Plädoyer für konsequentes Handeln
Wegschauen geht nicht mehr. Die eine oder der andere konnte die kaum zu ignorierenden Klimaveränderungen noch verdrängen. Die Sünde, sich von fossilen Energieträgern aus den blutverschmierten Händen Putins abhängig gemacht und in Abhängigkeit gehalten zu haben, ist jetzt noch offensichtlicher. Sie kann und darf nicht ohne einschneidende Konsequenzen bleiben. Auf die Klimakrise, wie auch auf die Finanzierung von Diktatoren wie Putin & Co, kann es nur eine Antwort geben: Raus aus den fossilen Energien, und das so schnell wie möglich – so schnell, wie es ohne völlige Verwerfungen in unserem Land geht, aber auch dann, wenn es erhebliche Anpassungen erfordert!
Deutschland ist der sechstgrößte Erdölimporteur der Welt. Die Abhängigkeit von Russland ist in den letzten Jahren sogar massiv gestiegen. Über 70 Prozent des Ölverbrauchs in Deutschland entfallen auf den Verkehrssektor. Dort werden zu über 90 Prozent Kraftstoffe aus Mineralöl eingesetzt. In den Verbrennungsmotoren wird jedoch weniger als die Hälfte der eingesetzten Energie für den Antrieb umgewandelt. Ein großer Anteil geht als Abwärme verloren. Batterieelektrische Autos weisen eine deutlich höhere Energieeffizienz auf. Die Bahn fährt heute bereits überwiegend elektrisch, ist aber zu schwach aufgestellt, um im Personen- wie im Güterverkehr eine stärkere Rolle spielen zu können. Dies alles unterstreicht einmal mehr die hohe Bedeutung der Verkehrswende.
Wir müssen Verkehre so gut wie möglich auf die leistungsfähig auszubauende Schiene verlagern. Die Ampelkoalition hat sich gerade im Bahnbereich auf sehr ehrgeizige Ziele und konkrete Maßnahmen verständigt. Wir werden das Schienennetz mit einigen großen und vielen kleinen Erweiterungen ausbauen und deutlich mehr als die heutigen 60 Prozent der Strecken mit Oberleitung versehen. Dabei wollen wir schneller vorankommen als bisher, indem wir Planungen vereinfachen, bürokratische Prozesse entschlacken und an den entscheidenden Stellen mehr Personal einsetzen. Wir müssen für den beim Bau von Oberleitungen weg kommen vom Bedenkenträgertum und zeitraubenden Schleifen durch unsinnige Bewertungsmethoden. Wo sich Oberleitungen nicht anbieten, müssen wir auf alternativ angetriebene Fahrzeuge wie Akkuzüge setzen. So sollte es sich auf der Schiene bis zum Jahr 2030 weitestgehend ausgedieselt haben. Wichtig ist natürlich, dass auch der Bahnstrom vollständig „grün“ wird. Kohlestrom muss durch Ökostrom ersetzt werden. Dafür bietet es sich an, Flächen entlang von Bahnstrecken und auf Dächern von Bahnhöfen für die Stromerzeugung mittels Sonne und Wind zu nutzen. Wenn dies deutlich vor dem Jahr 2038 gelingt, dann ist die Bahn mit ihrem Prozess hin zur nahezu vollständigen Dekarbonisierung deutlich schneller als die Straße und erst recht als der Schiffs- und der Luftverkehr. Dabei ist die Bahn noch dazu durch die geringe Rollreibung zwischen Stahlrädern und Fahrweg sehr effizient unterwegs. Gute Gründe also, die Bahn durch Reaktivierung stillgelegter Strecken und den Aus- und Neubau wieder stärker in die Fläche zu bringen. 117 Mittelzentren ohne (regelmäßige) Bahnangebote zeigen, dass derzeit viele Menschen nicht erreicht werden und daher eine Bahnoffensive gestartet werden muss. Diese kann eine Säule einer Mobilitätsgarantie darstellen, mit der insbesondere in den ländlichen Räumen ein verlässliches Grundangebot an öffentlichen Verkehrsangeboten gewährleistet wird.
Verbesserte Angebote der Bahn (und natürlich auch der Busse!) alleine werden aber für eine Verkehrswende nicht ausreichen. Wer ein Auto besitzt und es gewohnt ist, dieses für einen Großteil der Wege zu nutzen, wird das eigene Verhalten zumeist nicht wegen eines attraktiveren öffentlichen Verkehrsangebotes verändern. Selbst die aktuell hohen Spritpreise bewirken alleine wenig. Individuelles Mobilitätsverhalten folgt nicht bewussten und schon gar nicht rationalen Entscheidungen, sondern der Gewohnheit, ja der – durchaus menschlichen – Trägheit. Die Verknappung und Bepreisung von öffentlichem Parkraum in den Städten kann ein Ansatz sein, wie das Beispiel Wien zeigt. Gerade für die meisten Kurzstrecken gibt es mit dem Fahrrad oder dem zu Fuß gehen bessere Verkehrsmittel als das Auto. Und doch entfallen 43 Prozent aller Autofahrten auf Distanzen von bis zu fünf Kilometer. Eine für den Rad- und Fußverkehr sicher ausgebaute Infrastruktur macht den Umstieg einfacher.
Beim Auto muss sich viel tun, wenn wir fossile Abhängigkeit und die Verschwendung von Energie bestmöglich hinter uns lassen wollen – und wenn wir mehr Platz für andere Nutzungen als fürs flächenintensive Parken und damit zugunsten lebenswerterer Orte schaffen wollen. Der Fahrzeugbestand muss runter. Mobilität lässt sich entsprechend anders organisieren, da die Autos ohnehin im Durchschnitt 95 Prozent der Zeit ungenutzt herumstehen. Das Zauberwort heißt „Nutzen statt Eigentum“, also gemeinschaftliche Verfügbarkeit. Wir brauchen aber auch den möglichst schnellen Ausstieg aus dem Verbrennungsmotor bei der Neuzulassung von Pkw. Bis spätestens 2030 sollte dies gelingen, zumal die Betriebskosten von batterieelektrischen Autos erheblich geringer sind als die der Verbrenner. Dies alles ist mit der „Ampel“ drin. Darüber hinaus wurden von diesem Dreier-Bündnis auch wichtige Einigungen für den Güterverkehr erzielt, so für die Verlagerung auf die Schiene durch den Ausbau von Gleisanschlüssen und Terminals oder die Ausweitung der Lkw-Maut. Schwieriger sieht es an anderen Stellen mit dem Abbau ökologisch schädlicher Subventionen aus, so dem Dienstwagenprivileg, das fatale Anreize für schwere, verbrauchsintensive Autos schafft.
Die Verkehrswende kennt viele Gewinner: Die menschliche Gesundheit, die Lebensqualität in den Dörfern und Städten, die Menschen, die weniger durch von Umwelt- und Klimafolgen belastet sein werden, sie alle gehören dazu. Im Wesentlichen gibt es nur einen Verlierer: Putin und andere Diktatoren. Gut, daneben vielleicht auch noch so manche Gewohnheit …
Matthias Gastel, Bundestagsabgeordneter der Grünen und Mitglied im Verkehrsausschuss
Dieser Text ist als Gastbeitrag in „Klimareporter.de“ erschienen.