Keine neuen Ziele
Dass Bahnlärm verringert werden muss ist Konsens. Der Bund hat sich das ehrgeizige Ziel gesetzt, die Belastungen bis Jahresende zu halbieren. Auch der Koalitionsvertrag verspricht so manche Verbesserungen. Was ist daraus geworden? Das haben wir abgefragt.
Im März 2020 lag der Anteil der „leisen“ Güterwagen, die in Deutschland unterwegs sind, bei 87 Prozent. Damit müssen noch 13 Prozent auf Bremsen umgerüstet werden, die die Räder weniger aufrauen und ein ruhigeres Fahren ermöglichen. Allerdings ist die europarechtliche Zulassung des Verbots lauter Güterzüge offenbar noch immer ungeklärt. Die Europäische Kommission hat 2019 den rechtlichen Rahmen dafür geschaffen, dass „nichtlärmarme“ Güterwagen auf bestimmten Routen, den sogenannten „quieter routes“, ab Ende 2024 verboten werden. Quieter routes sind von den Mitgliedsstaaten gemäß vorgegebener Kriterien – vor allem der Zahl der Güterzüge in den Nachtstunden – zu bestimmen und an die Eisenbahnagentur der Europäischen Union (ERA) zu melden.
Wie wird festgestellt, ob es nach Ablauf dieses Jahres tatsächlich leiser ist? Die Bundesregierung sagt aus, dass eine Überprüfung der tatsächlich eingetretenen Lärmminderung im kommenden Jahr durch die vorhandenen Messstellen möglich ist. Ob bzw. in welchem Umfang und mit welcher Systematik dies erfolgen wird sagt sie jedoch nicht.
Mittel wieder nicht abgerufen
In den letzten drei Jahren wurden rund 100 Millionen Euro an Lärmschutzmitteln des Bundes nicht eingesetzt. Das sind etwa ein Fünftel der verfügbaren Mittel, die dazu dienen sollten, die Lärmbelastung zu reduzieren. Dies ist deshalb besonders skandalös, weil im gleichen Zeitraum die Preise um „bis zu 70 Prozent“ gestiegen sind. Dies bedeutet nichts anderes, als dass in erheblichem Umfang weniger Lärmschutz realisiert werden konnte als eigentlich geplant gewesen war! Hinzu kommt, dass schon im Jahr 2016 zwischen Deutscher Bahn und Bundesverkehrsministerium vereinbart worden war, dass die Vorratsplanung ausgeweitet wird, um den Mittelabfluss zu verbessern. Nun wird für 2020 der vollständige Abruf der Mittel in Aussicht gestellt. Die Bundesregierung verspricht schon seit Jahren, den Mittelabfluss zu verbessern. Bis heute hat sich die Lage nicht grundlegend verbessert. Der Aufbau ausreichender Planungskapazitäten bleibt eine Daueraufgabe im DB-Konzern.
Lärmschutzmaßnahmen der Zukunft
Hohe Lärmschutzwände stoßen aus städtebaulichen Gründen auf immer weniger Akzeptanz. Es müssen also neue, innovativere Lärmschutzmaßnahmen gefunden und ggf. kombiniert werden. Eine Möglichkeit stellen niedrige Lärmschutzwände dar, die näher an die Lärmquelle, also dicht ans Gleis, herangerückt werden können. Leider hat die Bundesregierung auf unsere Frage, ob die Wirksamkeit niedriger Lärmschutzwände durch Messungen überprüft wurde, nicht beantwortet. Notwendig ist, dass mehr geforscht wird. Doch mit einem Forschungsvolumen von etwas über 700.000 Euro in zwei Jahren wurde sehr wenig in die Lärmforschung investiert.
Obwohl nachgewiesen wurde, dass mit der Auftragsforschung „Innovativer Güterwagen“ der Lärmpegel um vier bis sieben Dezibel gesenkt werden kann und sich die Investitionen auch betriebswirtschaftlich darstellen lassen, wurde aus dem mit 60 Millionen Euro ausgestatteten Förderprogramm („Innovationsprämie“) kein Geld abgerufen. Die Bundesregierung muss sich fragen lassen, wie das Programm so angepasst werden kann, dass die erprobten und bewährten Innovationen zur Lärmreduzierung tatsächlich in den Markt kommen. Hier könnte eine „Abwrackprämie“ für alte Güterwagen ansetzen. So würden die Güterbahnen in der Krise unterstützt, die Verkehrsverlagerung gefördert und gleichzeitig der Lärm reduziert.
