06.01.2021, ergänzt am 08.01.2021
Eine Übersicht über die Länder
Immer wieder wird von Kritikern der Corona-Politik behauptet, die Politik ließe sich in der Pandemie nur durch wenige Fachleute beraten. Daher stelle ich hier mal für den Bund sowie exemplarisch anhand einiger deutscher Länder dar, wie sich Krisenstäbe zusammensetzen (ohne Anspruch auf Vollständigkeit) und die Politik in ihren Entscheidungen unterstützen.
Der Bund
Wie im Nationalen Pandemieplan vorgeschrieben, hat das Bundesgesundheitsministerium als federführendes Bundesministerium einen Krisenstab zur Bekämpfung der Pandemie eingerichtet. Der Krisenstab ist in nationale und internationale Strukturen eingebunden und stellt damit die Bündelung der Informationen und die Entwicklung von Strategien zur Bewältigung der gesundheitlichen Schadenslage sicher. Die fachliche Beratung des Krisenstabes wird durch das Robert-Koch-Institut (RKI), das Paul-Ehrlich-Institut (PEI) und Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM)) gewährleistet. Seit Februar 2020 gibt es darüber hinaus einen gemeinsamen Krisenstab aus Gesundheits- und Innenministerium. Der Gemeinsame Krisenstab soll ein bundeseinheitlich koordiniertes Vorgehen im Gesundheitsschutz sowie im Bereich der Inneren Sicherheit in Abstimmung mit den Krisenstäben der Länder fördern. Der Krisenstab des Gesundheitsministeriums arbeitet dem Gemeinsamen Krisenstab zu.
Der Gemeinsame Krisenstab tritt zweimal pro Woche zusammen. Außerdem hat die Bundeskanzlerin ein Corona-Kabinett gebildet, um sich wöchentlich mit den relevanten Ministerien abzustimmen.
Zum Robert-Koch-Institut: Das RKI ist die zentrale Forschungs- und Referenzeinrichtung für Infektionskrankheiten des Menschen in der Bundesrepublik. Im RKI werden die epidemiologischen Daten im Rahmen eines Pandemiegeschehens erhoben und analysiert sowie Maßnahmen des Infektionsschutzes und diagnostische Verfahren erforscht. Das RKI wiederum besitzt eigene Expertise und zieht Vertreter verschiedener thematisch involvierter Bundesinstitute sowie persönlich berufene Experten aus medizinischen Fachgesellschaften hinzu.
Da für das deutsche Gesundheitssystem überwiegend die Länder verantwortlich sind, haben diese eigene Pandemiepläne erstellt. Darin wird u.a. die Zusammensetzung und Arbeitsweise der Lenkungsgremien (Krisenstäbe) zur Bekämpfung gesundheitlicher Problemlagen geregelt.
Baden-Württemberg
Im März 2020 wurde die Lenkungsgruppe „Sars-CoV‑2 (Coronavirus)“ eingesetzt. Der Chef der Staatskanzlei, Staatssekretär Dr. Florian Stegmann, leitet die Lenkungsgruppe, die mindestens einmal wöchentlich tagt. Mitglieder der Lenkungsgruppe sind neben dem Leiter die Amtschefs verschiedener Ministerien sowie als ständige Berater unter anderem das Landesgesundheitsamt. Daneben gibt es einen Wissenschafts-Beraterkreis des Ministerpräsidenten. Diesem gehören an: Der Mediziner Stefan Brockmann (Leiter des Referats „Gesundheitsschutz und Epidemiologie“ im Landesgesundheitsamt), Prof. Winfried Kern (Internist mit Schwerpunkt Infektiologie von der Uniklinik Freiburg; er war schon mehrfach zu Gast in öffentlichen Videoveranstaltungen, zu denen ich eingeladen hatte), Hans-Georg Kräusslich (Abteilungsleiter für Virologie am Zentrum für Infektiologie der Uniklinik Heidelberg), Martin Eichner (Biologe und Mathematiker mit Fachgebiet Epidemiologie an der Uniklinik Tübingen), Christian Wunder (Chefarzt und Intensivmediziner am Robert-Bosch-Krankenhaus in Stuttgart).
Bayern
Im März 2020 trat erstmals der Coronavirus-Krisenstab Bayern unter Leitung der Gesundheitsministerin und des Innenministers zusammen. Am Krisenstab sind weitere bayerischen Ministerien sowie das Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit beteiligt. Ebenfalls vertreten sind Experten der Polizei und des Katastrophenschutzes. Leiter der Task-Force Infektiologie ist Dr. med. Martin Hoch, der bereits im Bayerischen Gesundheitsministerium für bayernweite Fragen des Infektionsschutzes zuständig war.
Mecklenburg-Vorpommern
Im März 2020 wurde der „Interministeriellen Führungsstab (ImFüSt) zur Bewältigung der besonderen Gefährdungslage Covid-19“ einberufen. Ständige Mitglieder sind die Staatskanzlei und die Ministerien des Landes Mecklenburg-Vorpommern sowie die im Katastrophenschutz mitwirkenden Hilfsorganisationen (Arbeiter-Samariter-Bund, Deutsche Lebens-Rettungs-Gesellschaft, Deutsches Rotes Kreuz, Johanniter-Unfall-Hilfe, Malteser-Hilfsdienst, Technisches Hilfswerk und die Bundeswehr. Ereignisbezogene Mitglieder sind zusätzlich z. B. die Fachbehörden des Landes (zurzeit das Landesamt für Gesundheit und Soziales, die Landtagsverwaltung, die Landkreise und kreisfreien Städte, deren Verbände Landkreistag Mecklenburg-Vorpommern e. V. und Städte und Gemeindetag Mecklenburg-Vorpommern e. V., die Kassenärztliche und Kassenzahnärztliche Vereinigung und die Datenverarbeitungszentrum Mecklenburg-Vorpommern GmbH als zentraler IT-Dienstleister. Die epidemiologischen Spezifika werden vom Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Gesundheit eingebracht. An bisher 31 Sitzungen des ImFüSt haben während der vergangenen über neun Monate insgesamt 159 Personen meistens mehrfach teilgenommen. Hiervon nehmen aktuell ca. 45 Personen hauptsächlich über Telefon- oder Videoschaltkonferenz teil.
Nordrhein-Westfalen
Die Landesregierung NRW lässt sich bei der Pandemiebekämpfung von zwölf Experten verschiedener Disziplinen beraten. Das Gremium aus renommierten Vertreterinnen und Vertretern der Medizin, Rechtswissenschaft, Wirtschaftswissenschaft, Philosophie, Psychologie, Soziologie und der Sozialarbeit. Ziel des Expertenrats ist es, die Expertise verschiedener Fachrichtungen zusammenzutragen und das vorhandene Wissen zu bündeln, um so einen ganzheitlichen Ansatz verfolgen zu können, der neben den epidemiologischen Entwicklungen auch die wirtschaftlichen und sozialen Schäden des Lockdowns berücksichtigt.“ Die 12 Expert*innen sind: Prof. Udo di Fabio (Prof. für öffentliches Recht, ehem. Bundesverfassungsrichter, Prof. für öffentliches Recht an der Uni Bonn), Stephan Grünewald (Dipl.-Psychologe, Rheingold-Institut), Prof. Otfried Höffe (Philosoph Uni Tübingen), Prof. Michael Hüther (Volkswirt, Institut der deutschen Wirtschaft), Monika Kleine (Diplom-Sozialpädagogin, Sozialdienst katholischer Frauen), Prof. Renate Köcher (Institut für Demoskopie Allensbach), Dr. Nicola Leibinger-Kammüller (Geschäftsführerin des Maschinenbauers Trumpf; Vizepräsidentin des Stifterverbands für die deutsche Wissenschaft), Prof. Armin Nassehi (Soziologe Uni München), Claudia Nemat (Deutsche Telekom), Prof. Christoph Schmidt (Ökonom, Präsident des RWI), Prof. Hendrik Streeck (Virologe Uniklinik Bonn) und Prof. Christiane Woopen (Professorin für Ethik und Theorie der Medizin, Uni Köln).
