Fachgespräch zum Ausbau der Bahnstrecke Stuttgart-Tübingen

09.02.2023

Schlechte Pünktlichkeit zwingt zum Handeln

Die Bahn­stre­cke Stutt­gart – Tübin­gen fällt durch unge­wöhn­lich schlech­te Pünkt­lich­keits­wer­te auf. Dies hat ver­schie­de­ne Ursa­chen. Eine davon liegt in der unzu­rei­chen­den Infra­struk­tur. Die­se ist mit der zuneh­men­den Anzahl der dar­auf ver­keh­ren­den Züge nicht mit­ge­wach­sen. Die Plä­ne für Aus­bau­maß­nah­men an der Stre­cke waren The­ma einer wei­te­ren mei­ner öffent­li­chen Ver­an­stal­tun­gen mit der Deut­schen Bahn.

Zwi­schen Juni und August 2022 lag der Anteil pünkt­li­cher Züge bei 70 bis 80 Pro­zent. Das Netz ran­gier­te im ers­ten Halb­jahr 2022 auf Platz 24 von ins­ge­samt 29 Net­zen im Land auf der Pünkt­lich­keits­ska­la. Auf­fal­lend: Beson­ders unpünkt­lich sind die lang­lau­fen­den Lini­en sowie die Züge in Rich­tung Stutt­gart. Dies deu­tet dar­auf hin, dass es mehr Puf­fer ins­be­son­de­re in Form län­ge­rer Wen­de­zei­ten an den End­sta­tio­nen braucht. Dann wer­den Ver­spä­tun­gen aus vor­an­ge­gan­ge­nen Fahr­ten nicht mehr so häu­fig auf die Rück­fahr­ten über­tra­gen. Gegen­stand mei­ner Ver­an­stal­tung war jedoch ein­mal mehr die Infra­struk­tur, da die­se ein „poli­ti­sches The­ma“ dar­stellt. Ich sprach mit Tobi­as Bück­le, Lei­ter Infra­struk­tur­ent­wick­lung Regi­on Süd­west bei der Deut­schen Bahn AG, kon­kret der DB Netz AG.

Aus par­la­men­ta­ri­schen Anfra­gen weiß ich, dass die DB eini­ge Aus­bau­maß­nah­men plant. Vor­ge­se­hen sind: Eine zusätz­li­che Wei­chen­ver­bin­dung im Bahn­hof Bad Cannstatt (geplant für die­ses Jahr) und eine Block­ver­dich­tung bei Bem­pf­lin­gen zwi­schen Nür­tin­gen und Tübin­gen (geplant fürs Jahr 2025). Ich begrü­ße die­se Maß­nah­men, auf die ich län­ger schon gedrängt hat­te. Die­se rei­chen aber aus mei­ner Sicht nicht aus, um Ver­spä­tungs­ri­si­ken aus­rei­chend zu redu­zie­ren.

Was sich mit Stutt­gart 21 ändert

Mit der Inbe­trieb­nah­me der Neu­bau­stre­cke Stutt­gart – Wend­lin­gen (mit Anschluss an den Flug­ha­fen) wer­den alle Fern­zü­ge die­se Stre­cke nut­zen. Dadurch ent­spannt sich die Situa­ti­on auf der Stre­cke über Cannstatt und Plochin­gen (sowie Wend­lin­gen) etwas. Der Kno­ten Plochin­gen wird „bes­ser beherrsch­bar“, so Herr Bück­le. Dies auch des­halb, weil zukünf­tig kei­ne S‑Bahn mehr in Plochin­gen enden soll, da bis­her dort enden­de S‑Bahnen nach Nür­tin­gen ver­län­gert wer­den sol­len. Dadurch wird in Plochin­gen ein Rich­tungs­be­trieb an den S‑Bahnsteigen mög­lich (Gleis 10 Rich­tung Wend­lin­gen, Gleis 9 Rich­tung Ess­lin­gen). Zudem wird es kaum noch durch­fah­ren­de Züge in Plochin­gen geben.

Wei­chen in Cannstatt – Block­ver­dich­tung bei Bem­pf­lin­gen

Bereits ange­kün­digt ist eine zusätz­li­che Wei­chen­ver­bin­dung bei Bad Cannstatt. So erläu­ter­te Herr Bück­le, dass die­se zusätz­li­chen Wei­chen mit bis zu 80 km/h befahr­bar sein wer­den. Dies ermög­licht den Zügen einen zügi­gen Gleis­wech­sel und damit grund­sätz­lich einen flüs­si­ge­ren Betriebs­ab­lauf.

