24.06.2018
Sprechstunden auf Wochenmärkten und an Haustüren
„Politiker lassen sich nur blicken, wenn Wahlen sind“, so lautet ein gängiges, aber falsches Vorurteil. Im Rahmen einer „Dialogoffensive“ war ich in den vergangenen Tagen viel unterwegs, um auf Wochenmärkten, in Fußgängerzonen und an Haustüren Gespräche anzubieten und vor allem zu hören, was Bürgerinnen und Bürger beschäftigt.
Den Auftakt machte ich auf dem Wochenmarkt in Filderstadt-Bonlanden. In über einer Stunde ergaben sich viele Smalltalks und etwa zehn intensivere Unterhaltungen. Fast immer ging es um die Flüchtlingsthematik in Verbindung mit der Regierungskrise (Streit zwischen CDU und CSU). Häufig war zu hören, Bundesinnenminister Seehofer habe Recht mit seiner Forderung nach Zurückweisungen an der Grenze. Heftig fiel hingegen die Kritik an seinem Stil und seinem Umgang mit der Kanzlerin aus. Die Unzufriedenheit mit der großen Koalition war deutlich zu spüren. Fast alle, die das Flüchtlingsthema ansprachen, wünschten sich eine europäische Lösung (was wiederum in einem Widerspruch zur Position Seehofers steht, der einen nationalen Alleingang anstrebt). Mehrfach kam die Forderung, dass Flüchtlingen in den Lagern in der Türkei, in Jordanien und im Libanon besser geholfen werden müsse. Vereinzelt wurde die Europapolitik, die wirtschaftliche und soziale Entwicklung in Griechenland sowie die Rentenpolitik angesprochen. Besonders gefreut hat mich, dass ich immer wieder Lob für meine Arbeit und meine Präsenz bekommen habe …
Auf dem Wochenmarkt in Echterdingen bekam ich alles, von „Grün? Nein Danke!“ über „Ich wähle schon immer Grün“ bis hin zu „Ich bewundere immer wieder Ihr Engagement“ zu hören. Ein Mann vertrat die Meinung, Deutschland habe zu viele Flüchtlinge aufgenommen. Eine Lösung hielt er nur auf europäischer Ebene für möglich. Ein anderer gab seinen Eindruck wider, wir Grünen seien die einzigen, die gerne regieren würden. Angesprochen wurde ich schließlich auf die als übertrieben betrachtete Grünflächenpflege durch die Stadt und die Straßenbauämter sowie auf Defizite in der Gesundheitspolitik.
In Filderstadt-Bernhausen hatte ich Heimspiel, was ich gleich, nachdem ich meinen Platz auf dem Wochenmarkt bezogen hatte, an der Aussage einer Frau, wonach ich „allgegenwärtig“ sei, spürte. Immer wieder wurden die Verkehrssituation und die Verdichtung der Bebauung kritisiert. Eine Seniorin erklärte, „Seehofer, der Lump, hätte in München bleiben sollen“. Eine andere wünschte sich mehr Hilfen für die Menschen in den armen Ländern Afrikas. Eine Hundehalterin hätte gerne mehr Abfalleimer für Tüten mit Hundekot und ein Mann wollte von mir eine Einschätzung, wie realistisch die Forderung nach einer Verbreiterung des Weges durch den Flughafentunnel ist. Es ergaben sich einige längere Gespräche. Auf die Flüchtlingsthematik wurde ich in Bernhausen nur einmal angesprochen – und das auf sehr sachliche Weise.
Meine Präsenz in Kirchheim unter Teck war geprägt von unterschiedlichsten Stimmungen und Meinungen. Die Flüchtlingsfrage war mehrfach ein Thema und einige kritisierten die grüne Haltung dazu. Seehofers derzeitiges Auftreten fand jedoch keinerlei Zustimmung. Viele winkten ab („ich bin informiert“ oder „kein Interesse“), als ich sie ansprach. Rund ums Auto bekam ich mal die Befürchtung zu hören, wir Grüne würden die Arbeitsplätze in der Automobilindustrie gefährden und mal, wir würden zu nachlässig mit eben dieser umgehen. So gehen die Meinungen auseinander, was ich ja gut finde. Es gibt eben nicht „die Bürgerin“, „den Bürger“ oder „das Volk“. Eine Frau sagte „Schön, dass Sie auch ohne Wahlkampf Gespräche anbieten“, um gleich darauf nachzuschieben „Aber dafür haben wir Sie ja auch gewählt“.
In Nürtingen-Roßdorf habe ich mich für Hausbesuche entschieden. In dem etwas abgelegenen Stadtteil, der von einigen Hochhäusern geprägt ist, hatten bei der letzten Bundestagswahl über 34 Prozent die AfD gewählt. Ich hatte die Hoffnung, etwas über die Motive für dieses auffällige Wahlverhalten zu erfahren. Leider erwies sich dies als sehr schwierig. Stock für Stock arbeitete ich mich im höchsten Gebäude von Wohnung zu Wohnung von oben nach unten voran. Es kamen 19 fast ausschließlich sehr kurze Dialoge zustande. Ich stellte mich vor und sagte, dass ich gerne wissen würde, ob es Probleme oder konkrete Wünsche und Erwartungen an die Politik gebe. Fast alle erklärten, es gebe keine Probleme und Wünsche. Ein Mann fasste sich, nachdem ich mich als Bundestagsabgeordneten vorgestellt hatte, an den Kopf, zischte ein „Bundestagsabgeordneter! Pfff!“ und schlug die die Tür lautstark zu. Nachdem ich vielfach zu hören bekam, dass es keine Probleme gebe, sprach ich bei den weiteren Kontakten das AfD-Ergebnis an. Dafür hatten die meisten keine Erklärung („Ich war das nicht“). Eine Frau verwies auf ihre Nachbarn, die als Aussiedler zwar schon lange hier seien, „aber noch nicht einmal richtig deutsch sprechen“ könnten. Kein einziges Mal wurde das Flüchtlingsthema angesprochen – und das, obwohl seit einigen Monaten direkt neben dem Gebäude Flüchtlinge in Containern wohnen, gegen die sich vor nicht allzu langer Zeit massiver Widerstand im Stadtteil geregt hatte. Eine Frau lobte den neuen Bundesvorsitzenden der Grünen, Robert Habeck. Von zwei Ausnahmen abgesehen wurden ich und mein Begleiter freundlich empfangen. Immer wieder war zu hören, dass die Besuche eine gute Sache sein – man gerade nur keine Zeit habe.
Insgesamt ist nach weit über fünf Stunden des Bürgerdialogs einmal mehr festzustellen, dass die Kontaktaufnahme zu Bürgerinnen und Bürgern wahnsinnig wichtig, oftmals sehr lehrreich, aber leider nicht immer ganz so einfach ist – besonders dann, wenn diese nicht in Bälde eine Wahlentscheidung zu treffen haben und daher das Bedürfnis nach Information weniger ausgeprägt ist. Fast schon amüsant war, dass ich Kommentare wie „Euch sieht man nur vor Wahlen“ (die nächste reguläre Bundestagswahl findet in über drei Jahren statt!) oder „Politiker sollten mal Beziehungen außerhalb ihrer eigenen Blase aufbauen“ und „Politiker sollten einfach mal zuhören“. Genau dafür, zum Zuhören, war ich unterwegs – und werde es auch zukünftig immer wieder sein.