26.07.2015
Die frühere Bundesregierung hat im Jahr 2013 eine Reformkommission „Bau von Großprojekten“, bestehend aus 36 Persönlichkeiten aus Wirtschaft, Wissenschaft, öffentlicher Hand und Verbänden, ins Leben gerufen. Deren Ziel war es, Lösungen zu entwickeln, wie mehr Kostenwahrheit und Termintreue erreicht werden können.
Der Streit um Großprojekte wie Stuttgart 21, die Elbphilharmonie oder den BER hat nahezu dem letzten Technikgläubigen klar gemacht, dass solche Vorhaben von Anfang an anders angegangen werden müssen. Die Kostensteigerungen sind ein Aspekt. Die Hertie School of Governance hat bei 170 ausgewählten Großprojekten durchschnittliche Kostensteigerungen von 73 Prozent errechnet. Neben den Kosten geht es aber auch um die Sinnhaftigkeit (dazu unten mehr) und die Akzeptanz solcher Vorhaben in der Bevölkerung.
Als „Großprojekte“ werden solche Bauvorhaben verstanden, die voraussichtlich mindestens 100 Millionen Euro kosten werden oder aber andere für Großprojekte typischen Faktoren aufweisen wie lange Realisierungsdauer, hohe Komplexität sowie hohe politische oder gesellschaftliche Bedeutung.
Die Reformkommission hatte den Auftrag, die Probleme bei der Planung und der Realisierung von Großprojekten zu ermitteln, Ursachen aufzuzeigen, mögliche Lösungen zu diskutieren und Handlungsempfehlungen für mehr Kostenwahrheit, Kostentransparenz, Effizienz und Termintreue zu erarbeiten. Die Arbeit der Kommission erfolgte zwar unter Federführung des Bundesverkehrsministeriums, erarbeitete aber ihre Empfehlungen unabhängig. Die Ergebnisse spiegeln daher auch nicht zwingend die Meinung der Bundesregierung wider.
Ende Juni 2015 hat die Kommission folgende zehn Empfehlungen vorgelegt, die ich hier kurz zusammenfasse:
- Der Bauherr sollte vor Beginn der Planung in Zusammenarbeit mit dem Nutzer den Projektbedarf genau analysieren und die Projektanforderungen detailliert ermitteln. Dazu sollte frühzeitig ein interdisziplinäres Planungsteam eingesetzt werden.
- Mit dem Bau sollte erst nach Erstellung einer lückenlosen Ausführungsplanung begonnen werden. Davon soll nur dann abgewichen werden, wenn es sich um vollständig abtrennbare Teilprojekte handelt.
- Die Identifikation, Analyse und Bewertung von Risiken sowie die Konzeption angemessener Gegenmaßnahmen sollten verbindlich vorgeschrieben werden und Voraussetzung für die Bereitstellung von Haushaltsmitteln sein. Risiken mit hoher Eintrittswahrscheinlichkeit sollten in der Finanzierung berücksichtigt werden.
- Bei der Vergabe von Bauleistungen sollten neben dem Preis des Bieters verstärkt qualitative Wertungskriterien einbezogen werden.
- Alle Projektbeteiligten sollte sich zu Projektbeginn zu einer partnerschaftlichen Projektabwicklung verpflichten.
- Es soll ein interner und ein externer Konfliktlösungsmechanismus verankert werden.
- Verschiedene Beschaffungsmodelle sollten verglichen werden und ggf. sollte vom Prinzip der Trennung von Planung und Bau abgewichen werden.
- Projektabläufe, Entscheidungswege und ‑kompetenzen sollen frühzeitig und klar definiert und in einem Projekthandbuch festgeschrieben werden. Auch wie mögliche Planänderungen vorgenommen werden sollte frühzeitig festgelegt werden.
- Der Bauherr sollte für eine frühzeitige, offene und kontinuierliche Bürgerbeteiligung sorgen und eine klar definierte Steuerung und Kontrolle gewährleisten.
- Digitale Methoden können den gesamten Projektverlauf erheblich unterstützen, z. B. durch Visualisierungen und Simulationen.
Meine Kritik
Ich finde jede der Empfehlungen im Grundsatz richtig. Was mir aber gewaltig gegen den Strich geht ist, dass an keiner Stelle erwähnt wird, dass Großprojekte zunächst kritisch auf ihre Sinnhaftigkeit zu hinterfragen sind. Es wird viel von Kommunikation und Information geschrieben. Eine ernsthafte Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern sowie Verbänden ist aber weitaus mehr! Es geht darum, dass Projektideen gut begründet werden. Es geht darum zu erklären, weshalb Alternativen dazu weniger geeignet sein sollen, um das gewünschte Ziel zu erreichen. Und schließlich darf auch die Möglichkeit nicht ausgeschlossen werden, dass Bürgerinnen und Bürger ein angedachtes Großprojekt nicht wollen und es fallen gelassen wird oder grundlegend verändert wird! Dies ignoriert die Kommission aber, wenn sie schreibt: „Der Nutzen und die Auswirkungen von Bauprojekten werden der Öffentlichkeit häufig nicht oder nicht ausreichend kommuniziert.“ Besser zu kommunizieren ist wichtig, aber eben längst noch nicht alles. Bürgerbeteiligung darf nicht nur der Akzeptanzsteigerung dienen, sondern muss weitaus mehr sein!
Hier geht es zu den Empfehlungen der Kommission: http://www.bmvi.de