30.01.2020
Gespräch mit klagenden Jugendlichen
Unterstützt durch den Verein „Mehr Demokratie“ ziehen 14 Jugendliche vor das Bundesverfassungsgericht, um das Wahlrecht für 16- und 17-Jährige durchzusetzen. Gemeinsam mit Fraktionskolleginnen traf ich mich mit zwei der jungen Klagenden.
Paul Strobach und Rosa Teves sind 17 bzw. inzwischen 18 Jahre alt. Rosa war schon bei der Bundestagswahl 2017 enttäuscht, dass sie nicht wählen durfte, obwohl sie sich gerne beteiligt hätte. Über ein Schulreferat und einen ersten Kontakt mit „Mehr Demokratie e. V.“ wurde ihr klar, dass sie sich das bei der Europawahl 2019 nicht noch einmal einfach so gefallen lassen wollte. Sie legte Beschwerde dagegen ein, dass man sie nicht ins Wählerverzeichnis aufnehmen wollte. Damit war der Weg bis hin zur Klage beschritten. Bei Paul war es ähnlich: Er hatte im Radio davon gehört, dass vollbetreute Menschen mit Behinderung nun wählen dürfen. Prima, dachte er sich, dann kann es doch keinen Grund mehr geben, ihn von der Wahl auszuschließen. Er wollte sich – wie auch Rosa – ins Wählerverzeichnis eintragen lassen und legte Einspruch ein, als ihm dies verwehrt wurde. Schließlich beschritt auch er den Weg der Klage. Bis zum Urteil können Jahre vergehen. Da geben sich die beiden keiner Illusion hin. In unserem Gespräch brachten beide zahlreiche Argumente für die Herabsetzung des Wahlalters vor. Ein Aspekt: Das politische Interesse wird (frühzeitiger) geweckt, wenn die Schule mit Bildungsangeboten unterstützend wirken kann. Ein weiteres Argument: Es geht in besonderer Weise um die Zukunft der jungen Generation – daher sollte sie mehr demokratische Mitsprachemöglichkeiten erhalten. Politisches Interesse ist nach ihrer Einschätzung keine Frage des Alters. Jedenfalls beginne es bei vielen bereits vor der Volljährigkeit, während es auch 60-Jährige gäbe, die kein Interesse hätten und wenig informiert seien – aber wählen dürften. Unter Jugendlichen, so sehen es die beiden, sei das Interesse an Politik gestiegen: Stichworte Uploadfilter und Fridays for Future. Wie ausgeprägt ist das politische Interesse in ihrer Altersgruppe? 20, vielleicht auch 30 Prozent seien stark interessiert und jeder Zehnte gar nicht. Dazwischen würden sich viele der Gleichaltrigen bewegen, die sich spezifisch für bestimmte oder sporadisch für aktuelle politische Themen interessierten.
Hintergrund zur Klage: Mit einer Wahlprüfungsbeschwerde gegen die Europawahl und dem voraus gegangenen – inzwischen abgelehnten – Einspruch der Jugendlichen, weil diese aufgrund ihres Alters noch nicht wählen durften, wird das Ziel einer Absenkung des Wahlalters angestrebt. Es wird gegen die EU-Wahl geklagt, weil im Grundgesetz das Wahlalter lediglich für die Bundestagswahl auf 18 Jahre festgelegt ist. Für EU-Wahlen sieht das Grundgesetz keine Alterseinschränkung vor. „Entscheidend dafür, ob jemand wählen darf oder nicht, ist seine Einsichts- und Urteilsfähigkeit. Die kann bei 16- und 17-Jährigen vorausgesetzt werden“, so die Prozessvertreter. Dass der Bundestag im Juni 2019 den Ausschluss vollständig betreuter Menschen von EU- und Bundestagswahlen abgeschafft hat, wird als weiteres Argument angeführt: „Der Bundestag gesteht allen volljährigen Personen das Wahlrecht zu, unabhängig davon ob sie einsichts- und urteilsfähig sind. „Mehr Demokratie“ weist darauf hin, dass 16-Jährige sich in elf Bundesländern an Kommunalwahlen und in vier Ländern an Landtagswahlen beteiligen dürfen. Der Verband weist außerdem darauf hin, dass die Erstwahl möglichst in die Schulzeit liegen sollte, wo die Jugendlichen intensiver auf ihre erste Wahl vorbereitet werden können.
