19.11.2014
Die Große Koalition plant schwerwiegende gesetzliche Eingriffe ins Tarifrecht. Dazu nutzt sie den derzeitigen Unmut über die Bahnstreiks der Gewerkschaft Deutscher Lokführer (GDL). Wer Grundrechten beschneiden möchte, muss dafür gravierende Gründe vorlegen können. Diese sind hier nicht zu erkennen. Selbst innerhalb des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) gibt es erhebliche Zweifel an der geplanten Gesetzesänderung. Und der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung warnt vor einem “Eingriff in den Wettbewerb” und sieht keinen Handlungsbedarf.
Ich finde, es wird Zeit, die Diskussion zu versachlichen.
Worum geht es?
Früher galt der Grundsatz “Ein Betrieb – Ein Tarifvertrag”. Viele Beschäftigte, genauer gesagt Angehörige bestimmter Berufsgruppen, haben sich durch die “DGB-Großgewerkschaften” wie Verdi nicht mehr ausreichend vertreten gefühlt und sog. Berufsgewerkschaften gegründet. Sie haben damit ein Grundrecht wahrgenommen. In Artikel 9 heißt es (verkürzt): “Das Recht, zur Förderung der Arbeitsbedingungen Vereinigungen zu bilden, ist für jedermann und für alle Berufe gewährleistet.” Im Laufe der Zeit entstanden zunehmend parallel geltende Tarifverträge. Im Jahr 2010 hat das Bundesarbeitsgericht diese Praxis bestätigt.
Wie wirkt sich der Tarifpluralismus aus?
Meist verläuft der Tarifpluralismus unspektakulär. In den letzten zehn Jahren kam es zu keinen relevanten Gewerkschafts-Neugründungen mehr. Seit dem Jahr 2010 focht Verdi 600 Tarifkonflikte mit Streiks aus. Im gleichen Zeitraum kam es zu 30 Tarifkonflikten mit Streiks durch die Berufsgewerkschaften.
Wodurch eskalierte der Tarifkonflikt bei der DB?
In einigen Bereichen hat es der Konzern mit dem Personalabbau überzogen. Es haben sich sehr viele Überstunden angesammelt und aus den betreffenden Bereichen wird von hohen Krankenständen berichtet. Dies dürfte zum hohen Organsisationsgrad der Beschäftigten beigetragen haben. Hinzu kommt die Planung der GroKo, per Gesetz für Tarifeinheit sorgen zu wollen. Dies schürt den Tarifkonflikt zusätzlich an, da Gewerkschaften wie die GDL um ihre Existenz fürchen müssen.
Meine Meinung
Für Eingriffe ins Tarifrecht gibt es – bei allem Ärger über die Streiks, die ich verstehen kann – keine hinreichenden Gründe. Weder ist es zur befürchteten Zersplitterung der Tariflandschaft gekommen noch zu einer Streikintensität, wie wir sie aus anderen Ländern kennen. Das Beispiel GDL zeigt, dass es wirksame Korrektive gibt: Eine kritische Gesellschaft, die einer streikenden Gewerkschaft Grenzen aufzeigt und eine innergewerkschaftliche Opposition. Von beidem kann die GdL ein Lied singen, beide Korrektive wirken sich mäßigend aus.
Gesetzesänderungen zum Eingriff ins Tarif- und Streikrecht sind daher aus meiner Sicht überflüssig. Im bereits zitierten Artikel 9 unserers Grundgesetzes heißt es weiter (wieder gekürzt): „Abreden, die dieses Recht einschränken, sind rechtswidrig.“ Die rechtlichen Hürden für das Vorhaben der GroKo sind also extrem hoch und es nicht unwahrscheinlich, dass die GroKo scheitern wird.
Hier der Link zu einem aktuellen Positionspapier der Bundestagsfraktion: http://www.gruene-bundestag.de/fileadmin/media/gruenebundestag_de/fraktion/beschluesse/Beschluss_Tarifeinheit.pdf