Versprechen aus dem Koalitionsvertrag
Im Koalitionsvertrag von Union und SPD wurden einige Vereinbarungen festgehalten, die sinnvoll sind und von uns unterstützt werden. Dazu gehört, dass es eine „Gesamtlärmbetrachtung“ geben soll, statt wie bisher die Beeinträchtigungen durch verschiedene Lärmquellen für sich zu betrachten. Doch aus der Antwort der Bundesregierung wird deutlich, dass eine Studie die nächste jagt. Das Forschungsprojekt reicht bis 2023! Erst danach könnte eine Methodik zur Gesamtlärmbetrachtung entwickelt und angewendet werden. Sie sollte endlich eingeführt werden. Auch bei der Definition von maximal zulässigen „Einzelschallpegeln“ kommt die Bundesregierung offenbar nicht voran.
Neue Ziele?
Das Ziel, bis Jahresende den wahrgenommenen Schienenlärm zu halbieren, sollte bald erreicht sein. Nun ist es wichtig, sich neue Ziele zu setzen und die konkreten Maßnahmen hierfür festzulegen. Denn es wird ja nicht so sein, dass vom Bahnbetrieb nirgendwo mehr gesundheitsgefährdende Belastungen ausgehen.
Die Bundesregierung hat allerdings noch keine Ahnung, welche Lärmschutzziele sie für den Zeitraum nach 2020 verfolgen möchte. Wenn nach der Umrüstung der Güterwagen auf leise Bremssohlen (LL-Sohlen), die Ende diesen Jahres abgeschlossen sein sollen, umgehend neue Ziele mit geeigneten Maßnahmen angepackt werden sollen, wird die Zeit knapp.
Mein Fazit:
Die Bundesregierung kommt bei der Reduzierung des Bahnlärms im deutschen Schienennetz nur langsam voran. Ein seit Jahren andauerndes Ärgernis sind die nicht verausgabten Mittel für die Lärmsanierung. In den Jahren von 2017 bis 2019 konnten von den rund 480 Millionen Euro mehr als ein Fünftel nicht verbaut werden. Jetzt rächt sich, dass die DB keine ausreichenden Planungskapazitäten mehr hat. Das hängt auch damit zusammen, dass der Bund in früheren Jahren mit den Mitteln knauserig umgegangen ist. Der Aufbau ausreichender Planungskapazitäten bleibt eine Daueraufgabe, die die Bundesregierung mit planbaren Zuweisungen absichern kann.
Erschreckend blank ist die Bundesregierung bei Lärmschutzzielen nach 2020. Wenn die Umrüstung der Güterwagen auf leisere Bremssohlen Ende des Jahres abgeschlossen ist, darf der Bund die Hände nicht in den Schoß legen. Wir brauchen für Fahrzeuge wie Infrastruktur mittelfristig erreichbare neue Ziele. Lärm sollte möglichst gar nicht erst entstehen. Daher muss die Lärmbekämpfung an der Quelle ansetzen. Die ‚Innovationsprämie‘, mit der die Bundesregierung die Anschaffung von Güterwagen fördern will, die deutlich leiser sind als es die derzeitigen Grenzwerte vorschreiben, erweist sich als Ladenhüter. Bisher ist kein einziger Euro in noch leisere Güterwagen geflossen. Angesichts der diskutierten Hilfen zur Bewältigung der Coronakrise fordern wir eine Abwrackprämie für alte Güterwagen. Die Prämie gibt es nur, wenn jahrzehntelalte Waggons durch Güterwagen ersetzt werden, die leiser sind als es gesetzlich vorgeschrieben ist. Damit können dröhnende uralt-Güterwagen ihren letzten Weg auf den Schrottplatz und in den Hochofen antreten. Eine derartige Abwrackprämie hilft den Güterbahnen aus der Krise, stützt die Verkehrsverlagerung auf die Schiene und sorgt für deutlich leisere Güterzüge, was Anwohner von Bahnstrecken besonders zu schätzen wissen.