Für faire Arbeitsbedingungen – Bahn stärken
Es handelt sich um ein Autorenpapier mehrerer Abgeordneten, das hier leicht aktualisiert wurde
Produktionsstopp in der Industrie, Hamsterkäufe im Lebensmittelhandel und kilometerlange Staus an den Grenzen hatten die ersten Wochen der Coronakrise geprägt. Innerhalb weniger Wochen und manchmal weniger Tage wurde unser Alltag mit gewohnten und selbstverständlichen Abläufen durcheinandergewirbelt. Einmal mehr wurde deutlich, welche Bedeutung der Bereich Güterverkehr und Logistik für die Versorgung mit Gütern des täglichen Bedarfs hat. Jetzt geht es darum, dass die Unternehmen im Bereich Güterverkehr und Logistik gut aus der Krise kommen und politisch die richtigen Konsequenzen für die Zeit danach gezogen werden.
Die nachfolgende Momentaufnahme zeigt auf, welchen Handlungsspielraum die Bundespolitik hat, um die Funktionsfähigkeit dieses Sektors zu gewährleisten, Folgen der Krise abzufedern und für Unterstützungen die richtigen Instrumente zu wählen.
In der Krise wurde die Bedeutung des Sektors Güterverkehr und Logistik vielen erst richtig bewusst. Keine Frage, die Logistik ist systemrelevant. Daher war es richtig, in der ersten Phase der Krise schnell das Repertoire des Krisenmanagements von Liquiditätshilfen, Stundung von Steuerzahlungen, Kurzarbeitergeld sowie Unterstützung für entlassene Arbeitnehmer auch im Bereich Güterverkehr und Logistik anzuwenden.
Schienengüterverkehr: robust in der Krise, gestärkt aus der Krise
Der Güterverkehr auf der Schiene war und ist durch die Reduzierung bzw. Produktionseinstellung in Teilen der Industrie (z. B. Automobilproduktion) stark betroffen. Im Bereich Automotive lag der Rückgang der Transportmengen bei bis zu 100 Prozent. Damit verbunden sind erheblich rückläufige Mengen in der Stahlindustrie und folglich weniger Transportaufträge für die Eisenbahnverkehrsunternehmen. Dagegen konnten die Güterbahnen in einigen konsumnahen Bereichen wie der Nahrungsmittelindustrie und Papierindustrie auch Neuverkehre gewinnen. Auch Grundstoffe für die Produktion von Hygieneartikeln und Desinfektionsmitteln zählten zu Gütern, die in der Krise für zusätzlichen Güterverkehr auf der Schiene sorgten.
Die Coronakrise hatte in der Summe zu einem rund 30 Prozent niedrigeren Transportaufkommen im Schienengüterverkehr geführt.
Recht robust zeigen sich die betrieblichen Abläufe des Schienengüterverkehrs in den Terminals des Kombinierten Verkehrs, den Gleisanschlüssen, den Zugbildungsanlagen und beim Grenzübertritt zu unseren europäischen Nachbarn. In der Krise kommen die systembedingten Vorteile des Güterverkehrs auf der Schiene voll zum Tragen: Große Gütermengen werden kontaktarm und mit geringen Infektionsrisiken bewegt. Für die Zukunft sollte daher im Schienengüterverkehr konsequent auf die Automatisierung weiterer Betriebsabläufe gesetzt werden. Dazu zählt der Bau bzw. die Umrüstung von Terminals des Kombinierten Verkehrs auf weitgehend vollautomatischen Betrieb nach dem Vorbild des MegaHubs Lehrte genauso wie die europaweite Einführung der digitalen automatischen Kupplung. Mit diesen mittelfristig angelegten Investitionen kann der Schienengüterverkehr nach der Krise gestärkt werden, um zu konsolidieren und Marktanteile zu gewinnen. Dabei müssen die Investitionen in effiziente Zugangsstellen des Schienengüterverkehrs in eine Verkehrsinfrastrukturpolitik des Bundes eingebettet sein, die dem Kapazitätsausbau des Schienennetzes für die Bedürfnisse des Schienengüterverkehrs höchste Priorität einräumt.
Aber auch kurzfristig kann der Bund dem Schienengüterverkehr durch die Krise helfen. Der Förderung des Kombinierten Verkehrs, bei dem der Hauptlauf der Ladung auf der Schiene zurückgelegt wird, dient der Erlass der Lkw-Maut im Vor- und Nachlauf zum Kombinierten Verkehr – also die Fahrt des Lkw zum bzw. vom Terminal. Zur Förderung der Verkehrsverlagerung hatte die Bundesregierung dieses Instrument bereits im Masterplan Schienengüterverkehr von 2017 aufgenommen, bisher aber noch nicht umgesetzt. Diese Maßnahme zur Förderung des Kombinierten Verkehrs und zur Verkehrsverlagerung auf die Schiene muss die Regierung jetzt schnellstmöglich auf den Weg bringen.
