Bürgerbusse: “Die weitgehend selbstständige Teilhabe sollte uns bei der Beschäftigung mit Mobilitätsangeboten leiten”

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06.09.2016Foto_Schuster

Inter­view mit Fred Schus­ter, dem Geschäfts­füh­rer von pro­Bür­ger­Bus Baden-Würt­tem­berg e. V.

1. Herr Schus­ter, kön­nen Sie bit­te beschrei­ben, wie das Ange­bot eines Bür­ger­bus­ses aus­sieht? Wel­che ver­schie­de­nen Ange­bots­for­men gibt es und wie unter­schei­den sich die­se in ihrem Orga­ni­sa­ti­ons­auf­wand?

Unter einem Bür­ger­bus ver­steht man im All­ge­mei­nen ein soge­nann­tes enga­ge­ment­ba­sier­tes Mobi­li­täts­an­ge­bot. Wesent­li­ches Merk­mal ist dabei die Ehren­amt­lich­keit. Dabei gibt es eine gro­ße Band­brei­te an Ange­bo­ten, die sich vor allem an den ört­li­chen Erfor­der­nis­sen und Rah­men­be­din­gun­gen aus­rich­tet. Von ein­fa­chen Fahr- und Begleit­diens­ten mit dem Pri­vat-PKW über soge­nann­te Bürg­erfahr­diens­te mit Klein­bus­sen ört­li­cher Sozi­al­sta­tio­nen bis hin zum eigent­li­chen Bür­ger­bus stel­len sich damit sehr unter­schied­li­che Anfor­de­run­gen an Orga­ni­sa­ti­ons­stan­dard und Nach­hal­tig­keit. Den höchs­ten Auf­wand betreibt man mit dem auch als ein­fa­chen Ver­kehrs­be­trieb umschreib­ba­ren „Bür­ger­bus“, der auf der Grund­la­ge des Per­son­be­för­de­rungs­ge­set­zes mit Lini­en­kon­zes­si­on nach Fahr­plan regel­mä­ßig ver­kehrt und von – aber auch ehren­amt­li­chen – Fah­rern mit Per­so­nen­be­för­de­rungs­er­laub­nis gesteu­ert wird. Neben den for­ma­len Anfor­de­run­gen muss hier­bei das regel­mä­ßi­ge Ange­bot über eine Fahr­dienst­lei­tung sicher­ge­stellt wer­den.

2. Wel­ches Poten­zi­al muss vor­han­den sein, damit sich ein Ange­bot lohnt? Wann ist ein Bür­ger­bus sinn­voll bzw. wel­che Zie­le soll­ten mit einem sol­chen Ange­bot ver­folgt wer­den?

Jedes Ange­bot ist bes­ser als kei­nes. Die haupt­säch­li­che Ziel­grup­pe sol­cher Ange­bo­te sind vor allem älte­re Men­schen. Im Zuge des demo­gra­phi­schen Wan­dels wird die­se Bevöl­ke­rungs­grup­pe in den nächs­ten Jah­ren und Jahr­zehn­ten wach­sen. Die weit­ge­hend selbst­stän­di­ge Teil­ha­be die­ser Men­schen am sozia­len und kul­tu­rel­len Leben, auch ihre Mög­lich­kei­ten zur Selbst­ver­sor­gung soll­ten uns bei der Beschäf­ti­gung mit Mobi­li­täts­an­ge­bo­ten lei­ten – sie geben den wesent­li­chen Sinn eines sol­chen Ange­bots. Neben der kon­kre­ten Fahr­leis­tung ste­hen hier Kom­mu­ni­ka­ti­on und Infor­ma­ti­on für die Fahr­gäs­te eben­so im Fokus wie Wert­schöp­fung und Sinn­ge­bung für die Fah­rer, die über­wie­gend selbst nicht mehr im Berufs­le­ben ste­hen.

3. Wie sieht die Finan­zie­rung eines Bür­ger­bus­an­ge­bo­tes aus? Wel­che Mög­lich­kei­ten der För­de­rung bestehen? Sehen Sie in die­sem Punkt Ver­bes­se­rungs­mög­lich­kei­ten?

