Rede bei dem Strategiegespräch zur Schienenverkehrspolitik am 14. Oktober 2014 zur Schienenverkehrspolitik des Bundes
Sehr geehrte Damen und Herren,
Fernbusse führen binnen weniger Wochen neue Reiseziele ein.
Fluggesellschaften steuern mit jedem neuen Flugplan noch entlegenere Gegenden an.
Smartphones und Apps ermöglichen die spontane intermodale Reiseplanung.
Das traditionelle Taxigewerbe fürchtet das amerikanische Unternehmen Uber, eine Art Fahrgemeinschaft.
Und der Schienenverkehr?
Der fährt mit 40 Jahre alten Zügen auf 100 Jahre alten Trassen.
Haben die Schienenbahnen jenseits der Liebhaberei eine Zukunft? Ich meine JA! Für diese Zukunft muss sich aber viel ändern!
Der Bahnverkehr muss sich an veränderte Mobilitätsbedürfnisse und ‑verhaltensweisen anpassen.
Und die Politik muss für Wettbewerbsgerechtigkeit sorgen und klare Prioritäten bei der Finanzierung von Verkehrswegen und Verkehrsmitteln setzen.
Für mich als Mitglied des Bundestages ist immer die Bundesregierung erster Adressat für Forderungen. Daher beginne ich mit meinen Erwartungen an den Bund:
Verkehrs-Finanzierung
Zuvorderst muss die Bundesregierung für den effizienten Einsatz der begrenzten Mittel sorgen. Dazu gehören:
- Klarer Vorrang für die Schiene. Das Gegenteil ist aber der Fall. 70% der 5 zusätzlichen Milliarden für den Verkehr in dieser Legislaturperiode sollen in die Straßen fließen.
- Ob Bahnprojekte realisiert werden oder nicht, darf nicht politisch, sondern muss ausschließlich nach verkehrlicher Sinnhaftigkeit entschieden werden. Stuttgart 21 ist ein Beispiel eines politisch mehrheitlich gewollten, aber verkehrlich unsinnigen Vorhabens. Es hätte nie begonnen werden dürfen.
- Die Mittel müssen dorthin geleitet werden, wo sie den verkehrlich größten Nutzen bringen und dem Erhalt der Infrastruktur dienen. Die Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung (LuFV), ein Vertrag zwischen Bund und DB Netz AG, aber führt zu Fehlallokationen. Dies räumt im Zusammenhang mit den zunehmend abgängigen Eisenbahnbrücken selbst die Bundesregierung ein. Daher darf sich der Abschluss einer neuen, besseren LuFV nicht mehr hinauszögern. Man hat ja zunehmend den Eindruck, das Bundesverkehrsministerium ist durch die CSU-Maut lahmgelegt. In der neuen LuFV braucht es weitere Qualitätskennziffern, auch solche, die sanktionsbewehrt sind (z. B. zum Anlagenalter), aussagekräftige Infrastruktur-Berichte der DB und wirkungsvolle Kontrollen seitens des Bundes. Und nicht nur die DB möchte wissen, wie viel Geld ihr künftig zusteht. Auf jeden Fall wird es mehr als bisher sein müssen.
- An der einen oder anderen Stelle sind Standards auf ihre unbedingte Notwendigkeit hin zu hinterfragen. Muss wirklich für jeden Feldweg, der eine S‑Bahn-Strecke quert, ein teures Ingenieursbauwerk errichtet werden?
Selbst, wenn die Effizienz des Mitteleinsatzes besser gewährleistet ist als heute, werden wir feststellen: Das Geld reicht nicht. Es reicht weder, um die Substanz an Infrastruktur zu erhalten noch reicht es, um den Betrieb des Nah- und Regionalverkehrs aufrecht zu erhalten.