Da aufgrund des in Teilen der Industrie (z. B. Automobilindustrie) umgesetzten Produktionsstopps für die Güterbahnen ein wichtiger Teil ihres Geschäfts innerhalb von Tagen weggebrochen ist und andere Güterzüge mit geringerer Auslastung verkehren, muss der Bund jetzt gegensteuern, um die Versorgungssicherheit in der Industrie zu sichern und Arbeitsplätze im Schienengüterverkehr zu erhalten. Schnelle und unbürokratische Hilfe in der Coronakrise kann die Bundesregierung dem Bahnsektor durch eine Aufstockung der Trassenpreisförderung zukommen lassen. Eisenbahnverkehrsunternehmen müssen für jeden Kilometer, den ein Zug im Streckennetz zurücklegt, Trassenpreise – also eine „Schienenmaut“ – entrichten. Diese sollte in der Krise vom Bund als Eigentümer der Infrastruktur anteilig übernommen werden und danach dauerhaft auf das Grenzkostenniveau abgesenkt werden. Außerdem muss der Bund die angekündigte Förderung der Anlagenpreise jetzt vorziehen, ohne das EU-Notifizierungsverfahren abzuwarten. Mit der weiteren Trassenpreissenkung und der vorgezogenen Anlagenpreisförderung kann der Bund den Unternehmen des Schienengüterverkehrs, die mit rückläufigen Transportmengen zu kämpfen haben, zügig helfen. Damit kann auch in der Krise ein nachhaltiges Transportsystem aufrechterhalten werden.
Forderungen:
- Absenkung der Trassenpreise im Schienengüterverkehr während der Coroankrise und danach Fortführung auf Grenzkostenniveau
- Vorziehen der geplanten Anlagenpreisförderung
- Förderung des Kombinierten Verkehrs mit intermodalen Transportketten durch Entfall der Lkw-Maut im Vor- und Nachlauf
- Investitionen in die weitgehende Automatisierung von Betriebsabläufen des Schienenverkehrs auch als Teil einer künftigen Krisenprävention
Preisdumping im Straßengüterverkehr unterbinden
Auch im Straßengüterverkehr brach das Transportaufkommen aufgrund der gedrosselten Industrieproduktion um etwa 30 Prozent ein. Infolgedessen kam das gesamte Preisgefüge im Transportmarkt weiter ins Rutschen, immer öfter ist daher Preisdumping zu beobachten. So wurde aus Kreisen des Speditionsgewerbes berichtet, dass teilweise Transportaufträge so knapp kalkuliert sind, dass damit gerade einmal die fällige Lkw-Maut gedeckt ist. Preisdumping ist im Lkw- und Speditionsgewerbe kein neues Phänomen. Die Coronakrise führt aber offenbar dazu, dass immer mehr Marktteilnehmer sich nicht an die Spielregeln halten. Angeheizt wurde das Preisdumping durch Bundesverkehrsminister Scheuer, der die Beschränkungen bei der Kabotage zweitweise aussetzte. Dadurch konnten ausländische Speditionen, die mit einem deutlich niedrigeren Kostenniveau kalkulieren können, die Preise weiter drücken. Der Bund muss gegen Preisdumping aktiv vorgehen und zwar einerseits über verschärfte Marktbeobachtung durch das Bundesamt für Güterverkehr und ein Eingreifen bei zu niedrigen Frachtpreisen sowie andererseits mit verstärkten Überprüfungen durch den Straßenkontrolldienst und den Betriebskontrolldienst desselbigen. Auch mit höheren Bußgeldern bei Verstößen gegen das Mindestlohngesetz und einer höheren Kontrolldichte durch die Bundeszollverwaltung kann gegen Lohn- und Sozialdumping im Straßengüterverkehr vorgegangen werden. Außerdem sollte geprüft werden, ob die Anzahl der binnen einer Woche zulässigen Kabotagefahrten (derzeit drei Fahrten) verringert wird. Der Wettbewerb muss sowohl zwischen den Lkw-Speditionen als auch gegenüber den Eisenbahnverkehrsunternehmen fair ablaufen. Das politische Ziel, mehr Güter auf die Schiene zu verlagern, muss konsequenter verfolgt werden.
Besonderes Augenmerk verdienen unverändert die Arbeitsbedingungen von Lkw-Fahrern. Die Bedingungen sind teilweise so prekär, dass sie schon außerhalb von Krisenzeiten keinen guten Ruf hatten. Zeitweise war der Zugang zu Übernachtungsmöglichkeiten mit angemessenen Verpflegungsmöglichkeiten und ausreichenden sanitären Einrichtungen nicht mehr gegeben. Die Bundesregierung war daher gefordert, im Bundesfernstraßennetz den Betrieb der Rastplätze mit Zugang zu Toiletten, Duschen und Waschmöglichkeiten jederzeit aufrechtzuerhalten.