Bür­ger­bus­se sind auf­grund ihrer ehren­amt­li­chen Struk­tu­ren Low-Bud­get-Pro­jek­te. In der Regel sind sie klas­si­sche PPP-Akti­vi­tä­ten, die sich aus Fahr­tent­gel­ten, Spon­so­ren­gel­dern und in der Regel einer gerin­gen Abman­gel­über­nah­me durch die öffent­li­che Hand finan­zie­ren – rech­net man die Refi­nan­zie­rungs­kos­ten, also eine Abschrei­bung der Inves­ti­ti­ons­kos­ten dazu. Bei den Abman­geln der öffent­li­chen Hand spre­chen wir hier von Beträ­gen zwi­schen 10 und 25 ct. je Kilo­me­ter Fahr­leis­tung. Die För­de­rung sol­cher Pro­jek­te durch die Län­der sehen sehr unter­schied­lich aus. Gibt es über­haupt eine Lan­des­för­de­rung, so bezieht sich die­se meist auf Inves­ti­ti­ons­zu­schüs­se für bar­rie­re­freie Fahr­zeu­ge. In Baden-Würt­tem­berg wer­den dar­über hin­aus noch die kom­plet­ten Kos­ten für die Per­so­nen­be­för­de­rungs­er­laub­nis­se der Fah­re­rin­nen und Fah­rer über­nom­men. NRW unter­stützt die ehren­amt­li­chen Bür­ger­bus­ver­ei­ne dane­ben noch mit einer jähr­li­chen Ver­wal­tungs­kos­ten­pau­scha­le. Gene­rell wäre es wün­schens­wert, wenn hier bun­des­weit ein­heit­li­che För­de­run­gen grei­fen wür­den. Pro­ble­ma­tisch ist aus unse­rer Sicht auch die Aus­glie­de­rung der Inves­ti­ti­onför­de­rung aus dem gro­ßen Topf der GVFG-Mit­tel hin in eige­ne Haus­halts­ti­tel für die Bür­ger­bus­se. Was hier auf den ers­ten Blick posi­tiv stimmt, lässt sich bei genaue­rem Hin­schau­en auch als Hemm­schuh für die Ent­wick­lung der Bür­ger­bus­se deu­ten, sind die doch dann recht knap­pen spe­zi­el­len Mit­tel recht schnell über­zeich­net und Pro­jek­te müs­sen ver­scho­ben wer­den.

4. Wie sehen außer­dem die Rah­men­be­din­gun­gen für Bür­ger­bus­se aus? Was kön­nen Sie zu der Geneh­mi­gungs­pflicht nach dem Per­so­nen­be­för­de­rungs­ge­setz sagen?

Bür­ger­bus­se sind Nischen­ver­keh­re. Den­noch bedür­fen sie eines hohen orga­ni­sa­to­ri­schen und fach­li­chen Auf­wan­des, ähn­lich dem eines Ver­kehrs­be­trie­bes. Wir beför­dern mit die­sem Ver­kehrs­mit­tel eben­so wie die gro­ßen Bus­se nach­hal­tig Men­schen. Inso­fern sind wir gefor­dert, alles zu tun, damit dies fach­ge­recht und sicher erfolgt. Es kann nicht im Inter­es­se der Bür­ger­bus­se und ihrer Fahr­gäs­te sein, dass hier Wild­wuchs ent­steht. Daher sagen wir ganz klar, dass die eigent­li­chen Bür­ger­bus­se im Rah­men der per­so­nen­be­för­de­rungs- und fahr­erlaub­nis­recht­li­chen Rah­men orga­ni­siert wer­den. Aller­dings haben wir zum Teil vor Ort Pro­ble­me mit der Hand­ha­bung des Kon­kur­renz­ver­bo­tes bei den Lini­en­kon­zes­sio­nen, die aber kei­ne Ände­rung der Vor­schrif­ten son­dern nur eine zeit­ge­mä­ße Anwen­dung die­ser Vor­schrif­ten durch die Geneh­mi­gungs­be­hör­den erfor­dern. Es wäre drin­gend eine Ver­ein­heit­li­chung an die­ser Stel­le gebo­ten.

