Kohleausstieg vor Ort

Hinweis: Dieser Beitrag ist schon älter und wurde möglicherweise noch nicht in das neue Format umgewandelt.

30.03.2019

Besuch im Kohlekraftwerk Altbach

Der Besuch war lang­fris­tig geplant und gut vor­be­rei­tet. Als ich mich dem Kraft­werk nähe­re, stei­gen dicke Dampf­wol­ken aus dem Schorn­stein auf. Damp­fen­de Schorn­stei­ne an Koh­le­kraft­wer­ken sol­len spä­tes­tens im Jahr 2038 der Ver­gan­gen­heit ange­hö­ren. Denn über den Koh­le­aus­stieg besteht per gesell­schaft­li­chem Kon­sens inzwi­schen im Grund­satz Gewiss­heit. Wie er aber umge­setzt wird und ob es gelingt, das letz­te Koh­le­kraft­werk bereits vor dem Jahr 2038 abzu­schal­ten, ist noch offen. Span­nend ist auch die Fra­ge, was an den bis­he­ri­gen Stand­or­ten der Koh­le­kraft­wer­ke im Süd­wes­ten geschieht und woher das Land zukünf­tig sei­nen Strom bezieht.

Gemein­sam mit Andre­as Schwarz und Andrea Lind­l­ohr (bei­de MdL) habe ich das Koh­le­kraft­werk Alt­bach (Land­kreis Ess­lin­gen) besucht und mit Vertreter*innen der Ener­gie Baden-Würt­tem­berg (EnBW) über die Zukunft die­ses und der ande­ren Stand­or­te sowie die Strom­ver­sor­gung nach dem Jahr 2025/2030 gespro­chen. Beim anschlie­ßen­den Rund­gang wur­den wir unter ande­rem von den Bür­ger­meis­tern Funk (Alt­bach) und Math­ros (Dei­zis­au) sowie von Mit­glie­dern der Grü­nen beglei­tet.

Mit den 18 Stein­koh­le-Kraft­werks­blö­cken wer­den aktu­ell etwa 29 Pro­zent des Strom­be­darfs in Baden-Würt­tem­berg gedeckt. Braun­koh­le-Kraft­wer­ke gibt es hier kei­ne. Höher ist der Kern­kraft­an­teil, der (noch) bei 45 Pro­zent liegt. Auf die erneu­er­ba­ren Ener­gien ent­fal­len 12 Pro­zent. Momen­tan gibt es noch Über­ka­pa­zi­tä­ten bei den EnBW. Bis 2022 wer­den die­se, so das Unter­neh­men, voll­stän­dig besei­tigt sein. Umwelt­mi­nis­ter Unter­stel­ler weist immer wie­der dar­auf hin, dass der Süd­wes­ten ganz beson­ders auf den Netz­aus­bau ange­wie­sen ist, um (Wind-)Strom aus dem Nor­den in den Süden zu trans­por­tie­ren. Da sich Baden-Würt­tem­berg nicht sel­ber voll­stän­dig mit Alter­na­tiv­strom ver­sor­gen kann und daher die Vor­sor­gungs­si­cher­heit beson­ders wich­tig ist, wäre eine „Abschalt­lis­te“ für die Koh­le­kraft­wer­ke hilf­reich. Dar­an arbei­ten die EnBW, deren Koh­le­kraft­wer­ke sich in Mann­heim, Karls­ru­he, Heil­bronn, Pforz­heim, Wal­heim, Mar­bach am Neckar, Stutt­gart (Gais­burg und Müns­ter) sowie in Alt­bach befin­den. Die EnBW haben den Koh­le­kon­sens übri­gens begrüßt, da er „uns Pla­nungs­si­cher­heit gibt“. Die Rei­hen­fol­ge der Abschal­tun­gen sol­le unter ande­rem danach erfol­gen, wie modern die Kraft­wer­ke sei­en. Das jüngs­te befin­det sich in Karls­ru­he (Rhein­ha­fen­dampf­kraft­werk RDK 8).

In Alt­bach befin­den sich zwei Heiz­kraft­werks­blö­cke (HKW) sowie ein Gas-Öl-Kom­bi­block und zwei Gas­tur­bi­nen. Sie alle zusam­men wei­sen eine Leis­tung von 1.200 Mega­watt auf. Das HKW 1 nahm 1985 sei­nen Betrieb auf. Aus dem HKW 2, Ende der 1990er-Jah­re ans Netz gegan­gen, kann Fern­wär­me aus­ge­kop­pelt wer­den. Es ist ein Gas­tur­bi­nen­pro­zess inte­griert. Der Betrei­ber spricht von einem Brenn­stoff­aus­nut­zungs­grad von 70 Pro­zent. Der ver­sorgt rech­ne­risch über 300.000 Durch­schnitts­haus­hal­te. Fern­wär­me wird an die umlie­gen­den Gemein­den Alt­bach, Dei­zis­au, Plochin­gen, Ess­lin­gen und – Dank eines durch­ge­hen­den Wär­me­net­zes – bis nach Stutt­gart gelie­fert. Seit 2017 ist der ers­te Block im Ruhe­mo­dus und wird nur bei sich abzeich­nen­den Eng­päs­sen zuge­schal­tet. Im ver­gan­ge­nen Jahr war er gera­de ein­mal 300 Stun­den, ver­teilt auf 10 bis 20 Ein­sät­ze, in Betrieb. Dann wird er meist über einen Kalt­start hoch­ge­fah­ren, was eine Vor­lauf­zeit von vier bis fünf Stun­den bean­sprucht, bis Strom fließt.

Die Anlie­fe­rung der Koh­le erfolgt per Bahn und Schiff. Die Rauch­ga­se wer­den durch einen 250 Meter hohen Schorn­stein abge­ge­ben. Die Küh­lung erfolgt mit­tels Kreis­lauf­küh­lung, wodurch sich der Kühl­was­ser­ver­brauch gegen­über einer Frisch­was­ser­küh­lung deut­lich ver­rin­gert.

Wie geht es wei­ter? Der Stand­ort wird auf jeden Fall erhal­ten blei­ben und auch wei­ter­hin Strom und Fern­wär­me lie­fern. So viel gilt als sicher. Die EnBW unter­su­chen der­zeit die Umstel­lung auf Erd­gas oder alter­na­tiv auf Holz­pel­lets. Für einen Betrieb mit Gas müss­ten das Erd­gas­netz nach Alt­bach und die Spei­cher­ka­pa­zi­tä­ten „im Süd­wes­ten“ aus­ge­baut wer­den. Im Kraft­werk müss­te eine kom­plett neue Anla­ge errich­tet wer­den. Die Inves­ti­ti­ons­kos­ten wären hoch. Dafür kann ein sol­ches Kraft­werk bin­nen einer Vier­tel­stun­de hoch­ge­fah­ren wer­den. Bei der Pel­let­lö­sung könn­ten gro­ße Tei­le der bestehen­den Infra­struk­tur wei­ter genutzt wer­den.

Als wir oben, in 70 Metern Höhe, auf dem Kraft­werk waren, fiel mir auf, dass kein Dampf mehr aus dem Schorn­stein quoll. Auf Nach­fra­ge stell­te sich her­aus: Weil inzwi­schen die Son­ne scheint und die Pho­to­vol­ta­ik­an­la­gen in der Regi­on viel Strom erzeu­gen, konn­te das Koh­le­kraft­werk auf Mini­mal­last zurück­ge­fah­ren wer­den. Die Ener­gie­wen­de wirkt. Auch im Koh­le­kraft­werk in Alt­bach.