Daher muss schnellstens Klarheit geschaffen werden über
die Regionalisierungsmittel: Die Länder haben sich auf einen gemeinsamen Vorschlag geeinigt. Jetzt ist der Bund am Zuge. Ich unterstütze den Vorschlag der Länder, weil sich darin die tatsächlichen Kostensteigerungen widerspiegeln und die Mittel nicht einfach nur erhöht werden, sondern auch die Leistungen des Nahverkehrs (gefahrene Zug-Kilometer) honoriert werden. Dass Finanzminister Schäuble für 2015 noch nicht einmal die unzureichende jährlich Erhöhung um 1,5 Prozent eingeplant hat ist völlig unverständlich. Der Bund darf sich nicht aus seiner Verantwortung, die aus der Bahnreform mit seiner (sehr erfolgreichen!) Regionalisierung herrührt, davonstehlen.
das Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz (GVFG): Ohne eine Nachfolgeregelung wird es keinen Ausbau des ÖPNV und keine Sanierung von U- und S‑Bahntunneln geben. Angesichts langer Planungsvorläufe braucht es jetzt Gewissheit für Länder und Kommunen darüber, wie es weiter geht.
Die Bahn benötigt faire Wettbewerbsbedingungen
Was das System Schiene über einen verlässlichen Finanzierungsrahmen hinaus braucht ist Wettbewerbsgerechtigkeit. Diese ist auch Voraussetzung für die Verkehrswende, die für uns Grüne untrennbarer Bestandteil der Energiewende ist. Denn der Verkehrssektor ist mit 20 Prozent an den CO2-Emissionen und mit einem hohen Anteil am Verbrauch der endlichen Ressourcen dieses einen Planeten beteiligt.
Auf die Schiene kommt für die ökologische Verkehrswende eine tragende Rolle zu: Sie muss sich als zuverlässiger und auch für den nicht ganz so prall gefüllten Geldbeutel seiner Kunden attraktiver Verkehrsträger behaupten können. Dazu müssen die Voraussetzungen gegenüber dem Fernbus, dem Auto, dem LKW und dem Flugzeug geschaffen werden:
- Die neu geregelte EEG-Umlage belastet die Bahn einseitig zusätzlich, während fast gleichzeitig die Mautsätze für schwere LKW abgesenkt werden. Dies ist das Gegenteil dessen, was fast alle Politiker mit „Güter auf die Schiene“ wie im Chor immer wieder behaupten zu wollen. Wir Grünen wollten die Belastungen der Schienenbahnen nicht erhöhen. Und die LKW-Maut hätte nach unserer Überzeugung nicht so stark gesenkt werden müssen. Nun muss sie so schnell wie möglich auf weitere Straßen und kleinere LKW ausgeweitet werden.
- Der Emissionshandel ist eine im Grundsatz tolle Sache. Leider nicht im Konkreten. Unter anderem deswegen nicht, weil wieder die Bahn einseitig belastet wird. Alleine die DB zahlt jährlich 60 Millionen Euro. Der Flugverkehr ist weitgehend befreit und der Straßenverkehr ist überhaupt nicht in den Emissionshandel einbezogen.
- Auch bei der Mehrwertsteuer ist der Schienenverkehr benachteiligt. Im grenzüberschreitenden Fernverkehr wird der volle Steuersatz berechnet, das Ticket im Flugverkehr bleibt hingegen steuerfrei.
Wir erwarten von der Bundesregierung, dass sie diese ökologisch falschen Anreize endlich beseitigt.
Auch die DB muss handeln
Wie gesagt: Für mich als Mitglied des Bundestages ist immer die Bundesregierung erster Adressat für Forderungen. Daher habe ich mit meinen Erwartungen an den Bund begonnen. Aber selbstverständlich habe ich auch klare Erwartungen an das Bundesunternehmen Deutsche Bahn:
Der Bund begünstigt den Konzern Deutsche Bahn zwar nicht gegenüber anderen Verkehrsmitteln, wohl aber gegenüber dem eigentlich – und von uns Grünen wirklich – gewollten Wettbewerb auf der Schiene. Im Güterverkehr und im Nahverkehr funktioniert der Wettbewerb. Im Nahverkehr zeigt sich dies in steigenden Fahrgastzahlen. Im Fernverkehr hingegen ist die Deutsche Bahn AG Monopolist geblieben. Daraus erwächst eine besondere Verantwortung: Wo kein funktionierender Wettbewerb herrscht, muss die DB mehr oder weniger als eine Art „Vollsortimenter“ auftreten.
