben in Baden-Württemberg, ein Großteil von ihnen im Badischen. Nur wenige, so Wurmser, sind religiös. Er sieht religionsübergreifend einen „religiösen Substanzverlust“. Der Antisemitismus stellt aus seiner Erfahrung ein großes Problem, das auch in der Mitte des politischen Spektrums auftritt, dar. Aber wo genau beginnt Antisemitismus? Nicht ganz einfach zu beantworten, aber Wurmser nennt persönliche Erfahrungen: So wird er, wenn er durch seine Kleidung als Jude erkennbar ist, schief angeschaut oder einige Menschen rufen „Jude“. Entsprechende Erfahrungen machen auch die Kinder, die eine allgemeinbildende Schule und nachmittags den jüdischen Religionsunterricht besuchen. Wurmser berichtet aber auch von positiven Dingen. So sind der Staatsvertrag mit dem Land Baden-Württemberg oder die Möglichkeit für die doppelte Staatsangehörigkeit hilfreich. Letzteres betrifft auch Wurmser: Er wurde als Staatenloser in der Schweiz geboren („Das war schlimm, kompliziert und einschränkend“). Heute besitzt er sowohl einen deutschen als auch den israelitischen Pass.
Sind die Aleviten nun Muslime oder nicht? Diese Frage wurde bei der Alevitischen Gemeinde Göppingen e. V. heiß diskutiert. In Gemeinden, die ich früher besucht habe, wurde dies deutlich verneint. In Göppingen hingegen wurde diese Frage bestätigt. Klar ist, dass der Alevitismus aus dem Islam hervorging. Ebenso klar ist aber auch, dass er sich von gängigen Vorstellungen über den Islam deutlich unterscheidet. So sind Frauen und Männer gleichberechtigt. Meist wird nicht in einer Moschee gebetet. Und es gibt auch keinen Ramadan. 10 bis 25 Millionen Aleviten gibt es weltweit, 500.000 davon leben in Deutschland. Und sie führen sich, wie meine Gesprächspartner betonen, hier wohl (und dies nicht nur, weil viele in Deutschland aufgewachsen sind). Sie genießen die Religionsfreiheit. In der Türkei, wo die meisten Aleviten leben, ist das nicht so. Dort werden sie nicht anerkannt und haben beispielsweise kaum Zugang zum öffentlichen Dienst. Viele verleugnen sich, indem sie regelmäßig die Moschee besuchen. In Beitrittsverhandlungen mit der EU hat die Situation der Aleviten daher eine wichtige Rolle gespielt.
Am Abend durfte ich bei der evangelischen Kirchengemeinde in Neckartenzlingen über den „assistierten Suizid“ sprechen. Dazu wurden in den letzten Wochen Gesetzentwürfe aus der Mitte des Parlamentes formuliert. Im Herbst steht die Entscheidung an.
Hier diskutiere ich dieses Thema ausführlich: https://www.matthias-gastel.de/assistierter-suizid-fuer-menschenwuerde-und-rechtssicherheit-sorgen/#.VYuNVKPwCP8