Eben­falls ange­kün­digt ist eine Block­ver­dich­tung in Bem­pf­lin­gen, die spä­tes­tens im Zuge des Ziel­fahr­plans für Stutt­gart 21 not­wen­dig sein wird, so Herr Bück­le. Grund­sätz­lich darf sich immer nur ein Zug in einem Block­ab­schnitt, also dem Abschnitt zwi­schen zwei Signa­len befin­den. Erst wenn ein vor­aus­fah­ren­der Zug die­sen Abschnitt am Block­si­gnal ver­las­sen hat, kann ein fol­gen­der Zug in die­sen Abschnitt ein­fah­ren. Bei einem sehr lan­gen Block­ab­schnitt wie zwi­schen Nür­tin­gen und Met­zin­gen kön­nen sich folg­lich weni­ger Züge gleich­zei­tig in dem Stre­cken­ab­schnitt befin­den. Wird die­ser lan­ge Block­ab­schnitt durch ein zusätz­li­ches Block­si­gnal („Block­ver­dich­tung“) in Bem­pf­lin­gen in ver­schie­de­ne Block­ab­schnit­te unter­teilt, kön­nen sich mehr Züge gleich­zei­tig  auf der Stre­cke befin­den.

Was sich noch ver­än­dern wird

Zudem bemerk­te Herr Bück­le, dass nach einem vor­ge­se­he­nen Stell­werks­um­bau in Met­zin­gen auch nach Bad Urach ein Halb­stun­den­takt im Nah­ver­kehr fahr­bar ist. Dies hat zwar für die Fahr­ten auf der Neckar-Alb-Bahn vor­erst kei­ne direk­ten Aus­wir­kun­gen, bedeu­tet aber in Met­zin­gen bes­se­re Anschlüs­se von und nach Bad Urach, soll­te der dann mög­li­che Halb­stun­den­takt auf der Ermstal­bahn dann tat­säch­lich auch gefah­ren wer­den.

Was aus mei­ner Sicht noch erfor­der­lich wäre

Obwohl im Zuge von Stutt­gart 21 die Situa­ti­on in Plochin­gen laut Herr Bück­le „bes­ser beherrsch­bar“ wird, wer­den aus mei­ner Sicht Pro­ble­me im Kno­ten Plochin­gen wei­ter­hin nicht ganz ver­meid­bar sein. Zwar prü­fen laut Herr Bück­le die Pla­ner bei DB Netz eine neue Wei­chen­ver­bin­dung im Ost­kopf des Plochin­ger Bahn­ho­fes, mir erscheint es aller­dings frag­lich, ob dies allein aus­rei­chend ist. Auch wei­ter­hin müs­sen Züge von und nach Tübin­gen, um in Plochin­gen nicht wei­ter zu „stö­ren“, auf dem S‑Bahn-Gleis in Rich­tung Ess­lin­gen ver­blei­ben oder im Bahn­hof Plochin­gen auf das nörd­lich des S‑Bahn-Glei­ses gele­ge­ne Fern­gleis wech­seln. Die­ser Wech­sel bedeu­tet das Que­ren und Kreu­zen vie­ler dazwi­schen lie­gen­der Glei­se, die wäh­rend der Durch­fahrt des wech­seln­den Zuges durch die­sen blo­ckiert wer­den. Aller­dings ist auch die Platz­si­tua­ti­on in Plochin­gen pro­ble­ma­tisch. So führ­te Herr Bück­le aus, dass auf­grund der schwie­ri­gen und engen bau­li­chen Situa­ti­on grö­ße­re bau­li­che Maß­nah­men nur schwer bis gar­nicht umzu­set­zen sind.  Das heu­ti­ge Nadel­öhr zwi­schen Plochin­gen und Stutt­gart dürf­te auch zukünf­tig durch dich­ten S‑Bahn und Regio­nal­ver­kehr sowie Güter­ver­kehr wei­ter­hin stark belas­tet blei­ben.

