Diesel- und Hybridmotoren für Züge

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11.04.2018

Besuch bei MTU in Friedrichshafen

Der Ursprung der MTU (Moto­ren- und Tur­bi­nen-Uni­on) liegt 109 Jah­re zurück und das Unter­neh­men sie­del­te bereits nach weni­gen Jah­ren nach Fried­richs­ha­fen um. 1960 wur­de es von Daim­ler erwor­ben. Seit dem Jahr 2014 gehö­ren alle Antei­le zum Rolls-Roy­ce-Kon­zern. Die MTU ist heu­te das Kern­un­ter­neh­men von Rolls-Roy­ce Power-Sys­tems mit einem Jah­res­um­satz von über drei Mil­li­ar­den Euro, zu dem über 30 Toch­ter­ge­sell­schaf­ten mit welt­weit über 10.000 Beschäf­tig­ten gehö­ren.

Unter der Mar­ke MTU wer­den schnell­lau­fen­de Groß­mo­to­ren (Moto­ren mit hoher Dreh­zahl) und Antriebs­lö­sun­gen ent­wi­ckelt und pro­du­ziert. Die Moto­ren fin­den sich wie­der in Zügen, bei der zivi­len und mili­tä­ri­schen sowie der pri­va­ten Schiff­fahrt, in Mili­tär­fahr­zeu­gen, Bau- und Indus­trie­fahr­zeu­gen sowie in land- und forst­wirt­schaft­li­chen Maschi­nen.

Bahn­an­trie­be

MTU ent­wi­ckelt und baut seit 95 Jah­ren Die­sel­mo­to­ren für Trieb­wa­gen und Loko­mo­ti­ven und hat seit­her 20.000 Bahn­an­trie­be aus­ge­lie­fert. Kun­den sind bei­spiels­wei­se Hita­chi, Bom­bar­dier (baut kei­ne eige­nen Die­sel­mo­to­ren), Sie­mens und Voss­loh.

„Der Die­sel­mo­tor ist unser Kern­pro­dukt“, so die MTU-Ver­tre­ter im Gespräch. Die Ein­schrän­kung folg­te prompt: „Allei­ne damit kön­nen wir auf Dau­er aber nicht über­le­ben.“ Die Alter­na­ti­ve sei­en Gas­an­trie­be, betrie­ben mit Erd­gas oder syn­the­tisch erzeug­tem Gas. Für die Hybrid­tech­nik spre­che hin­ge­gen, dass sie kei­ne Inves­ti­tio­nen in die Infra­struk­tur erfor­de­re.

Hybrid­zü­ge

Wir haben uns vor allem über die Hybrid­zü­ge von MTU aus­ge­tauscht. Bei die­sen gibt es im Antriebs­strang neben dem Ver­bren­nungs­mo­tor einen Generator/Elektromotor sowie Akkus. Dabei wird der Die­sel­mo­tor je nach Situa­ti­on und Stre­cken­ab­schnitt genutzt, um den Zug direkt anzu­trei­ben oder aber Strom für den Antrieb oder die Akkus zu erzeu­gen. Ein elek­tri­sches Laden von außen (wie bei Plug-in-Fahr­zeu­gen mög­lich) gibt es nicht. Die Hybrid­tech­nik macht, wie auch bei Kraft­fahr­zeu­gen (Bus­se und Autos), dann Sinn, wenn in kur­zen Abstän­den gebremst und beschleu­nigt wer­den muss. Dann wird ein Teil der Brems­ener­gie in elek­tri­sche Ener­gie umge­wan­delt und in Lithi­um-Ionen-Akkus, die sich auf dem Dach befin­den, zwi­schen­ge­spei­chert (Reku­per­a­ti­on). Die Eig­nung der Hybrid­tech­nik wur­de von MTU auf einem 38 Kilo­me­ter lan­gen Abschnitt der West­fran­ken­bahn getes­tet. Gefah­ren wur­de (stre­cken­be­dingt) mit Maxi­mal­ge­schwin­dig­kei­ten von 120 Stun­den­ki­lo­me­ter. Die Ein­spa­rung an Die­sel­kraft­stoff lag­ge­gen­über kon­ven­tio­nel­len Die­sel­fahr­zeu­gen bei 22 bis 24 Pro­zent. Durch die SCR-Abgas­nach­be­hand­lung mit Harn­stoff­tank wer­den die Stick­oxid­emis­sio­nen deut­lich redu­ziert.

Im Still­stand, bei­spiels­wei­se bei Stopps in den Bahn­hö­fen, sind die Hybrid­zü­ge um sehr deut­lich wahr­nehm­ba­re 20 dB(A) lei­ser als rei­ne Die­sel­zü­ge. Die­ser Wert wur­de von MTU am Bahn­hof Fried­richs­ha­fen gemes­sen. Beim Anfah­ren wur­de eine Lärm­re­du­zie­rung um 5 dB(A) ermit­telt.