Sachsen
Im Freistaat Sachsen wird der „Arbeitskrisenstab Infektionsschutz“ beraten durch Herr Prof. Alexander Dalpke (Facharzt für Mikrobiologie, Virologie und Infektionsepidemiologie am Uniklinikum Dresden) sowie Prof. Michael Albrecht (Medizinischer Vorstand am Uniklinikum Dresden). Hinzugezogen werden außerdem Dr. Klaus Heckemann (Allgemeinmediziner, Kassenärztliche Vereinigung Sachsen) und Erik Bodendieck (Allgemeinmediziner, Präsident der Sächsische Landesärztekammer).
Sachsen-Anhalt
Im März 2020 wurde der Pandemiestab im Ministerium für Arbeit, Soziales und Integration Sachsen-Anhalt aktiviert. Er ist mit Bediensteten des Ministeriums und anderer Landesbehörden besetzt und wird fachlich durch die jeweils zuständigen Referate des Ministeriums unterstützt (interne ständige oder anlassbezogene Fachberaterinnen/Fachberater). Daneben erfolgt eine fachliche Beratung durch eine externe Sachverständigengruppe Pandemie (externe ständige oder anlassbezogene Fachberaterinnen/Fachberater); in der bspw. Krankenhausgesellschaft, Universitätsklinikum, Ärztekammer, Wohlfahrtsverbände, Hilfsorganisationen vertreten sind.
Thüringen
Seit Juni 2020 wird die Landesregierung durch einen zwölfköpfigen wissenschaftlichen Beirat beraten. Der Beirat soll „die Komplexität des Pandemiemanagements aus interdisziplinärer Perspektive erschließen und diskutieren.“
Diesem Gremium gehören an: Dr. Petra Dickmann (Ärztin und Sozialwissenschaftlerin, Uniklinik Jena), Prof. Silke Übelmesser (Volkswirtschaftslehre/ Finanzwissenschaft), Prof. Cornelia Betsch (Psychologin, Uniklinik Erfurt), Prof. Karlheinz Brandenburg (Technische Universität Ilmenau, Experte für Digitalisierung), Prof. Nicole Harth (Sozialpsychologin, Ernst-Abbe-Hochschule Jena), Prof. Sebastian Henn (Wirtschaftsgeograph, Friedrich-Schiller-Universität Jena), Prof. Nikolaus Knoepffler (Leiter des Bereichs „Ethik in den Wissenschaften“, Friedrich-Schiller-Universität Jena), Prof. Barbara Lochner (Pädagogik der Kindheit, Fachhochschule Erfurt), Prof. Mathias Pletz (Internist, Pneumologe und Infektiologe, Uniklinik Jena), Prof. Benno Stein (Informatiker, Bauhaus-Universität Weimar), Dr. Klaus von der Weiden (Richter am Bundesverwaltungsgericht und am Thüringer Verfassungsgerichtshof) sowie Prof. Viktor Wesselak (Regenerative Energiesysteme, Hochschule Nordhausen).
Quellen
Ich hatte den Wissenschaftlichen Dienst des Bundestages um eine Aufstellung gebeten und die Länder angeschrieben und mich erkundigt, wie/durch wen sich die Länder jeweils beraten lassen. Die Antworten sind auszugsweise in den obigen Text eingeflossen.
Beim RKI sind die Pandemiepläne einzelner Bundesländer zu finden: https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/I/Influenza/Pandemieplanung/Pandemieplaene_Bundeslaender.html?nn=2370466 .
Zum Krisenstab Baden-Württemberg: https://www.rnz.de/politik/suedwest_artikel,-wissenschaftliche-berater-das-sind-kretschmanns-corona-erklaerer-_arid,509140.html
Zum Krisenstab NRW: https://www.land.nrw/sites/default/files/asset/document/expertenrat_corona.pdf
Es ist sehr bedauerlich, dass die meisten Länder sehr defensiv kommunizieren, von wem konkret sie sich beraten lassen. Die Veröffentlichung der Namen und Funktionen der Beraterinnen und Berater, insbesondere von denen, die kein Ministerium und keine Behörde vertreten, würde sicherlich mehr Transparenz und Vertrauen herstellen.