26.08.2022
Gespräche mit Menschen vor Ort
Unterwegs im Ahrtal: Mit meiner Fraktionskollegin Karo Ott, mit der ich im Tourismusausschuss des Bundestages zusammen arbeite, war ich im Ahrtal im nördlichen Rheinland-Pfalz unterwegs. Wir waren in Bad Neuenahr-Ahrweiler und dem Stadtteil Marienthal sowie in den Gemeinden Rech und Dernau unterwegs. Unser Gesprächsschwerpunkt lag im Wiederaufbau des Tourismus. Dazu trafen wir uns mit einigen Hoteliers in deren stark verwüsteten Gebäuden. Ich habe mich dabei aber auch über die Schäden und den Sachstand beim Wiederaufbau der Schienenwege erkundigt (dazu gibt es einen eigenen Beitrag auf meiner Homepage).
Die Flutkatastrophe vor etwas über einem Jahr hatte unermessliches Leid in die Region gebracht. 180 Menschen verloren ihr Leben. Über das Versagen von Informationsketten und Verantwortlichkeiten wird nach wie vor diskutiert. Ein Streitpunkt, ausgetragen auch im Untersuchungsausschuss des Landtags, ist die Frage, ab wann die Leitung eines Krisenstabs von der kommunalen auf die Landesebene übergeht. Diese Unklarheit bei den Zuständigkeiten war mit maßgeblich dafür, dass Warnungen zu spät verbreitet und erste Hilfen zu zögerlich angelaufen waren. Das geschriebene Recht, so hat es ein Gutachter festgehalten, habe in den vergangenen 50 Jahren keine praktische Anwendung finden müssen, da es keine auch nur annähernd vergleichbare Katastrophe gegeben habe. Mein für den Katastrophenschutz zuständige Fraktionskollege Leon Eckert hatte jüngst festgestellt, dass es Defizite bei den Warndiensten und eine mangelnde Koordination der Einsatzkräfte gegeben habe. Keine Stelle habe in den entscheidenden Momenten den vollen Überblick gehabt. Nun sei man auf guten Weg, Konsequenzen für die Zukunft zu ziehen. So sei es bald möglich, Menschen per SMS zu warnen und die Innenminister hätten das gemeinsame Kompetenzzentrum Bevölkerungsschutz beschlossen. Bei Großeinsätzen gelte es die Zusammenarbeit verschiedener Einheiten (z. B. Feuerwehr und THW) auszubauen. Dafür brauche es Strukturen wie Notfallpläne und Warnketten, um den Abstimmungsbedarf im Katastrophenfall so gering wie möglich halten zu können. In den Gesprächen im Ahrtal wurde uns berichtet, wie der Abend und die Nacht der Flut erlebt wurden: Es gab entweder gar keine Warnungen oder einmalige Lautsprecherdurchsagen der Feuerwehr. Dass es sich um eine besonders starke Flut von unglaublicher Zerstörungskraft handeln würde sei nicht mitgeteilt worden. Die Wassermassen richteten je bis zu 700 Meter links und rechts des normalen Flussverlaufes an. In Ahrweiler, da stark vom Tourismus lebte, wurden acht Kitas, fünf (Kur-)Kliniken und 18 Brücken völlig zerstört oder sehr stark in Mitleidenschaft gezogen. Einige der Orte, an denen einst Brücken standen (und jetzt teilweise Bedarfsbrücken stehen) haben wir uns angeschaut. 16 der 18 Brücken müssen neu aufgebaut werden. Teilweise hat die Flut selbst die Fundamente mitgerissen. Bis die Strom- und Wasserversorgung wieder aufgebaut wurde hat es Monate gedauert; teilweise wird diese nach wie vor nur provisorisch ermöglicht. Beklagt wurde die Bürokratie und der Mangel an Handwerkskapazitäten – wenngleich unglaublich viele handwerkliche Arbeiten zu beobachten waren (auch an den vielen Mobiltoiletten zu erkennen, die überall herumstehen). Hoteliers berichteten uns, wie in der Flutnacht Gäste evakuiert wurden: Einige flüchteten in obere Geschosse, andere versuchten aus den Häusern zu gelangen, weil Öl und Gas ausgetreten waren und zusätzliche Risiken geschaffen hatten. Der Tourismus köchelt seit einem Jahr auf Sparflamme. Viele Hotels sind noch nicht wieder nutzbar, meist, weil die Gastronomie und die Empfangsbereiche in den Erdgeschossen noch nicht wieder aufgebaut werden konnte. Es fehlen aber auch noch wieder aufgebaute Spazier- und Radwege, die von Urlaubenden gerne genutzt wurden. In Marienthal sahen wir größere Braxchflächen, auf denen einst Häuser gestanden hatten, die entweder vom Wasser mitgerissen oder so stark beschädigt worden waren, dass nur noch der Abriss in Frage kam.
Vor Ort sprachen wir auch darüber, inwiefern zerstörte Gebäude wieder an ihren alten Orten aufgebaut werden dürfen und wo dies tatsächlich Sinn macht. Direkt am Fluss werden einige Lücken in der Bebauung wohl bleiben. Die „Wirtschaftswoche“ hatte jüngst berichtet, fast alles werde wieder an Ort und Stelle errichtet, obwohl Klimaexperten und Raumplanerinnen empfohlen hätten, nicht alle Gebäude wieder dort zu errichten, wo sie gestanden hätten, da die Risiken für extreme Wetterphänomene steigen würden. Es war aber auch zu lesen, dass Bauerwartungsland bisweilen nun doch nicht zu Bauland entwickelt würde. Mancherorts werde die Auflage gemacht, dass Baugrundstücke um 60 bis 140 Zentimeter erhöht werden müssten.
Wie auch immer: Was wir gesehen und was wir gehört haben war eindrucksvoll. Die Katastrophe hat viel Leid durch menschliche Verluste gebracht. Sie hat auch Vermögen vernichtet und Hoffnungen zerstört. Es ist aber auch der Wille zu spüren, die Orte wieder mit Leben – auch durch den Tourismus – zu erfüllen.