09.11.2017
Bundesregierung muss künftig umfassender antworten
Was lange währte wurde nun endlich gut: Das Bundesverfassungsgericht hat eine Klage der Grünen im Bundestag aus dem Jahr 2010 (!) nahezu vollumfänglich bestätigt. Die Bundesregierung hätte unsere Fragen die Deutsche Bahn betreffend (so zu Verspätungen der Züge und zur Wirtschaftlichkeit von Stuttgart 21) sowie zur Bankenrettung (so nach Gehalts- und Bonuszahlungen und nach dem erzielten Preis durch den Verkauf der IKB) beantworten müssen.
Die Bundesregierung, so das BVerfG, ist nicht berechtigt, die Antwort auf parlamentarische Anfragen im Einzelfall unter Verweis auf die Betroffenheit der Grundrechte der Deutschen Bahn AG oder verstaatlichter Banken zu verweigern. Als vom Staat vollständig beherrschte juristische Person dienen diese Unternehmen nicht der Ausübung individueller Freiheit Einzelner und sie können sich nicht auf Grundrechte berufen. Die vertraglich vereinbarten oder einfachgesetzlichen Verschwiegenheitsregelungen des Kreditwesengesetzes oder Aktiengesetzes sind daher für sich genommen nicht geeignet, das Frage- und Informationsrecht zu beschränken, so das hohe Gericht. Und zur DB: Auch die unternehmerische Tätigkeit der Deutschen Bahn AG liegt im Verantwortungsbereich der Bundesregierung. Die Bundesregierung hatte immer wieder anders argumentiert und ließ entsprechende Fragen unbeantwortet oder formulierte nebulöse Antworten.
Das Bundesverfassungsgericht stärkte nun das Informationsrecht der Bundestagsfraktionen sowie der einzelnen Abgeordneten. In der politischen Realität, so das Gericht, ist das Fragerecht in seiner Kontrolldimension ganz überwiegend ein Mittel der Opposition, welches zu seiner Wirksamkeit grundsätzlich auf Öffentlichkeit angewiesen ist. Falle das Öffentlichkeitselement weg, so scheide in der Praxis zumindest eine sanktionierende Kontrolle aus.
Die Auskunftsverweigerung der Bundesregierung, wie sie die Opposition regelmäßig erleben musste, wurde durch das Urteil erheblich erschwert. Auch für die Übermittlung von Antworten auf Anfragen aus dem Parlament in der sog. „Geheimschutzzelle“ wurden hohe Hürden aufgebaut. Aus dem Urteil: „Ohne Beteiligung am Wissen der Regierung kann das Parlament sein Kontrollrecht gegenüber der Regierung nicht ausüben. Daher kommt dem parlamentarischen Informationsinteresse besonders hohes Gewicht zu, soweit es um die Aufdeckung möglicher Rechtsverstöße und vergleichbarer Missstände innerhalb von Regierung und Verwaltung geht.“ Das Gericht schränkte zugleich ein: „Das parlamentarische Informationsrecht steht unter dem Vorbehalt der Zumutbarkeit. Es sind alle Informationen mitzuteilen, über die die Bundesregierung verfügt oder die sie mit zumutbarem Aufwand in Erfahrung bringen kann. Sie muss alle ihr zu Gebote stehenden Möglichkeiten der Informationsbeschaffung ausschöpfen.“ Eine erschwerte Zugänglichkeit oder Auswertbarkeit von Quellen möge im Einzelfall dazu führen, dass sich die Regierung auf eine Unzumutbarkeit fristgerechter Beantwortung berufen könne; sie könne aber nicht generell die Beschränkung der Antwortpflicht auf dokumentierte Gegenstände rechtfertigen. Auch das ist ein wichtiger Teil des Urteils. Denn allzu häufig antwortete die Bundesregierung, ihr würden bestimmte Informationen nicht vorliegen und ersparte sich eine Einholung der erwünschten Auskünfte bspw. bei der Deutschen Bahn. Oder sie erklärte den Sachverhalt kurzerhand für zu umfangreich und die Informationsbeschaffung als zu aufwändig, ohne dies näher auszuführen.
Einer ausführlicheren Begründung bedarf es, so schrieb das Gericht in seine Urteilsbegründung, wenn die Bundesregierung Auskünfte zu Umständen aus ihrem Verantwortungsbereich verweigern will, etwa weil es sich um einen Vorgang aus dem Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung handelt oder weil in seltenen Ausnahmefällen Gründe des Staatswohls der Auskunftserteilung entgegenstehen. Es ist Aufgabe der Bundesregierung, so heißt es in der Urteilsbegründung weiter, nachvollziehbar darzulegen, aus welchem Grund die angeforderten Informationen geheimhaltungsbedürftig sind und warum sie gegebenenfalls auch noch nach Jahren oder sogar nach Abschluss des betreffenden Vorgangs nicht Gegenstand einer öffentlichen Antwort sein können.
Weiter führte das BVerfG aus, dass die Kontrollkompetenz des Bundestages sich grundsätzlich nur auf bereits abgeschlossene Vorgänge erstreckt; sie enthält nicht die Befugnis, in laufende Verhandlungen und Entscheidungsvorbereitungen einzugreifen.
Welche Konsequenzen aus dem Urteil, so für die „Spielregeln“ für Anfragen an die Bundesregierung, zu ziehen sind, wird bereits diskutiert.