Interview, gegeben für das Privatbahn-Magazin 04/2016
Herr Gastel, sind Sie ein Nachtzugfan und wenn ja, warum?
Ja, ich bin ein Freund der umweltfreundlichen Mobilität und da gehört der Nachtzug einfach mit dazu. Gerade für längere Strecken wie zum Beispiel zwischen Berlin und meinem Wahlkreis bei Stuttgart ist der Nachtzug die klimafreundlichere und auch angenehmere Art des Reisens als das Flugzeug oder eine tagesfüllende Fahrt im vollen ICE.
DB-Vorstandsmitglied Ronald Pofalla hat ausgerechnet im Sonderzug zum Klimagipfel nach Paris im Dezember des vergangenen Jahres erklärt, die Nachtzüge müssten zum Fahrplanwechsel 2016/2017 eingestellt werden. Grund: Unrentabilität. Was halten Sie von diesem Argument?
Die Nachtzugsparte der Deutsche Bahn mag aktuell Verluste einfahren. Aber was sind denn die Gründe dafür? Gerade die ausgebliebenen Investitionen in das Rollmaterial haben den Instandhaltungsbedarf jedes Jahr weiter anwachsen lassen. Inzwischen haben wir es bei den Nachtzügen mit über 40 Jahre alten und oft sanierungsbedürftigen Waggons zu tun. Dabei reden wir nicht allein über die notwendige Modernisierung des Wagenmaterials an sich. Auch die Kundenbedürfnisse haben sich verändert. Und trotzdem sind die Nachtzüge bei meinen Fahrten noch immer voll. Wir haben es in Deutschland nicht mit mangelnder Nachfrage zu tun, sondern viel mehr hat die Deutsche Bahn ein Kostenproblem, da sie die Nachtzüge lange Zeit vernachlässigt hat. Um das zu lösen, müsste die Deutsche Bahn das Nachtzugsegment grundlegend neu denken und das Geschäft noch viel konsequenter an den Kundenbedürfnissen ausrichten. Das geht los von der Auswahl der Reiseziele und endet bei einer ordentlichen Speiseauswahl für Abendessen oder Frühstück.
Sie haben die sich verändernden Kundenbedürfnisse angesprochen. Was hat sich denn in Ihren Augen verändert? Worauf legt heutzutage der Fahrgast im Nachtzug denn wert?
Die Fahrgäste wollen ein passgenaues Angebot für ihre individuellen Bedürfnisse, gerade bei Fahrten über Nacht auch immer ein Stück Privatsphäre. Wer schlafen möchte, soll es dunkel haben können, und wer noch lesen möchte, soll sein Leselicht haben dürfen. Sie werden in Zukunft kaum mehr Einzelreisende oder Pärchen in stickige Mehrpersonenabteile locken können. Die Deutsche Bahn wäre daher gut beraten gewesen, sich schon viel früher um eine ausgewogene Mischung an Einzelliegekabinen, Doppelbett- und Gruppenabteile in ihren Nachtzügen zu kümmern. Die Kunden legen besonderen Wert auf angenehmes Reisen ohne große Einschränkungen. Dazu gehört auch das Gefühl, dass das eigene Gepäck über Nacht sicher aufbewahrt ist.
Nun sind ja schon in den letzten Jahren zunehmend Reiseziele im Nachtzugverkehr weggefallen. Der letzte Zug zwischen Berlin und Paris wurde schon im Dezember 2014 gestrichen. So ganz unüberlegt wird die Deutsche Bahn ja nicht den Nachtzug nicht aufgeben, oder?
Was mich wirklich ärgert, ist die mangelnde Kreativität im Konzern mit dem zugegebenermaßen nicht ganz einfachen Nachtzugsegment. Schon bei der Auswahl der Destinationen macht man es sich meines Erachtens unnötig schwer. Worum lässt man nicht stärker die Kreativität spielen und lässt die Nachtzüge auf Ihrem Weg durch die Republik flügeln und die Wagen tauschen? So ließen sich mit dem gleichen Wagenmaterial viel mehr unterschiedliche Reiseziele erreichen. Die Nachtzüge haben ja jetzt schon auf Ihrer Strecke mehrere Aufenthaltsstopps, so dass sich das Kombinieren von Wagengruppen anbietet. So ließe sich schrittweise ein wieder wachsendes Nachtzugnetz über ganz Mitteleuropa aufbauen, mit Destinationen wie Kopenhagen, London, Paris, Rom oder Budapest. Aber für ein solches mitteleuropäisches Nachtzugnetz müsste man natürlich auch Gehirnschmalz und Planungskapazitäten einsetzen.