Ein­satz­mög­lich­kei­ten an der Boden­see­gür­tel­bahn

Der Her­stel­ler Bom­bar­dier hat kürz­lich gemein­sam mit Ver­tre­tern der Schwei­zer Bun­des­bah­nen (SBB) in Über­lin­gen am Boden­see neue Hybrid-Loks der Bau­rei­he „Talent 3“ vor­ge­stellt. Die Her­aus­for­de­rung liegt dar­in, den knapp über 50 Kilo­me­ter lan­gen nicht elek­tri­fi­zier­ten Stre­cken­ab­schnitt zwi­schen Fried­richs­ha­fen und Radolf­zell zu über­win­den. Die Akkus der prä­sen­tier­ten Züge sol­len (nach Anga­ben von Bom­bar­dier, sie­he Pres­se­mel­dun­gen) für den Teil­ab­schnitt zwi­schen Uhl­din­gen und Radolf­zell, es geht um 34 Kilo­me­ter, aus­rei­chen. Damit könn­te der land­schafts­sen­si­ble Ufer­be­reich des Boden­sees von Ober­lei­tungs­mas­ten frei gehal­ten wer­den und der teu­re Ein­bau von Ober­lei­tun­gen in Tun­neln könn­te ver­mie­den wer­den. Aller­dings: Es müss­ten die schwe­ren Akkus auf den elek­tri­fi­zier­ten Abschnit­ten mit­ge­zo­gen wer­den. Kann das eine Lösung dar­stel­len? Und kann es selbst für den Fern­ver­kehr sinn­voll sein, den schwe­ren Akku mit­zu­schlei­fen, der nur für den ver­hält­nis­mä­ßig kur­zen, nicht elek­tri­fi­zier­ten Stre­cken­ab­schnitt benö­tigt wird? MTU sieht dar­in kein Pro­blem, son­dern die Lösung: Der Akku wiegt (zusam­men mit den bei­den Moto­ren) 600 Kilo­gramm und erhöht das Gewicht des Trieb­zug­wa­gens von 40 Ton­nen nicht wesent­lich.

MTU ver­weist auch dar­auf, dass sich Hybrid­mo­to­ren in Bestands­fahr­zeu­gen nach­rüs­ten las­sen. Bei­spiel VT 612, den ver­gleichs­wei­se schnel­len Zug mit Nei­ge­tech­nik, der auf der Stre­cke Ulm – Fried­richs­ha­fen – Sin­gen – Basel bis zu 160 Stun­den­ki­lo­me­ter schnell fah­ren kann: MTU wirbt unter ande­rem mit der stär­ke­ren Beschleu­ni­gung, 60 Pro­zent weni­ger Stick­oxi­den und 90 Pro­zent weni­ger Par­ti­kel­emis­sio­nen für die Umrüs­tung mit der Hybrid­tech­nik und damit ver­bun­den einer Abgas­nach­be­hand­lung. Dies sei gewichts­neu­tral mach­bar, der Zug kön­ne rund sechs Kilo­me­ter rein elek­trisch fah­ren. Er kön­ne dann in den sen­si­blen Berei­chen (inner­orts) emis­si­ons­frei bat­te­rie­elek­trisch und auf den frei­en Stre­cken mit Die­sel­an­trieb (bei gleich­zei­ti­gem Laden des Akkus) fah­ren. Die Aus­stat­tung mit Pan­to­graph (Strom­ab­neh­mer für die Fahrt unter einer Ober­lei­tung) sei auch denk­bar, wür­de aber wegen des dafür erfor­der­li­chen Tra­fos zu Mehr­ge­wicht füh­ren und sei nur mit grö­ße­rem Umbau mög­lich.

In der Gesamt­kos­ten­be­trach­tung, so MTU, sei der Hybrid­zug gegen­über dem Die­sel­zug um 10 bis 25 Pro­zent güns­ti­ger.

Die Fra­ge, ob die Stre­cke durch­ge­hend mit­tels Ober­lei­tung elek­tri­fi­ziert wer­den soll oder ob Züge mit Hybrid- oder alter­na­ti­ven Antrie­ben zum Ein­satz kom­men sol­len soll­te aus mei­ner Sicht zügig dis­ku­tiert und zeit­nah ent­schie­den wer­den.

Rüs­tungs­gü­ter bei MTU

Auch die heik­le Fra­ge der Pro­duk­te für mili­tä­ri­sche Zwe­cke habe ich ange­spro­chen. Die­se machen einen Anteil von inzwi­schen weni­ger als neun Pro­zent des Gesamt­um­sat­zes aus. Lt. der Unter­neh­mens­ver­tre­ter wird aus­schließ­lich in EU- und NATO- sowie damit asso­zi­ier­te Län­der gelie­fert.