Die Infrastruktur-Misere der Bahn geht weiter

Hinweis: Dieser Beitrag ist schon älter und wurde möglicherweise noch nicht in das neue Format umgewandelt.

18.10.2019

Geplantes „Mehr an Geld“ reicht nicht, um Rückstände aufzuholen

Dass es um den Zustand der Schie­nen-Infra­struk­tur nicht son­der­lich gut steht ist bekannt. Eini­ge kon­kre­te Zah­len, Daten und Fak­ten las­sen dann aber doch auf­schre­cken.

Der Bund stell­te in den letz­ten 10 Jah­ren zuneh­mend mehr Geld für sog. „Ersatz­in­ves­ti­tio­nen“ bereit. Gehol­fen hat dies allem Anschein nach wenig bis nichts. Die­se Ein­schät­zung legen die Zah­len nahe, die auf Anfra­ge der Grü­nen im Bun­des­tag nun offen­ge­legt wur­den. Dem­nach liegt der Inves­ti­ti­ons­rück­stau bei 49 Mil­li­ar­den Euro (DB Netz: 44,5 Mrd. €, DB Sta­ti­on & Ser­vice: 4,5 Mrd. €. Bei den Brü­cken (18,5 Mrd. €) und den Gleis­an­la­gen (16 Mrd. €) sind die größ­ten Ver­säum­nis­se zu bekla­gen.

Kon­kret zei­gen sich die Ver­säum­nis­se bspw. anhand fol­gen­der Kri­te­ri­en:

Das Durch­schnitts­al­ter der Anla­gen ist erheb­lich gestie­gen. Zwi­schen 2015 und 2018 stieg das Durch­schnitts­al­ter der Brü­cken von 57,4 auf 72,5 Jah­ren (es muss­te nach einer Aus­wer­tung alter Bau­ak­ten nach oben kor­ri­giert wer­den), das der Tun­nel von 44,5 auf 46,7, das der Stell­wer­ke von 33,5 auf 34,8 und das der Bahn­über­gän­ge von 27,4 auf 28,4 Jah­re. Bei den Sta­tio­nen sieht es lei­der nur teil­wei­se bes­ser aus: Wäh­rend die Bahn­stei­ge sich von 40 auf durch­schnitt­lich 38 Jah­re und die Beleuch­tungs­an­la­gen sich von 21 auf 20 Jah­re ver­jüng­ten, alter­ten die „unter­ir­di­schen Per­so­nen­ver­kehrs­an­la­gen“ (also vor allem unter­ir­di­sche S‑Bahnhöfe) von durch­schnitt­lich 31 auf 38 Jah­re, die Per­so­nen­auf­zü­ge von 9 auf 10 und die Roll­trep­pen gar von 9 auf 12 Jah­re. In der Ener­gie­spar­te sieht es gera­de­zu trost­los aus: Sämt­li­che Gewer­ke wur­den im Durch­schnitt älter, so die zen­tra­len Umrich­ter von 8,6 auf 11,2 Jah­re und die S‑Bahn-Gleich­strom­un­ter­wer­ke von 18,7 auf 20,7 Jah­re. Da in den letz­ten Jah­ren ins­be­son­de­re im Brü­cken­bau dra­ma­ti­sche Preis­stei­ge­run­gen zu ver­zeich­nen waren, muss­ten „Anpas­sun­gen für ein­zel­ne Gewer­ke vor­ge­nom­men wer­den“, wie die Bun­des­re­gie­rung in ihrer Ant­wort auf unse­re Fra­ge schrieb. Kon­kret: Es wur­de in den Berei­chen Ober­bau, Bahn­strom-/Elek­tro­tech­nik und Bahn­über­gangs­an­la­gen weni­ger inves­tiert als zunächst vor­ge­se­hen war. Dies bedeu­tet nichts ande­res, als dass noch weni­ger als zu wenig saniert wur­de. Man kann auch sagen: Die Bahn fährt auf Ver­schleiß. Für die Bahn­über­gän­ge lässt sich dies quan­ti­fi­zie­ren: Von den vor­ge­se­he­nen Erneue­run­gen konn­ten 35 Pro­zent nicht umge­setzt wer­den – und das, obwohl jedes vier­te Stell­werk noch immer mecha­nisch ist. Deren Durch­schnitts­al­ter liegt bei 77 Jah­ren (Gesamt­durch­schnitt aller Stell­wer­ke: 49 Jah­re). Bei den Kabel­an­la­gen sieht es ähn­lich aus: Über ein Drit­tel hat ihr defi­nier­tes Höchst­al­ter erreicht oder über­schrit­ten.