Dazu gehören auch die Nachtreisezüge. Was ich diesbezüglich bei der DB vermisse ist Innovationsfreude und der erkennbare Wille, neue Konzepte für bestehende und neue Relationen zu entwickeln.
Hier bringe ich meine eigene Erfahrung ein:
Ich habe seit der Bundestagswahl 16 x einen Nachtzug genutzt und wäre wesentlich häufiger mit ihm gefahren, wenn ich noch einen Platz bekommen hätte. Die Nachtzüge sind meist schon Wochen im Voraus ausgebucht. Kein Wunder: Reisen während des Schlafens, Hotelübernachtung sparen, zu günstiger Morgenstunde am Reiseziel ankommen und mehr vom Tag haben. Das überzeugt Familien wie Geschäftsreisende.
Und selbst Befragungen der Deutschen Bahn sprechen für den Erhalt von Nachtzügen:
- Die Kundenzufriedenheit mit diesem Angebot ist hoch
- Mindestens die Hälfte der Kunden würde bei einer Streichung der Nachtzüge auf andere Verkehrsmittel, meist das Flugzeug, ausweichen.
- Ohne Nachtzüge würde die DB also Fahrgäste verlieren.
Liebe Vertreterinnen und Vertreter der Deutschen Bahn: Ich versichere Ihnen, dass ich an diesem Thema dran bleiben werde!
Besser werden muss die Bahn bei der Pünktlichkeit. Auch hier kann ich von meinen eigenen Erfahrungen berichten:
Ich bin noch nie geflogen, zwischen meinem Wahlkreis bei Stuttgart und Berlin – und auch auf anderen Relationen – bin ich bislang ausschließlich mit der Bahn unterwegs gewesen. Seit November waren dies knapp 90 Fernverkehrsfahrten. In 38 Prozent – in mehr als einem Drittel – erreichte ich mein Ziel mit Verspätungen. Die durchschnittliche Verspätung betrug knapp 20 Minuten.
Nicht alle, aber doch viele der Verspätungen hat die Deutsche Bahn selber zu verantworten. Zwei Beispiele hierfür:
- Der Einstieg verzögert sich wegen fehlerhafter Wagenstandsanzeigen an den Bahnhöfen
- Es fehlt an Überholgleisen und Weichen, wovon viele in den letzten Jahren abgebaut wurden
Die Pünktlichkeit – mehr aber noch die Verlässlichkeit der Anschlüsse – ist für die Kunden ein, vielleicht sogar das entscheidende Argument für oder gegen das Verkehrsmittel Bahn!
Zunehmend wichtig wird aber auch der Internetzugang in den Zügen. Die Fernbusse bieten W‑LAN – kostenlos und meist verlässlich. Ich bin mir nicht sicher, ob die DB die Bedeutung des Internets verstanden hat. Sie hat dieses Thema zu spät angegangen und ist mir hierbei noch immer nicht entschieden genug unterwegs. Und bei der Bundesregierung scheint mir dieses Thema noch überhaupt nicht angekommen zu sein. Die Kunden erwarten einen kostenlosen und zuverlässigen Internetzugang in allen Zügen. Denn der Zug entwickelt sich mehr und mehr zum rollenden Büro.