In Österreich schreibt der Nachtzugverkehr schwarze Zahlen. In gut informierten Kreisen geht sogar das Gerücht um, die Österreichischen Bundesbahnen würden die Schlafwagen der DB aufkaufen. Was machen unsere südlichen Nachbarn besser?
Die Österreichischen Bundesbahnen haben mir auf meine Anfrage bestätigt, dass sie ihr Nachtzugnetz deutlich ausweiten möchten und gerade Deutschland in den Fokus nehmen. Der Vorstand der ÖBB-Personenverkehr hat dabei offenbar auch explizit Verbindungen im Auge, die nicht durch Österreich gehen, z.B. zwischen Hamburg und Zürich. Schon jetzt machen die Nachtzüge der ÖBB rund 17 Prozent des gesamten Umsatzes im Fernverkehr aus und allein im letzten Jahr vermeldeten die Österreicher ein Wachstum von vier Prozent im Nachtzugsegment. Im Mai hat der Aufsichtsrat der ÖBB-Holding beschlossen, 60 Schlaf- und Liegewagen anzukaufen und zudem noch 20 Intercity-Sitzwagen bis 2019 zu Nachtzügen einer neuen Bauart umzubauen. Die dafür verwendete Designstudie, die ich durchaus sehr interessant finde, hat die ÖBB der Deutschen Bahn inzwischen abgekauft. Ich glaube, die ÖBB haben generell begriffen, dass das Nachtzuggeschäft ein ertragreiches Marktsegment ist, das seine eigene Kundschaft hat und nicht einfach durch andere Angebote ersetzt werden kann.
Die Deutsche Bahn bastelt nach eigenen Aussagen dagegen an einem Nachtverkehrskonzept mit ICEs und IC-Bussen. Ist das nicht inzwischen die sinnvollere Alternative zu einem Nachtzugnetz?
Ich will nicht in Abrede stellen, dass der Einsatz von ICEs und IC-Bussen im Nachtsprung sinnvoll sein kann. Nur ist das dann ein ganz anderes Marktsegment, denn sie verzichten als Kunde faktisch auf die ganzen Annehmlichkeiten einer Nachtzugfahrt wie einen guten Schlaf und auch auf die notwendige Privatsphäre im Zug. Deswegen habe ich meine Zweifel, ob der Einsatz von ICEs im Nachtverkehr wirklich der durchschlagende Erfolg werden wird. Eher wird es dazu kommen, dass der Kunde den Eindruck bekommt, dass zum gleichen Preis künftig weniger Komfort angeboten wird. Man darf auch nicht ganz vergessen, dass die Kunden, die auf den Nachtzug setzen, für den gebotenen Komfort auch mehr Zahlungsbereitschaft zeigen.
Wenn Sie in Verantwortung wären: Welche Alternative zur DB-Einstellung der Nachtzüge würden Sie wählen?
Ein konsequentes Ausrichten des Nachtzuggeschäft auf die Kundenbedürfnisse. Die Nachtzüge müssen ein eigenes Qualitätsversprechen garantieren, für das der Kunde auch bereit ist, Geld hinzulegen. Was die Reiseziele angeht, hat ein Bündnis für den Erhalt der Nachtzüge kürzlich unter dem Titel „LunaLiner“ diskussionswürdige Vorschläge gemacht. Gleichzeitig ist auch die Bundespolitik gefragt. Verkehrsminister Dobrindt muss die Abgabenlast im Bahnverkehr endlich senken und so für einen preislich attraktiven Bahnverkehr sorgen. Die Trassen- und Stationspreise müssen auf Grenzkostenbasis abgerechnet werden. So käme den Schienenverkehr insgesamt wieder in die Offensive. Sehr gern soll die Deutsche Bahn im Nachtverkehr auch IC-Busse für preisbewusste Fahrgäste anbieten dürfen. Man sollte nur nicht dem Irrglauben aufsitzen, dass sich die Fahrgäste aus dem Nachtzug einfach so in den Nachtbus verschieben lassen.