Will man jemandem erklären, was unter „relativ“ zu verstehen ist, lässt sich unser Wahlergebnis als optimales Beispiel heranziehen: Gemessen an der Stimmung vor einem halben oder dreiviertel Jahr haben wir ein bescheidenes Ergebnis erzielt. Aber wenn man sieht, dass wir in den Monaten vor der Wahl in den Umfragen wie festboniert bei acht, teilweise bei nur sechs bis sieben Prozent gesehen wurden, sind die 8,9 Prozent doch recht gut. Wir traten relativ geschlossen auf und die Diesel- und Abgasskandale sowie Fipronil in Eiern rückten unsere Themen, die Umwelt- und Verbraucherpolitik, in den Fokus.
Wir legten um 0,5 Prozentpunkte im Bund und gar 2,4 im Land zu; 180.000 der hinzugewonnen 460.000 Stimmen stammen aus Baden-Württemberg. Die Anzahl der baden-württembergischen Grünen-Abgeordneten wuchs von bislang 10 auf 13 – wir stellen damit die größte Landesgruppe! Erfreulich ist, dass uns unsere Wähler*innen zu 73 Prozent aus Überzeugung wählten. Nachdenklich stimmen muss uns Grüne, dass uns außerhalb unseres Markenkerns, der Umweltpolitik (mit 56 Prozent sehr hohe Kompetenzzuschreibung), relativ geringe Kompetenen bei Wirtschaft, Arbeitsmarktpolitik und anderen wichtigen Themen zugeschrieben werden.
Kurs auf Jamaika?
Vor der Bundestagswahl konnte sich die Öffentlichkeit noch kaum „Jamaika“, also eine Koalition aus CDU, CSU, FDP und Grünen, vorstellen. Der Pragmatismus ließ die Zustimmung bereits am Tag nach der Wahl deutlich in die Höhe schnellen. Gut finden ein solches Bündnis interessanterweise vor allem unsere Wähler (rund 80 Prozent). Die inhaltlichen Hürden für solch eine Konstellation sind gleichwohl äußerst hoch. Die Unterschiede der vier Parteien sind groß. Daher haben wir erklärt: Es gibt keinen Automatismus für eine Regierungsbeteiligung. Selbstverständlich ist für uns, dass wir in dieser Situation – zumal nach dem erklärten Gang der SPD in die Opposition – die Gespräche sehr ernsthaft führen werden. Wir sind darauf gut vorbereitet. Ich freue mich, die Sondierungsgespräche in der Arbeitsgruppe „Verkehr, Umwelt, Energie und Bauen/Wohnen“ aus dem Hintergrund aktiv mitbegleiten zu dürfen. Die kommenden Wochen bleiben spannend …
Einschätzung der AfD
Hier lasse ich M. Jung von der Forschungsgruppe Wahlen zu Wort kommen:
„Die AfD ist keine konservative Partei, sondern ein Sammelbecken von Unzufriedenen ganz unterschiedlicher Art. Menschen, die Angst haben vor den Umbrüchen in unserer Gesellschaft und im Arbeitsleben, vor den Zukunftsaussichten Deutschlands und Europas in einer globalisierten Welt und auch vor der Relativierung moralischer Gewissheiten. Die gehen dann zur Wahlurne opponieren gegen diese Veränderungen. Sie versuchen sich damit eine Welt im Wohlstand zu wünschen, nur ohne chinesische Konkurrenz, ohne Schwule, ohne Online-Banking, mit Frauen am Herd und ohne Flüchtlinge.“