06.08.2020, ergänzt am 09.08.2020
Zu Gesprächen in Sasbachwalden (Schwarzwald)
Die Wogen in Sachen „Motorradlärm“ schlagen in diesem Jahr besonders hoch. Die Gründe sind vielfältig. Ich habe über ein Wochenende einen Ort im Nordschwarzwald besucht, in dem und über den die Diskussionen besonders Fahrt aufgenommen hat.
Die Anzahl der Motorräder in Deutschland steigt, diese werden leistungsstärker und vielfach lauter. Zugleich nehmen die Lärmbetroffenheit und ‑sensibilität von Bürger*innen sowie Tourist*innen zu. Dies gilt auch für Sasbachwalden im Ortenaukreis. Der 2.500-Seelen-Ort liegt zwischen dem Rheintal und der Hornisgrinde, mit 1.164 Meter der höchste Berg des Nordschwarzwaldes. Der Ort ist sehr stark vom Tourismus geprägt. Die Lage, nahezu 1.000 Meter Höhenunterschied und in Serpentinen verlaufende Straßen durch wunderschöne Landschaften machen ihn auch bei Motorradfahrenden beliebt.
Bürgermeisterin Sonja Schuchter (CDU) kämpft seit Beginn ihrer Amtszeit vor vier Jahren gegen zu lautes Motorradfahren und erhält damit viel Zuspruch aus dem Ort, für den sie Verantwortung trägt – aber durchaus auch von nicht wenigen Motorradfahrenden. Sasbachwalden gehörte zu den ersten Kommunen, die – vom Land unterstützt – drei Lärmmesspunkte einrichtete. Eine Anzeigetafel, die wechselweise an den Messpunkten aufgestellt wird, zeigt den Vorbeifahrenden entweder „Danke“ (wenn sie maximal 85 Dezibel laut unterwegs sind) oder „Leiser fahren“ (wenn sie „zu laut“ unterwegs sind) an. Dort, vor Ort an der Messstelle, trafen sich Thomas Marwein (Landtagsabgeordneter und Lärmschutzbeauftragter der Landesregierung), Landtagskandidat Bernd Mettenleiter sowie Bürgermeisterin Sonja Schuchter. Ich ließ mir die grundsätzliche Problematik und die Wirkungsweise der Anlage, die erst seit April ihren Dienst leistet, erklären. An manchen Samstagen, Sonntagen und Feiertagen fahren über 1.200 Motorradfahrende pro Richtung durch den Ort. Hinter dem Ort, weiter in den Schwarzwald hinein, teilen sich die Motorradstrecken in verschiedene Richtungen auf. Hotellerie und Gastronomie profitieren vom Motorradverkehr so gut wie nicht: „Die meisten Motorradfahrer nutzen nur unsere Landschaft, nicht die Gastronomie“. Auf einigen Streckenabschnitten seien auch Motorradfahrende zu beobachten, die hin- und herführen. Viele Anwohner*innen und Urlaubende stören sich am Lärm. Die Anlagen, deren Standorte außerhalb des Ortes liegen, messen dort, wo sich der Lärm über das Tal bis hinein in die verstreut liegenden Wohnlagen ausbreitet. Wie wirken die Anzeigetafeln? Dazu die Bürgermeisterin: Die meisten Motorradfahrenden würden jetzt langsamer und leiser fahren. Einige wenige würden aber auch „extra Gas geben“. Insgesamt sei eine Sensibilisierung eingetreten und es habe sich die Lage auch in der Bevölkerung beruhigt. Ich konnte mir eine Auswertung einer der Messstellen genauer anschauen: An Spitzentagen fuhren über 400 Motorräder daran vorbei. Gemessen wurden Fahrzeuge, die nur 57 oder 58 Dezibel laut waren, während andere mit bis zu 101 Dezibel vorbeidröhnten. Diese enorme Spannweite ist deutlich herauszuhören, wie ich vom Straßenrand aus auch selber wahrnehmen konnte. Der Lärmdurchschnitt bei den Messungen lag bei rund 82 Dezibel (der Bundesrat fordert einen Lärmgrenzwert von 80). Rund 20 bis 30 Prozent der Motorradfahrenden sind lauter als mit 85 Dezibel unterwegs. Ab diesem Schwellenwert wird „Leiser fahren“ angezeigt.
Biker bringen sich mit eigenen Vorschlägen ein. Diese Erfahrung habe ich auch gemacht. Allerdings, so meine Feststellung, widersprechen sich die Ideen häufig – oder sind wenig erfolgversprechend. Dies gilt insbesondere für geforderten Kontrollen. Meist liegen bei zu vielen „lauten“ Motorrädern nämlich keine Rechtsverstöße vor, und diese lassen sich noch dazu nur mit erheblichem Aufwand nachweisen. Es müssen also die „Spielregeln“ zugunsten der lärmgeplagten Anwohner*innen geändert werden. Eine davon nannte die Bürgermeisterin auf meine Frage nach ihrem größten Wunsch an die Politik: Eine Halterhaftung. Denn durch die Visiere der Helme ist oft nicht zu erkennen, wer das Motorrad gesteuert hat, wenn es wegen Überschreitung der Höchstgeschwindigkeit „geblitzt“ wurde.
Im Gespräch mit dem Gastronom eines oberhalb des Ortes am steilen Hang liegenden Restaurants bestätigt dieser, was zuvor die Bürgermeisterin berichtet hatte: „Wir haben mehr Ärger als Nutzen durch die Motorradfahrer.“ Deren Lärm sei weit und lange anhaltend zu hören. Beim Abendessen in einem Restaurant erhalte ich auf Nachfrage dieselbe Antwort: „Die fahren nur vorbei, die kehren nicht ein“. Ich sitze im Außenbereich unweit der Straße, immer wieder dröhnt es von dort unangenehm. Es sind aber auch deutlich die Lärmunterschiede verschiedener Maschinen und Fahrstile zu erkennen. Ein Spaziergang durch den Ort bestätigt: Zahlreiche Motorradfahrende fahren einzeln oder in Gruppen durch den Ort, aber nirgendwo stehen Maschinen vor den Restaurants. Es gäbe nur eine Ausnahme vor dem Ort, wird mir berichtet. Dort habe sich der Gastronom besonders auf diese Zielgruppe spezialisiert.
Am Sonntagmorgen, ich habe im Ort übernachtet, war das erste Motorrad morgens um kurz vor acht Uhr erst zu hören, dann auch zu sehen.
123 Gemeinden in Baden-Württemberg haben sich bereits einem Bündnis gegen Motorradlärm angeschlossen. Dies zeigt, dass es sich um ein relevantes Problem handelt, das es durch die Motorradindustrie, die Biker in Eigenverantwortung und die Politik anzupacken gilt.
Ergänzung vom 09.08.2020
Grünes Autorenpapier zum Motorradlärm: 200805-AP-Motorradlärm