Die Ausnahmeregelungen beim Sonntagsfahrverbot und bei den Lenk- und Ruhezeiten hatten zu Beginn der Coronakrise Sinn gemacht, um Nachfragespitzen im Lebensmitteleinzelhandel bedienen zu können. Diesen Zweck haben die angepassten Regelungen erfüllt. Die Lage im Einzelhandel hat sich zwischenzeitlich weitgehend normalisiert. Die Ausnahmen sind daher im Interesse der Beschäftigten umgehend zu beenden. Der jetzt entstandene Flickenteppich unterschiedlicher Länderregelungen, die eine Beendigung der Ausnahmen zwischen Ende Mai und Ende September vorsehen, muss durch eine bundeseinheitliche Regelung ersetzt werden.
Forderungen:
Unterbinden von Preisdumping durch verschärfte Marktbeobachtung im Straßengüterverkehr sowie verstärkte Straßen- und Betriebskontrollen durch das Bundesamt für Güterverkehr
- Erhöhung der Bußgelder bei Verstößen gegen das Mindestlohngesetz und stärkere Kontrollen durch die Bundeszollverwaltung
- Schnellstmögliche Beendigung der Ausnahmeregelungen beim Lkw-Sonntagsfahrverbot und bei den Lenk- und Ruhezeiten
Binnenschifffahrt: Durchgängigkeit des Wasserstraßennetzes sicherstellen
Auch die Binnenschifffahrt bekam die Auswirkungen der Coronakrise zunehmend stärker zu spüren. Transporte fanden weiterhin zwar wie gewohnt statt, aber die reduzierte Industrieproduktion führt auch zu einem Rückgang der Ladungsmengen (vor allem Rohstoffe), die auf den Flüssen und Kanälen transportiert werden. Bereits durch die lange Niedrigwasserphase im Sommer 2018 erlebten wir, wie entscheidend die Binnenschifffahrt für die Versorgung der Industrie mit Rohstoffen ist. Auch dieses Jahr wird die Branche, zusätzlich zu der Belastung durch Corona, wahrscheinlich wieder in eine solche Phase kommen. Dies kann das Hochfahren der Wirtschaft zusätzlich hemmen. Es müssen daher Maßnahmen ergriffen werden, die die Funktionsfähigkeit der Binnenschifffahrt und damit des Verkehrsträgers Wasserstraße unterstützen. Dabei können neben den allgemeinen Hilfen Investitionsanreize verbunden mit modernen Antriebstechnologien eine Maßnahme sein, um durch die Krisenzeit zu kommen und danach in der Lage zu sein, die Branche neu aufzustellen und für künftige Herausforderungen zu wappnen. Das Binnenschiff ist mit der hohen Effizienz bezogen auf das transportierte Gut gegenüber anderen Transportarten vorteilhaft. Diesen Vorteil gilt es zukünftig zu stärken und weiter auszubauen, um Güterverkehr ökologischer und klimafreundlicher zu organisieren.
Wir fordern daher weitere Maßnahmen zur Unterstützung der Güterbinnenschifffahrt wie flexiblere Schleusenöffnungszeiten (und ergänzend mittelfristig eine konsequente Schleusenfernsteuerung wo dies möglich ist), eine schnelle Umsetzung der neuen Förderrichtlinie für nachhaltigere Binnenschifffahrt, mehr Tempo bei den wichtigen Punkten des Masterplans Binnenschifffahrt, Vorziehen von Schiffsneubauten des Bundes und mit Blick auf die Wettbewerbsfähigkeit eine staatliche Flankierung zur besseren Digitalisierung der Branche.
Forderungen:
- Schnelle Umsetzung bei deutlicher Aufstockung der Mittel der neuen Förderrichtlinie zur nachhaltigen Modernisierung von Binnenschiffen
- Durchgängigkeit des Wasserstraßennetzes durch Rückkehr zu bisherigen flexiblen Schleusenzeiten und mittelfristig durch beschleunigte Schleusenfernsteuerung
- Umsetzung der wichtigen Punkte des Masterplans Binnenschifffahrt
- Zeitliches Vorziehen von bereits geplanten Schiffsneubauten des Bundes im Bereich der Binnenschifffahrt, insbesondere auch jene, die der Flottenmodernisierung dienen sollen
Fazit
Noch dauert die Krise an. Doch so viel kann man heute schon sagen: Komplexe Produktions- und Lieferketten von Industrieunternehmen, die teilweise weltumspannend organisiert sind, werden künftig zunehmend hinterfragt werden. Resilienz, Stabilität und Krisentauglichkeit von Produktionsnetzwerken werden einen ganz eigenen Wert bekommen und den Bereich Güterverkehr und Logistik verändern. Außerdem wird der Güterverkehr durch die Stärkung der umweltfreundlichen Verkehrsmittel wie der Bahn endlich seinen Beitrag zum Klimaschutz leisten müssen – jedenfalls dann, wenn man nicht einfach zur Tagesordnung übergeht und business as usual betreibt.