Die­se mas­si­ve, seit Jahr­zehn­ten andau­ern­de Ver­nach­läs­si­gung von Inves­ti­tio­nen ins Bestands­netz rächen sich mehr und mehr. So schnell­te bei­spiels­wei­se die Anzahl von Lang­sam­fahr­stel­len, an denen die Züge ihre Geschwin­dig­keit auf­grund des Infra­struk­tur­zu­stan­des ver­rin­gern müs­sen, von 361 im Jahr 2015 auf 496 im Jahr 2018 nach oben. Die Besei­ti­gung von Lang­sam­fahr­stel­len dau­ert immer län­ger. Die „Ältes­te“ besteht seit inzwi­schen fast 14 Jah­ren, weil kei­ne Stre­cken­sa­nie­rung vor­ge­nom­men wur­de. Lang­sam­fahr­stel­len bedeu­ten Ver­lus­te an Kapa­zi­tät und Fahr­zeit sowie einen erhöh­ten Ener­gie­auf­wand.

Wie ist die Per­spek­ti­ve? Die Deut­sche Bahn wird vor­aus­sicht­lich nur uner­heb­lich mehr Geld für Sanie­run­gen bereit­stel­len (jähr­li­cher Mit­tel­auf­wuchs unter zwei Pro­zent). Für die sog. „Ersatz­in­ves­ti­tio­nen“, also den Ersatz abgän­gi­ger Infra­struk­tur, wird der Bund über die Leis­tungs- und Finan­zie­rungs­ver­ein­ba­rung (LuFV III) in den nächs­ten zehn Jah­ren der Deut­schen Bahn nicht uner­heb­lich mehr Geld zur Ver­fü­gung stel­len. Aber: Der Gesamt­be­trag, der vom Bun­des­ver­kehrs­mi­nis­te­ri­um ger­ne auf 86 Mil­li­ar­den Euro für 10 Jah­re taxiert wird, wur­de künst­lich „auf­ge­bläht“. Denn neu hin­ein­ge­rech­net wur­den Inves­ti­ti­ons­mit­tel, die schon bis­her flos­sen, nur an ande­rer Stel­le bei der DB aus­ge­wie­sen wur­den. Dazu passt, dass die Bun­des­re­gie­rung zwei Gut­ach­ten, in denen der Sanie­rungs­stau im Schie­nen­netz bezif­fert wird, dem Bun­des­tag bis­her nicht zuge­lei­tet hat – Geheim­nis­krä­me­rei statt Trans­pa­renz und das bei einer öffent­li­chen Infra­struk­tur, die für das Gelin­gen der Ver­kehrs­wen­de eine Schlüs­sel­rol­le spielt.

Hin­zu kommt, dass die Deut­sche Bahn eine Divi­den­de in einer jähr­li­chen Höhe aus­schüt­ten muss, die sie in den ver­gan­ge­nen Jah­ren nicht erwirt­schaf­ten konn­te und ver­mut­lich auch zukünf­tig nicht an den Bund abfüh­ren kann. Letzt­lich bleibt unge­wiss, ob der ver­blei­ben­de Mit­tel­auf­wuchs auch ange­sichts deut­lich stei­gen­der Bau­prei­se aus­reicht, um den Zer­fall der Infra­struk­tur zu stop­pen und den Infra­struk­tur­zu­stand schritt­wei­se wie­der zu ver­bes­sern.

Wei­ter­ge­hen­de Infor­ma­tio­nen

Am 16. Okto­ber fand im Bun­des­tags-Ver­kehrs­aus­schuss eine Anhö­rung zur Leis­tungs- und Finan­zie­rungs­ver­ein­ba­rung (LuFV III) statt. Dort habe ich die oben aus­ge­führ­te Kri­tik vor­ge­bracht und kri­tisch hin­ter­fragt, ob der neue Ver­trag zwi­schen Bund und Deut­scher Bahn Feh­ler ver­gan­ge­ner LuF-Ver­trä­ge behebt. Meh­re­re Sach­ver­stän­di­ge hat­ten dar­an deut­li­che Zwei­fel. Einer­seits ist zu begrü­ßen, dass nicht mehr jede ein­zel­ne Ersatz­maß­nah­me geför­dert wer­den muss und der DB mehr Eigen­ver­ant­wor­tung über­tra­gen wur­de. Eben­falls ist im Grund­satz zu begrü­ßen, dass die Lauf­zeit des Ver­tra­ges von bis­her fünf auf zehn Jah­re ver­län­gert wer­den soll, um mehr Pla­nungs­si­cher­heit gewähr­leis­ten zu kön­nen. Ande­rer­seits aber hat das Sys­tem offen­kun­di­ge Schwä­chen, die nicht beho­ben wur­den. Mit par­la­men­ta­ri­schen Initia­ti­ven wer­de ich den Druck auf Kor­rek­tu­ren erhö­hen.