Für uns als Grüne im Bundestag ist die frühzeitige Partizipation von Kindern und Jugendlichen schon lange ein zentrales Anliegen. Das Wahlalter auf 16 Jahre herabzusenken ist dabei ein Element. In der letzten Legislaturperiode haben wir hierzu einen umfassenden Antrag gestellt. Hier einige zusammengefasste Auszüge daraus:
„Kinder und Jugendliche stellen in der alternden Gesellschaft eine quantitativ und relativ zur übrigen Bevölkerung kleiner werdende Gruppe. Um den Ausgleich zwischen den Generationen zu bewahren ist es zentral, die Interessen von Kindern und Jugendlichen zu berücksichtigen, sie artikulationsstark zu machen und ihre Mitwirkungs- und Partizipationsmöglichkeiten auszubauen. Die Senkung des Wahlalters auf allen politischen Ebenen ist dabei ein wichtiges Element. Das Wahlrecht ab 16 ist darüber hinaus ein klares Signal unserer Gesellschaft an die junge Generation, dass sie von zentralen politischen Zukunftsentscheidungen nicht weiterhin ausgeschlossen sind. Mit der Herabsetzung des Wahlalters wird den Jugendlichen Vertrauen in ihr Urteilsvermögen und ihre politische Willensbildung zugestanden und sie in ihrer Beteiligung gestärkt und ermutigt. Wer in frühen Jahren Partizipations- und Selbstwirksamkeitserfahrungen sammelt, beteiligt und engagiert sich zudem häufig auch im weiteren Lebenslauf. Darum ist es von zentraler Bedeutung, demokratische Werte und Rechte von klein an vermittelt zu bekommen und erlebbar zu machen: In der Kindertagesstätte, in der Schule und Jugendeinrichtung, im Ausbildungsbetrieb oder an der Hochschule.
Die UN-Kinderrechtskonvention und die UN-Grundrechtecharta haben starke Partizipationsrechte formuliert, deren Prinzipien jedoch in Deutschland nicht vollständig umgesetzt sind.“
Zu den konkreten Forderungen zählen das Wahlrecht ab 16 (auf Landesebene müssen darüber die Länder befinden), die Stärkung der politischen Bildung und insbesondere auch der Medienbildung, die Stärkung der SchülerInnenvertretungen (Aufgabe der Länder) und ein Verbandsklagerecht für anerkannte Träger der Kinder- und Jugendverbände.
Bei jungen Menschen politisches Interesse zu wecken und Politik möglichst transparent zu machen ist mir schon sehr lange ein zentrales, persönliches Anliegen. Hier eine kleine Übersicht über meine Aktivitäten:
- Besuche in allgemeinbildenden und beruflichen Schulen (proaktiv, nicht nur auf Einladung – so zuletzt in der Werkrealschule Lenningen)
- Besuche in Jugendeinrichtungen wie Jugendhäusern und auf dem Forschungsschiff „Aldebaran“ auf dem Bodensee mit Kindern und Jugendlichen
- Einladung von Schülerinnen und Schülern zu Bildungsfahrten nach Berlin (bewusst hoher Anteil junger Menschen bei den Bildungsfahrten)
- Präsenz in den sozialen Medien
- Unterstützung von „Jugend debattiert“
- Die Wanderausstellung „Der Deutsche Bundestag“ in Schulen meines Wahlkreises geholt
- Spezielle Veranstaltungsformate im Wahlkreis und meinen Betreuungswahlkreisen (insbesondere das Format „Politik & Pizza“)
- Anbieten von Schülerpraktika im Abgeordnetenbüro und Beschäftigung von (derzeit drei) studentischen Hilfskräften