Weit zurück­ge­wor­fen hat die Bür­ger­bus­se die Ant­wort der EU-Kom­mis­si­on auf den Antrag des Bun­des­ver­kehrs­mi­nis­ters, auch für die Bür­ger­bus­se – wie bei den Lie­fer­fahr­zeu­gen auch – die Gewichts­gren­ze für das Füh­ren die­ser Fahr­zeug mit der FE-Klas­se B bei E‑Antrieb auf bis zu 4,25 to. zGG anzu­he­ben. Es gibt der­zeit lei­der kein Fahr­zeug, das alle aus unse­rer Sicht not­wen­di­gen und sinn­vol­len Merk­ma­le – also 8 Sitz­plät­ze, lan­ger Rad­stand, Nie­der­flu­r­ig­keit und E‑Antrieb mit garan­tier­ten Reich­wei­ten von 140 km – auf der Basis von 3,5 to. zGG erfüllt. Daher ist die Ent­schei­dung der Kom­mis­si­on nicht nach­zu­voll­zie­hen. Meint man es ernst mit einem umwelt­freund­li­chen Nah­ver­kehr und setzt man poli­ti­scher­seits dabei auch auf die Ergän­zung durch die Bür­ger­bus­se, so muss eine sol­che Lösung erreicht wer­den.

5. Was ist in der Pla­nung und Ent­wick­lung eines Bür­ger­bus­an­ge­bo­tes zu beach­ten? Was wird benö­tigt? Wel­che Anfor­de­run­gen gibt es bei­spiels­wei­se im Bezug auf das Fahr­zeug? Wel­che Emp­feh­lun­gen gibt es dazu von pro­Bür­ger­Bus Baden-Würt­tem­berg e.V.?

Wesent­lichs­tes Ele­ment die­ser Ange­bo­te ist die Ehren­amt­lich­keit. Dies gilt auch bereits bei der Vor­be­rei­tung. Selbst­ver­ständ­lich soll­te man ange­sichts der Kom­ple­xi­tät fach­li­che Hil­fe in Anspruch neh­men. Dies kön­nen Ver­kehrs­be­ra­ter, Fach­ver­bän­de oder aber ande­re Bür­ger­bus­se sein. Neben die­sen Ehren­amt­li­chen, die sich sowohl in der Vor­be­rei­tung wie auch in der spä­te­ren Betriebs­füh­rung an ver­ant­wort­li­cher Posi­ti­on ein­brin­gen, wer­den natür­lich die ehren­amt­li­chen Fah­rer benö­tigt. Wie vie­le hängt von ver­schie­de­nen Fak­to­ren ab – wie z.B. der Anzahl der Fahr­ta­ge oder der Fre­quenz der Fahr­schich­ten.

Es bedarf auch einer posi­ti­ven Unter­stüt­zung der ört­li­chen poli­ti­schen Gre­mi­en und der Ver­wal­tun­gen. Ganz wich­tig ist auch die Ein­bin­dung der ört­li­chen Bus­un­ter­neh­men in ein ver­trau­ens­vol­les Mit­ein­an­der. Bür­ger­bus­se und „gro­ße“ Bus­se sol­len ein­an­der ergän­zen.

Bezüg­lich der Fahr­zeu­ge gibt es eine gro­ße Band­brei­te. Vom ein­fa­chen Klein­bus mit 8+1 Sitz­plät­zen bis hin zu einem voll­stän­dig umge­bau­ten Nied­rig­flur­fahr­zeug mit gro­ßen Bewe­gungs­be­rei­chen und Bus­an­mu­tung sind alle Lösun­gen denk­bar. Als Fach­ver­band haben wir hier­zu in unse­ren Emp­feh­lun­gen all die Erfah­run­gen zusam­men­ge­tra­gen, die wir als ide­al in Bezug auf Betrieb, Fahr­gäs­te und Fah­rer anse­hen. Hier­zu gehört nicht nur die bereits genann­ten „Basics“ 8 Fahr­gäst­sitz­plät­ze, Nie­der­flu­r­ig­keit oder lan­ger Rad­stand. Auch Sei­ten­ein­stieg, gro­ße Bewe­gungs­flä­chen, hel­le Aus­stat­tung, Fah­rer- und Fahr­gast­kli­ma­an­la­ge, Stand- oder Zusatz­hei­zung und Auto­ma­tik gehö­ren hier­zu.

Vor allem aber gilt: jedes Ange­bot ist im Hin­blick auf die wach­sen­den Bedürf­nis­se unse­rer Kund­schaft bes­ser als kei­nes.

6. Wenn ein Bür­ger­bus nicht umge­setzt wer­den kann, wel­che Alter­na­ti­ven gibt es statt­des­sen, um den­noch Nah­mo­bi­li­tät mit Enga­ge­ment basier­ten Ver­kehrs­an­ge­bo­ten zu gewähr­leis­ten? Stich­wort Bür­ger­au­to. Sind die­se Ange­bo­te auch geneh­mi­gungs­pflich­tig?

Grund­sätz­lich gibt es eine Viel­zahl von nie­der­schwel­li­ge­ren Ange­bo­ten mit einem deut­lich gerin­ge­ren Orga­ni­sa­ti­ons­auf­wand. Dies ist allein schon der Tat­sa­che geschul­det, dass in fast allen Kom­mu­nen Über­le­gun­gen zur Mobi­li­tät vor allem für älte­re Men­schen ange­stellt wer­den. Auch die Tat­sa­che, dass immer noch vie­le Bus­an­ge­bo­te im Nah­ver­kehr in den länd­li­chen Räu­men auf Schü­ler­ver­keh­ren mit den dort bekann­ten Ein­schrän­kun­gen an Bedie­nungs­zeit und –häu­fig­keit basie­ren trägt dazu bei, dass man sich vie­ler Ortens Gedan­ken über alter­na­ti­ve Mobi­li­täts­an­ge­bo­te macht. Und so kommt man je nach Ansatz und Mög­lich­kei­ten zu durch­aus unter­schied­li­chen Ange­bo­ten. Allen gemein ist die Ehren­amt­lich­keit und das tol­le Enga­ge­ment von Bür­gern für Bür­ger vor Ort.

Nie­der­schwel­li­ge­re Ange­bo­te wie auf Anruf basie­ren­de Bür­ger­au­tos, Ruf­au­tos, Bürg­erfahr­diens­te, Begleit­diens­te oder ande­res mehr sind in der Regel außer­halb des Per­so­nen­be­för­de­rungs­ge­set­zes ange­sie­delt und benö­ti­gen daher nicht den hohen Ver­wal­tungs­auf­wand und auch kei­ne Geneh­mi­gun­gen. In der Regel enga­gie­ren sich hier ört­li­che kari­ta­ti­ve Ein­rich­tun­gen – vor allem kirch­li­cher Art – die ihre Fahr­zeu­ge für sol­che Ange­bo­te zur Ver­fü­gung stel­len. Ent­schei­dend ist hier, dass auch die­se Ange­bo­te aus der Bür­ger­schaft ent­ste­hen und von die­ser orga­ni­siert wer­den. Aber auch hier soll­te dar­auf geach­tet wer­den, dass die Fah­rer zumin­dest den Anfor­de­run­gen des Fahr­erlaub­nis­rechts gerecht wer­den, auch wenn sie die­sem zum Teil nicht unter­lie­gen. Dies ver­langt aus mei­ner Sicht schon die Für­sor­ge den Ehren­amt­li­chen gegen­über, die ja für den von ihnen orga­ni­sier­ten Ver­kehr ver­ant­wort­lich sind.

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Fred Schus­ter ist Abtei­lungs­lei­ter Ord­nung und Sozia­les bei der Stadt Wend­lin­gen und ehren­amt­li­cher Geschäfts­füh­rer des Lan­des­ver­ban­des pro­Bür­ger­Bus Baden-Würt­tem­berg e.V.. Außer­dem ist er Mit­glied des Lei­tungs­teams des Bür­ger­bus­ses Wend­lin­gen.

Der Lan­des­ver­band pro­Bür­ger­Bus, gegrün­det im Sep­tem­ber 2014 als Zusam­men­schluss von 17 Bür­ger­bus-Ver­ei­nen aus Baden-Würt­tem­berg, dient als Infor­ma­ti­ons- und Kom­mu­ni­ka­ti­ons­platt­form und ver­tritt die Inter­es­sen der Bür­ger­bus­se gegen­über Poli­tik, Ver­wal­tung und Wirt­schaft. Der Ver­band steht Bür­ger­bus­be­trei­bern bera­tend zur Sei­te und unter­stützt Kom­mu­nen in der Pla­nung und Umset­zung von neu­en Bür­ger­bus­pro­jek­ten.

Lan­des­ver­band pro­Bür­ger­Bus: www.pro-bürgerbus-bw.de

Wei­ter Infor­ma­tio­nen zum The­ma bei der Nah­ver­kehrs­gesll­schaft Baden-Würt­tem­berg: www.buergerbus-bw.de