Ins Rollen kommen sollte auch ein anderes Thema, und zwar in der Bundespolitik wie auch bei der DB: Ich spreche vom integralen Taktfahrplan. Mehr als 100 Milliarden wurden seit der Bahnreform vor 20 Jahren ins Netz, überwiegend in die Hochgeschwindigkeit, investiert. Und die DB hat, vor 20 Jahren schuldenfrei gestartet, inzwischen 17 Milliarden Euro an Schulden angehäuft. Neue Fahrgäste wurden nicht gewonnen. Und noch weniger hat sich der Modal Split im Fernverkehr zugunsten der Schiene verändert. Das macht deutlich: Für die meisten (potentiellen) Fahrgäste ist nicht die superschnelle Verbindung von Großstadt A zu Großstadt B wichtig, sondern eine attraktive Gesamtreisezeit. Was hat der Fahrgast davon, wenn er 10 Minuten schneller in Großstadt B ankommt, dort aber 30 Minuten auf seinen Anschlusszug warten muss? Ich erkenne, dass sich die DB ebenso wie die Bundesregierung allmählich dem Gedanken des integralen Taktfahrplans – konkret des Deutschland-Taktes – annähert. Wir Grünen stehen hinter dem D‑Takt und unterstützen die hierfür erforderlichen Anpassungen der Infrastruktur gerne.
Und beim Stichwort „Infrastruktur“ bin ich bei meinem nächsten, sehr wichtigen Thema. Mit unseren Kleinen Anfragen im Bundestag wurde sehr deutlich, wie es darum steht: Schlecht. Auch wenn die Sicherheit noch nicht beeinträchtigt ist, besteht dringender Handlungsbedarf. Über Generationen geschaffene Brücken und Tunnel zerfallen binnen verhältnismäßig weniger Jahre zusehends. Fünf Prozent aller Brücken sind in einem so schlechten Zustand, dass nur noch deren Abbruch und Ersatzbauten möglich sind. Bei den Tunneln sieht es kaum besser aus: Zumindest für Baden-Württemberg müssen wir feststellen, dass der Anteil der Tunnel, die in sehr schlechtem Zustand sind, innerhalb von vier Jahren dramatisch gestiegen ist.
Und dann muss ich natürlich auch noch auf das Thema Lärmschutz zu sprechen kommen: Wir brauchen einen besseren Lärmschutz auf und entlang der Schiene, weil es um die Gesundheit der Menschen geht. Es geht aber auch um die Akzeptanz des Schienen‑, insbesondere des Güterverkehrs. Der Bund hat die Mittel von bislang konstant 100 Millionen Euro jährlich auf jetzt 130 Millionen pro Jahr erhöht. Doch leider kann die DB die Gelder überhaupt nicht vollständig abrufen. Das ist traurig. Ich erwarte vom Konzern, dass er eine Vorratsplanung betreibt und die Mittel künftig auch bei weiteren Erhöhungen des Etats ausschöpft.
Was sind die Konsequenzen daraus?
- Weg von teuren Großprojekten, hin zum Erhalt der bestehenden Infrastruktur und dem Schließen von Engpässen. Die Behebung von Engpässen ist übrigens eine der Grundvoraussetzungen dafür, dass mehr Güter auf der Schiene transportiert werden können. Dies gilt insbesondere für den Seehafenhinterlandverkehr und die Rheintalbahn.
- Eine neue LuFV ohne Anreize zu Fehlallokation
Und dann schließlich:
- Mehr Geld für die Infrastruktur
Aber außerdem auch
- die häufigere Begutachtung der Ingenieurbauwerke und die
- frühzeitigere Sanierung
Meine Damen und Herren,
ich hatte eingangs die Frage aufgeworfen, ob die Schienenbahnen angesichts einer sich schnell veränderten Mobilitätswelt noch eine Zukunft haben kann.
Ich habe dies bejaht.
Ich habe aber – so hoffe ich – auch deutlich machen können, dass sich für die Zukunft der Bahn einiges ändern muss.
Ich wünsche mir, dass Politik und Bahn-Konzern den Mut und die Durchsetzungskraft aufbringen, die notwendigen Entscheidungen und Veränderungsprozesse aufs Gleis zu setzen.
So wie die Bahn im Nahverkehr ihren Platz gefunden und neue Fahrgäste gewonnen hat ist dies auch im Fernverkehr möglich.