Um kür­ze­re Rei­se­zei­ten zu ermög­li­chen und durch kür­ze­re Fahr­zei­ten mehr Reser­ven im Fahr­plan zu schaf­fen, hal­te ich auch eine Erhö­hung der Stre­cken­ge­schwin­dig­kei­ten für drin­gend not­wen­dig. Ins­be­son­de­re dort, wo auf län­ge­ren Abschnit­ten die Geschwin­dig­keit bei­spiels­wei­se durch eine ver­hält­nis­mä­ßig leicht durch­zu­füh­ren­de Anpas­sung der Bogen­über­hö­hung zu erhö­hen wäre, müs­sen der­ar­ti­ge Maß­nah­men schnell umge­setzt wer­den. Hier­zu erläu­ter­te Herr Bück­le, dass aktu­ell sei­tens des Lan­des Baden-Würt­tem­berg und DB Netz eine Unter­su­chung über poten­ti­el­le Geschwin­dig­keits­er­hö­hun­gen läuft, die dann aus mei­ner Sicht auch drin­gend umge­setzt wer­den müs­sen. Aller­dings führt der Exper­te von DB Netz auch aus, dass die Neckar-Alb-Bahn auf­grund ihrer vie­len Kur­ven vie­ler­orts nicht für noch höhe­re Geschwin­dig­kei­ten geeig­net sei und dass eine Geschwin­dig­keits­über­hö­hung bei­spiels­wei­se auf kur­zen Stre­cken­ab­schnit­ten, vor und nach wel­chen wie­der lang­sa­mer gefah­ren wer­den muss, kaum Sinn macht, da die Züge dann die höhe­re Geschwin­dig­keit kaum aus­fah­ren kön­nen und zudem für das dann sinn­lo­se Beschleu­ni­gen viel Ener­gie auf­wen­den müs­sen. Grund­sätz­lich müs­sen aber so vie­le sinn­vol­le Geschwin­dig­keits­er­hö­hun­gen wie mög­lich umge­setzt wer­den.

Hin­sicht­lich der schon lan­ge von mir gefor­der­ten neu­en Über­leit­stel­le bei Kir­chen­tel­lins­furt konn­te mir Herr Bück­le wenig Erfreu­li­ches berich­ten. Grund­sätz­lich bestä­tigt er den Nut­zen einer sol­chen Über­leit­stel­le hin­sicht­lich mehr Fle­xi­bi­li­tät im Betriebs­ab­lauf. Aller­dings hät­te eine sol­che Über­leit­stel­le kei­ne Aus­wir­kun­gen auf den Regel­be­trieb, bei­spiels­wei­se durch eine Erhö­hung der Geschwin­dig­keit. Des­halb wäre eine sol­che Über­leit­stel­le nur sehr schwer zu finan­zie­ren. Bei der Finan­zie­rung ist es grund­sätz­lich pro­ble­ma­tisch, dass sich Maß­nah­men für den Nah­ver­kehr laut Herr Bück­le nicht aus dem Bedarfs­plan (umgangs­sprach­lich „Bun­des­ver­kehrs­we­ge­plan“) erge­ben wür­den und daher eine Finan­zie­rung allei­ne durch den Bund aus­schei­det. Län­der und Kom­mu­nen kön­nen auf Bun­des­mit­tel zugrei­fen, für die aller­dings eine nach­ge­wie­se­ne Wirt­schaft­lich­keit not­wen­dig ist. Ein sol­cher Wirt­schaft­lich­keits­nach­weis ist bei Maß­nah­men, die nur der Sta­bi­li­sie­rung des Betriebs die­nen, momen­tan nur schwer zu schaf­fen.  Aus die­sen Grün­den ist eine Über­leit­stel­le Kir­chen­tel­lins­furt des­halb kein Bestand­teil der durch die DB geplan­ten Maß­nah­men. Hier hal­te ich es für drin­gend gebo­ten, dass die För­der­richt­li­ni­en ent­spre­chend ange­passt wer­den, damit auch der­ar­ti­ge für eine Betriebs­sta­bi­li­sie­rung drin­gend not­wen­di­ge Maß­nah­men för­der­fä­hig wer­den.

Zudem eine Chan­ce: ETCS

Im Rah­men des Digi­ta­len Kno­ten Stutt­garts soll (als Drit­ter Bau­stein) bis 2030 eine Umstel­lung der Netz­be­zir­ke Stutt­gart und Plochin­gen auf ETCS erfol­gen. Dies schließt die Neckar-Alb-Bahn bis Wend­lin­gen mit ein. Die Aus­rüs­tung der wei­te­ren Stre­cke gen Tübin­gen ist erst im Rah­men des ETCS-Flä­chen­roll­outs deutsch­land­weit vor­ge­se­hen, das aller­dings in einem wei­te­ren und aktu­ell nicht näher bestimm­ba­ren Zeit­rah­men erfolgt. Mit ETCS kön­nen die Züge in noch dich­te­ren Abstän­den fah­ren als mit der her­kömm­li­chen Signa­li­sie­rung der Block­ab­schnit­te. Dadurch wird die Stre­cke leis­tungs­fä­hi­ger.

Wei­ter­füh­ren­de Infor­ma­tio­nen über die Infra­struk­tur und mei­ne Akti­vi­tä­ten: